Chemie & Life Sciences

Chemie hilft beim Bautenschutz

Farbabweisende Barriere auf Siliconbasis ermöglicht schonende Beseitigung von Graffiti

23.07.2018 -

Jedes Jahr richten Graffiti-Attacken und wildes Plakatieren an öffentlichen Gebäuden, Brücken, Unterführungen und Hauswänden große Schäden an. Die beschädigten Bauwerke verlieren durch die Beseitigung, die nicht nur aufwändig, sondern auch teuer ist, an Wert. Die Schäden in Deutschland werden auf jährlich 200 Mio. EUR von dem Deutschen Städtetag beziffert. In den USA sind es nach Angaben des Justizministeriums etwa zwölf Mrd. USD pro Jahr. Um Graffiti und Poster zu entfernen, fallen allein in Deutschland jedes Jahr schätzungsweise Kosten von über 500 Mio. EUR an.

„Sprühlacke werden immer günstiger und sind für jedermann erschwinglich. Deswegen stehen Technologien, die Bauwerke langfristig vor Graffiti und Co schützen, heutzutage mehr denn je im Fokus“, erklärt Marianne Kreuzpointner, Marketing-Expertin Bauchemikalien bei Wacker in Burghausen. „Von unseren Kunden kommen deshalb vermehrt Anfragen, ob wir Produkte anbieten, mit denen sich Oberflächen dauerhaft schützen und Graffiti kostengünstig beseitigen lassen.“

Entfernung beschädigt die Bausubstanz

Helmut Weber, Professor und Gründer des Kompetenzzentrums Bautenschutz und Bausanierung GmbH in Ebersberg bei München erklärt: „Etwa einen Millimeter tief können die Farben in poröses Mauerwerk eindringen. In rauen Sandsteinoberflächen kann sich der Sprühlack regelrecht festkrallen und ist sehr schwer zu entfernen“. Nur mit viel Wasser, versetzt mit speziellen Chemikalien und einem Hochdruckreiniger lässt sich das Graffiti entfernen und trotzdem sind die Konturen von Schriftzügen häufig noch zu erkennen. In solchen Fällen hilft nur Sandstrahlen, um die Schmierereien zu entfernen. Dazu sagt Weber: „Dabei wird natürlich massiv Bausubstanz abgetragen und wenn Sie das bei jeder Graffiti-Aktion machen, geht das zu Lasten des Gebäudes.“

In den USA gibt es bereits ein Wacker-Produkt, das diesen Zweck erfüllt. Gemeinsam mit Kollegen aus der Forschung konnte Anwendungstechniker Hartmut Ackermann die wegweisende Technologie weiter verbessern. „Wie die meisten Anti-Graffiti-Systeme bildet auch unser neues Produkt auf dem zu schützenden Untergrund einen durchgehenden Film, der als Barriere zwischen Untergrund und aufgesprühter Farbe fungiert. Das Graffito kann auf dem Silicon keine dauerhafte Haftung aufbauen und lässt sich somit mit kaltem Wasser und einem Tuch oder mittels Hochdruckreiniger entfernen“, erklärt Ackermann.

Erfolgreiche Tests in Burghausen

Wie gut das funktioniert, belegen Tests in der oberbayerischen Stadt Burghausen. Dort wurde eine Radwegunterführung mit dem neuen Graffitischutz behandelt. Bauhofleiter Albert Günthner sagt dazu „Wir haben bewusst eine Betonwand ausgewählt, die immer wieder mit Graffiti besprüht wird. Die Sprayer bleiben hier meist lange unbemerkt und haben genug Zeit, um sich zu verewigen.“

Der Beamte konnte sich bei der Reinigung der 20 Quadratmeter großen Testfläche von der Wirksamkeit des Graffitischutzes überzeugen. „Früher mussten wir einen Sandstrahler verwenden, um die Betonwände wieder sauber zu bekommen, weil die Farben so tief eindringen. Und das häufige Reinigen greift das Material auch sehr an. Mit dem neuen Anti-Graffiti-Schutz von Wacker reicht ein Hochdruckreiniger mit kaltem Wasser völlig aus. Das war sehr beeindruckend“, lobt Günthner.

