Differenzierung durch Service
Intelligente Kundensegmentierung schafft Basis für optimierte Produkte und Preise
Zahlreiche Chemiehersteller haben in den vergangenen Jahren Anstrengungen unternommen, ihre Kundenbasis besser zu segmentieren. Häufig wurden dabei durchaus relevante Erkenntnisse zu Kundenverhalten und -bedürfnissen gewonnen. Doch die Umsetzung derselben in die Praxis gestaltet sich schwierig. Das ist vor allem einem zu einfachen Produktverständnis und organisatorischen Barrieren geschuldet.
In einer kürzlich veröffentlichten Studie des American Chemistry Council und Accenture sind nur 26 % der Chemiekunden zufrieden mit der Leistung ihrer Lieferanten.
Fünf einprägsame Schritte: Kundensegmentierung, Entbündelung, Re-design, Zuordnung, Erfolgsmessung (abgekürzt: KERZE) helfen, den Sprung von der Einsicht zur gelebten Kundeninteraktion zu tätigen. Grundsätzlich gilt es, die verengte Sicht auf das physische Produkt und dessen Leistungsmerkmale durch eine umfassendere Sicht auf das erweiterte Produkt und die Marktbearbeitungsstrategie zu ergänzen. Denn die Erwartungen der Kunden an die Leistung eines Chemieherstellers können höchst unterschiedlich sein: Manche schätzen Lieferantentreue, andere Mengenzusagen, logistische Dienstleistungen, technische Beratung, gemeinsame Projekte und Produktentwicklung, Auftragsbezogene Flexibilität, um nur einige kaufentscheidende Merkmale zu nennen. Und genau diese Merkmale entscheiden letztlich über die Zahlungsbereitschaft eines Chemiekunden.
1) Kundensegmentierung
Stellt man Marketingverantwortlichen in Chemieunternehmen die Frage: „Gibt es bei Ihnen eine robuste Kundensegmentierung?", so fällt die Antwort in der Regel positiv aus. Die daraus folgende Frage nach einer nachweislich differenzierten Kundeninteraktion wird weitaus weniger eindeutig beantwortet. Denn die Kundensegmentierung ist bei Weitem nicht so granular, um den komplexen Anforderungen der chemischen Industrie gerecht zu werden. Die traditionelle Sicht von Vertrieb und Marketing:
Fokus auf Produkt und Preis - wird zunehmend durch eine differenzierte Sicht auf Kundenservice und -beziehung erweitert. Doch die Kunden der Chemieindustrie agieren noch weit komplexer als es sich durch diese traditionellen und erweiterten Ansätze abbilden lässt. Der Wert für den Kunden und der Mehrwert, für den Kunden bereit sind zu zahlen, variiert maßgeblich. Preis und Produktqualität sind dabei nur zwei von zahlreichen Faktoren, die berücksichtigt werden müssen. Und oftmals sind diese beiden Faktoren noch nicht einmal ausschlaggebend.
Eine intelligente Segmentierung orientiert sich heute an einer Vielzahl von kaufentscheidenden Merkmalen und eben nicht länger an einer Innensicht, die Kundenattraktivität nach Mengen und Margen in den Vordergrund stellt. Wichtige Aspekte für die Kundensegmentierung sind die detaillierte Kenntnis über die Kundenbedürfnisse und Preissensitivität, das Kundenverhalten (beispielsweise Bestellfrequenz, Bestellmengen, Dauer der Kundenbeziehung) und die dadurch resultierende Attraktivität des Kunden für das Unternehmen.
So definierte ein führendes Agrochemieunternehmen fünf neue Kundencluster im Zusammenhang mit der Überarbeitung des Marketing- und Vertriebsprozesses. Diese neuen Segmente unterteilen Kunden zwischen „Schnäppchenjäger" bis hin zum „Projektpartner". Unterstützt wird diese Einteilung durch demografische Daten, Anbauverfahren, Produktnutzung wie auch die langfristige Zusammenarbeit mit dem Kunden. Und jedes der Segmente erhält einen eindeutigen Marketing-Mix, der nach Bedürfnissen und Zahlungsbereitschaft differenziert.
Eine intelligente Kundensegmentierung ermöglicht die Fokusierung auf die richtigen Kunden und damit eine Steigerung von Umsatz und Marge. Sie unterstützt somit Chemiehersteller, sich als führender Zulieferer in einem stark umkämpften Markt zu positionieren, weil sie attraktive und unverwechselbare Angebote schafft.
2) Entbündelung des Produkts
Chemieprodukte sind komplexe Leistungsbündel. Der Preis für ein physisches Produkt oder die Formulierung, wird letztlich aus zahlreichen Faktoren und Serviceleistungen zusammengesetzt. Sie müssen voneinander getrennt und individuell den Kundensegmenten zugeordnet werden.
Technische Dienstleistungen, logistische Aspekte, wie Flexibilität in der Zulieferung, Termintreue, aber auch die Qualität des Produktes, die Verpackungen, das Produktdesign, die Finanzierungskonditionen, technische Projekte und Entwicklung sind Aspekte die voneinander getrennt betrachtet und analysiert werden müssen, da sie unterschiedlicher Wertschätzung beim Kunden unterliegen.
Eine präzise Kundensegmentierung erlaubt es, die relevanten kaufentscheidenden Merkmale den entsprechenden Segmenten zuzuordnen und so den Mehrwert für den Kunden zu steigern, aber auch den Preis für das Produkt aus Unternehmens- und Kundensicht zu optimieren.