Unbedenkliche Inhaltsstoffe und breite Farbpalette

Was für Anwender von Anti-Graffiti-Produkten besonders wichtig ist: Sie sollten gesundheitlich unbedenklich sein und möglichst keine Gefahrstoffe beinhalten. Und gerade hier liegt der Clou des neuen Wacker-Produkts. „Wir haben lange an der richtigen Zusammensetzung gefeilt. Die Formulierung, die wir jetzt entwickelt haben, gewährleistet eine optimale Haftung zum mineralischen Untergrund und ist gleichzeitig so beschaffen, dass sich die Graffiti leicht und rückstandsfrei entfernen lassen“, sagt Ackermann. Statt eines Oxim- und Zinnvernetzers basieren Haftvermittler und Vernetzer des Produkts jetzt auf unbedenklichen Silanen.

Das hochviskose Wirkstoffkonzentrat besitzt eine Konsistenz wie Honig und sollte vor dem Auftrag mit einem Lösemittel verdünnt werden. „Hersteller von Bautenschutzmitteln können auch Pigmente hinzugeben, sodass bunte Anstriche möglich sind“, sagt Kreuzpointner. Wirkstoffgehalt, Viskosität und Farbton lassen sich ganz nach Wunsch einstellen. Auch die Anwendung ist denkbar einfach: Der Graffitischutz wird entweder aufgepinselt, aufgerollt oder gesprüht. Die Farben des Untergrundes wirken durch den Schutzfilm etwas intensiver, die Oberfläche bekommt einen leicht glänzenden Touch.

Auf Beton, Ziegel, Putz, Marmor oder Kalkstein haftet der Anti-Graffiti-Anstrich besonders gut. Wird eine spezielle Grundierung verwendet, lassen sich auch Glas oder Metall schützen. Unter dem Einfluss der Luftfeuchtigkeit härtet der dünne Film von außen nach innen aus. Während dessen verankern sich die Siliconmoleküle im Mauerwerk, indem sie mit den mineralischen Komponenten teilweise kovalente Bindungen eingehen. Zudem vernetzen sich die Silicone untereinander zu einer stabilen, aber elastischen Schutzschicht.

Siliconfilm ist elastisch, UV- und hitzestabil

„Der Schutzfilm ist etwa 0,2 mm dick und lässt sich um bis zu 160 % dehnen, bevor er reißt. Risse und Unebenheiten lassen sich dadurch effektiv überbrücken, und der Untergrund ist dennoch vor Farbschäden geschützt“, erklärt Bautenschutzexperte Ackermann. Die Dehnbarkeit des Silicons ist auch aus einem weiteren Grund wichtig: Baumaterialien stehen ständig unter Spannung. Sie dehnen sich tagsüber aus, wenn sich die Fassade erwärmt, und ziehen sich nachts, wenn es kalt wird, wieder zusammen. Das muss die Schutzschicht dauerhaft verkraften. Eine weitere Herausforderung sind Hitze und UV-Licht: Das Silicon muss auch bei sengender Sonne durchsichtig bleiben und darf nicht vergilben oder verspröden.

Unter Normalbedingungen härtet die Schutzschicht in zwei bis vier Stunden soweit aus, dass die Oberfläche klebfrei ist. Nach sechs Stunden ist sie so fest, dass sie bereits gereinigt werden kann. „Mit einem handelsüblichen Hochdruckreiniger lassen sich die Schmierereien dann problemlos abspritzen“, sagt Ackermann. „Man benötigt dazu in der Regel keine speziellen Chemikalien. Die Schutzschicht ist sogar so schmutzresistent, dass im Prinzip auch ein Schwamm und kaltes Wasser genügen, um die Oberflächen rückstandlos zu reinigen.“ Auch Aufkleber und Plakate finden auf dem Anti-Graffiti-Schutz keinen Halt. Sie lassen sich in den meisten Fällen mühelos mit der Hand abziehen.

Siliconschutz verringert die Oberflächenspannung

Aufwändige und kostspielige Reinigungs- und Sanierungsmaßnahmen werden dadurch überflüssig. Tests bei Wacker in Burghausen zeigen, dass der Anti-Graffiti-Film auch nach 20-maliger Reinigung noch wie neu ist. Die Experten gehen deshalb davon aus, dass die Graffitiprophylaxe – je nach Häufigkeit der Sprühattacken – Jahre, wenn nicht sogar Jahrzehnte hält.