3) Re-design des Produkts und der Kundenerfahrung
Genauso, wie ein Gast die verschiedenen Leistungen gemäß der Kategorie und des Markenversprechens einer Hotelkette erwartet und über die unterschiedlichen Berührungspunkte wie Buchung, Empfang, Inklusiv- und Zusatzleistungen erlebt, so verstehen sich auch heute die Kunden der Chemieindustrie. Nicht für alle ist alles gleich wichtig. Nicht jeder ist bereit, für höchste Präzision und Zusatzleistungen zu zahlen.
Sind Leistungsfaktoren für die einzelnen Produkte allerdings voneinander getrennt und können losgelöst betrachtet werden, so ergibt sich ein interessanter Mix und eine neue Zusammensetzung der Produkt- und Leistungspalette für den Kunden. Den neu entwickelten Kundensegmente, basierend auf den Kundenanforderungen, des Kundenverhaltens und der Attraktivität, können jetzt individuelle Serviceleistungen zugeordnet werden.
Der Kunde wird somit gezielt in den Mittelpunkt gestellt und mit maßgeschneiderten Leistungen und Produkten angesprochen. Dabei geht es darum, standardisierte Differenzierung bereitzustellen - also Leistungsbündel, welche die Präferenzen und Zahlungsbereitschaft eines Kundensegments möglichst genau treffen. Somit erhalten preissensitive Kunden ein einfaches Angebot, anspruchsvolle Kunden ein umfassendes. Die Kundenerfahrung entspricht dann genau dem Marketing-Mix, der für das Segment vorgesehen ist, nicht mehr und nicht weniger.
4) Zuordnung und Umsetzung
Die Umsetzung der Kundensegmente und das Re-design der Produkte stoßen in der Praxis auf große Schwierigkeiten. Neu zusammengestellten Kundenangebote benötigen vor allem eine klare Strukturierung und Vorgabe der Arbeitsanleitung für die Mitarbeiter aus Marketing, Vertrieb, Kundenbetreuung und Versand. Die segmentspezifischen Servicekategorien, die unterschiedlichen Service-Level sowie die Arbeitsanweisungen müssen in einem umfassenden Servicekatalog detailliert erfasst werden. Dieser wird wiederum durch entsprechende Rollen und Verantwortlichkeiten, Geschäftsprozesse und IT-Systemunterstützung in der Organisation verankert.
So wird in der Servicekategorie Logistik beispielsweise klar definiert, für welches Kundensegment welche Lieferzeiten zu welchen Konditionen möglich sind. Expresslieferungen können somit bei bestimmten Kundensegmenten, für die Flexibilität in der Anlieferung einen geringenen Stellenwert als andere Faktoren besitzt, von vornherein ausgeschlossen werden. Auch der Umgang mit den Kunden wird über die Arbeitsanweisungen neu geregelt. Wer, wen, wann wie oft besucht ist dann eindeutig den neuen Kundensegmenten zuzuordnen.
Intelligente Software (Customer Relationship Management, Preismanagement, Geschäftsregelmanagement) unterstützt diese Prozesse der Kundeninteraktion über den gesamten Markt- und Kundenbearbeitungsprozess und somit vor allem den Mitarbeiter in seiner täglichen Kundenbetreuung. Benötigt ein Kunde eine einmalige Abweichung der Lieferfrist vom vorgegebenen Standard, so bietet das System automatisch verschiedene im Vorfeld genehmigte Konditionen an, die diese Veränderung ermöglichen.
Hierbei kann es um eine Preiserhöhung, aber auch um Veränderungen im Ordervolumen handeln - je nach Datenlage des Kunden. Ausnahmen sind also möglich, Kunden werden weiterhin individuell betreut, allerding auf Basis vorher festgelegter Regeln und je nach Kundenhistorie individuell genehmigter Abweichungen.
5) Erfolgsmessung
Die eingesetzte Software unterstützt das Unternehmen gleichzeitig dabei, Kennzahlen zu ermitteln, die für die Steuerung von Produktion, Marketing, Vertrieb und Service essentiell sind. Somit können realisierte Preise und Margen, Abweichungen vom Marketing-Mix pro Segment, Entwicklungen und Trends im Kundenverhalten sowie Prozessqualität und -durchlaufzeiten (u.a. Bearbeitungszeiten von Aufträgen und Beschwerden) eindeutig gemessen werden.
Die Schaffung eines gemeinsamen Prozessverständnisses und der entsprechenden Rollen und Verantwortlichkeiten innerhalb der Unternehmensbereiche und -funktionen ist ein entscheidender Faktor für den Umsetzungserfolg. Danach kann mit der Optimierung der Prozesse begonnen werden und der Verbesserung wichtiger Kennzahlen - z. B. Liefertreue, Zahlungsfristen, Auftragseingang, Produktionsplanung wie auch Preisband- und Margensteuerung.
Der Erfolg einer konsequent umgesetzten Kundensegmentierung lässt sich eindeutig messen:
- Die Kampagnenkosten sinken um bis zu 35 % durch verbesserte Auswahl der wichtigsten Kunden.
- Der Akquisitionserfolg kann durch exakte Kenntnis der Bedürfnisse und entsprechende Ansprache vervierfacht werden.
- Die Kundenloyalität steigt um bis zu 25 % durch intelligentes Clustering in strategische Segmente.
Die erfolgreiche „Differenzierung durch Service" geht somit Hand in Hand mit der Harmonisierung der Prozesse, bei gleichzeitiger Individualisierung des Kundenservices basierend auf detaillierter Kundenkenntnis und intelligenter Segmentierung. Doch erst die organisatorische Verankerung mittels eines umfassenden Regelwerks über Betreuungsansätze und Serviceregelungen sorgt für die erfolgreiche Umsetzung in der Praxis.