Dass Graffiti so schlecht auf dem Siliconfilm haften, liegt an der besonders geringen Oberflächenspannung des Silicons. Diese Kraft ist der Grund dafür, dass beispielsweise manche Insekten auf der Wasseroberfläche laufen können oder Wasser Tropfen bildet. Weil die aufgesprühten Farben eine deutlich höhere Oberflächenspannung besitzen als die Siliconschicht, haften sie kaum. „Um eine zuverlässige Anti-Graffiti-Wirkung zu erzielen, reichen 200 bis 250 g unseres Siliconprodukts pro Quadratmeter“, erklärt Kreuzpointner. „Dennoch ist der aufgetragene Film wasserdampfdurchlässig und damit wesentlich atmungsaktiver als Polyurethanbeschichtungen, die ebenfalls als permanenter Anti-Graffiti-Schutz eingesetzt werden“, sagt die Wacker-Expertin.

Keine Mikroorganismen dank atmungsaktiver Silicone

Für den Bausachverständigen Weber ist das ein wichtiges Kriterium: „Gerade bei grobporigen Baumaterialien wie Sandstein darf der Feuchtetransport nicht behindert werden, weil es sonst zur Bildung von Mikroorganismen kommt oder Teile der Oberfläche abplatzen können.“ Seit vielen Jahren entwickelt der Chemiker und ehemalige Wacker-Mitarbeiter als unabhängiger Gutachter Konzepte zur Instandhaltung von Gebäuden. „Die Graffiti-Prophylaxe spielt eine immer größere Rolle – gerade, wenn es um Natursteine geht. Diese Oberflächen sind unbehandelt sehr empfindlich und leiden massiv unter häufigen Reinigungsmaßnahmen“, sagt Weber. „Durch geeignete Schutzmaßnahmen lassen sich Gebäude dauerhaft aufwerten. Deswegen berücksichtigen wir in unseren Konzepten auch den Anti-Graffiti-Schutz immer häufiger.“

Der Markt für Graffitischutz wächst jährlich über 6 %

Wie stark Städte und Gemeinden von Graffiti betroffen sind, ist von Region zu Region sehr unterschiedlich. Eines ist aber sicher: Graffiti-Attacken werden immer mehr zum Problem – und das weltweit. „Der Bedarf an wirksamem Anti-Graffiti-Schutz steigt“, erklärt Kreuzpointner. Laut einer US-Studie2 aus dem Jahr 2015 beläuft sich der globale Markt für schmutzresistente Beschichtungen auf 2,3 Mrd. USD. Bis 2026 prognostizieren die Experten ein Wachstum um 6,6 % voraus – mit einem Marktwert von 4,6 Mrd. USD. „Alle großen Farbenhersteller versuchen derzeit, das Graffiti-Problem in den Griff zu bekommen“, sagt Kreuzpointner. „Deshalb stößt unsere Technologie bei unseren Kunden auf besonders großes Interesse.“

Ob mit Anti-Graffiti-Schutz oder ohne – wichtig ist vor allem eines: Ungewollte Schmierereien, Plakate und Co. sollten möglichst rasch entfernt werden. Denn sobald ein Gebäude verschandelt ist, lassen Nachahmer nicht lange auf sich warten. Weitere Informationen zur Anti-Graffiti-Technologie von

Von temporär bis permanent – die wichtigsten Anti-Graffiti-Technologien im Überblick

Bei der Graffitiprophylaxe unterscheidet man temporäre, permanente oder semipermanente Beschichtungen. Temporäre Systeme bestehen aus Wachsen oder Biopolymeren. Der Schutzfilm ist unsichtbar und eignet sich auch für denkmalgeschützte Gebäude. Ein weiterer Vorteil: Die Systeme sind atmungsaktiv. Feuchtigkeit kann also aus der Bausubstanz verdampfen. Einen dauerhaften Schutz bieten die temporären Filme allerdings nicht, weil sie bei jeder Reinigung entfernt und dann vollständig erneuert werden müssen. Selbst ohne Graffiti- Attacke hält die Schicht nur wenige Jahre.

Bei semipermanenten Systemen geht nur eine Schichtkomponente bei der Reinigung verloren. Nach jeder Graffiti-Entfernung und im Turnus von drei bis fünf Jahren muss der Untergrund erneut behandelt werden. Semipermanente Beschichtungen haben den Vorteil, dass man sie kaum sieht und dass sie durchlässig für Wasserdampf sind. Eingesetzt werden oftmals Mischungen aus organischen Wachsen und Fluoralkylsilanen.

Permanente Anti-Graffiti-Systeme bieten den großen Vorteil, dass sie nach der Graffiti- Entfernung intakt bleiben und viele Jahre halten, ohne ihre Schutzwirkung zu verlieren. Allerdings verändern sie das Aussehen des Untergrunds. Zudem versiegeln viele Produkte die Oberfläche und behindern so den natürlichen Feuchtigkeitsaustausch. In der Folge löst sich der Schutzfilm stellenweise ab, sodass es zu Blasenbildungen und Farbabplatzungen kommen kann. Auch Feuchtigkeitsschäden an der Bausubstanz sind möglich. Das neue Wacker-Produkt arbeitet dagegen mit wasserdampfdurchlässigen Siliconen. Dadurch sind solche unerwünschten Nebenwirkungen so gut wie ausgeschlossen.

Die Wand als Leinwand: 5.000 Jahre Graffiti

Erste Formen des Graffito entstanden bereits im Alten Ägypten: gekratzte Schriftzüge auf Felsen, Statuen oder Gräbern. Sie lassen sich bis auf das Jahr 2707 v. Chr. zurückdatieren. Seit jeher tauchen Graffiti in verschiedenen Kulturen auf und geben Aufschluss über die Lebenssituation der Menschen in unterschiedlichen Epochen. Besonders eindrucksvoll sind die Grüße, Sprüche und Zeichnungen in der 79 n. Chr. untergegangen Stadt Pompeij. Im Laufe der Ausgrabungen entdeckten die Forscher mehr als 5.000 Inschriften. Auch der Maya-Kultur können bis etwa 100 v. Chr. Graffiti nachgewiesen werden. Selbst die Wikinger hinterließen auf ihren Plünderungen durch Europa auf Wänden und Hausmauern Bilder und Schriftzüge. 1915 brachte der spätere chinesische Staatspräsident Mao Zedong in den Waschräumen seiner Universität in Changsha eine über 4.000 Zeichen lange Schmähschrift über seine Lehrer und die chinesische Gesellschaft an. Damit hält er den Weltrekord für das Graffito mit den meisten Zeichen. Die heutzutage bekannte Form des Graffito entstand in den 1960er und 1970er Jahren in den Vereinigten Staaten, wo Jugendliche ihre Kürzel, sogenannte Tags, an die Wände malten. Wichtige Vertreter dieser Graffiti-Generation sind Darryl McCray aus Philadelphia, der sich „Cornbread“ nennt, und aus New York der griechische Botenjunge Dimitaki, auch bekannt als „TAKI 183“. Anfang der 1980er Jahre schwappte der Trend nach Europa. Zu den ersten Graffiti-Künstlern zählt Harald Naegeli, der als Sprayer von Zürich Ende der 1970er Jahre weltweit bekannt wurde.

Mit der Popularität stieg auch der künstlerische Anspruch: Während anfangs das Revier einfach mit Spitznamen markiert wurde, existieren heutzutage vom kleinen Smiley bis zum detailgenauen Portrait und bunten Kunstwerk alle möglichen Varianten. Das wohl bekannteste Graffito ist das bereits 1958 entstandene Peace-Zeichen. Seit der Jahrtausendwende geben Firmen oder Kommunen Graffiti auch offiziell in Auftrag. Als größter Star der Graffiti- Künstlerszene gilt der Brite Banksy. Er ist weltweit aktiv und besonders für seine Werke in London und an der Grenzmauer in Jerusalem bekannt. Den Weltrekord für das längste Graffiti hält ein Kunstwerk in Dubai in den Vereinigten Arabischen Emiraten: Es zeigt auf 2.245,4 m Länge die Geschichte des Landes.

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