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Pruvia errichtet Anlage für thermochemisches Recycling im Chemiepark Gendorf

Vom Problemstoff zum Rohstoff: Innovative Pyrolysetechnologie für zirkuläre Kunststoffverwertung

16.04.2025 - Kunststoff ist allgegenwärtig und einer der vielseitigsten Werkstoffe. Er ist Garant für Lebensqualität und stellt zugleich eine der größten Umweltprobleme unserer Zeit dar.

Kunststoff ist allgegenwärtig und einer der vielseitigsten Werkstoffe. Er ist Garant für Lebensqualität und stellt zugleich eine der größten Umweltprobleme unserer Zeit dar. Jedes Jahr wird weltweit mehr als 400 Mio. t Kunststoff produziert – hauptsächlich aus fossilen Rohstoffquellen. Saubere und sortenreine Kunststofffraktionen können mechanisch recycelt werden. Die produzierten Rezyklate haben jedoch eine begrenzte Anwendbarkeit in Kontakt-sensitiven und anspruchsvollen Applikationen. Sie erfahren zudem mit zunehmendem Additivgehalt und Verarbeitungszyklen starke Qualitätsverluste.

Das Fürther Unternehmen Pruvia hat diese Herausforderungen systematisch adressiert und ein innovatives Pyrolyseverfahren entwickelt. Mehr als 25 Jahre angewandte Forschung im Bereich der Vergasungs- und Pyrolysetechnologien durch die technische Direktorin Maria Laura Mastellone bilden hierbei ein äußerst solides Fundament für ingenieurstechnische Umsetzung. 
Das zentrale Element ist ein direkter Energieeintrag durch einen inerten granularen Wärmeträger. Dies erzeugt eine homogene Temperaturverteilung innerhalb des Reaktors. Damit lassen sich gezielt Pyrolysebedingungen schaffen und somit eine konstante Produktqualität gewährleisten. Die am Wärmeträger entstehende Verkokung wird in einem intrinsischen Prozessschritt energetisch verwertet, trägt wesentlich zur Verringerung des Energiebedarfs bei und muss somit nicht als Abfallstoff entsorgt werden. Des Weiteren fällt im gesamten Prozess kein nennenswertes Abwasservolumen an. Dies sind zwei bedeutende Faktoren hinsichtlich technischer Skalierung und ökologischer Verträglichkeit.
Pruvia spricht hier von der MLM-R-Technologie, welche die Initialen der Erfinderin trägt. Sie ist patentiert und hat sich bereits in einer Pilotanlage im Jahr 2020 in der Nähe von Neapel in Italien erfolgreich bewährt. In der verfahrenstechnischen Weiterentwicklung hat das Unternehmen den Fokus auf robuste Skalierung und kontinuierlichen Anlagenbetrieb gelegt. Das Resultat einer technisch schlanken, betrieblich stabilen und wirtschaftlich skalierbaren Lösung wurde in einer Demonstrationsanlage im Jahr 2023 im Chemiepark Leuna realisiert.
Mit Unterstützung des dort ansässigen Fraunhofer-Zentrums für Chemisch-Biotechnologische Prozesse CBPs wurden in zahlreichen Testkampagnen verschiedenste Mischkunststofffraktionen aus Haushaltsabfällen getestet. Der Schwerpunkt lag hierbei auf Polyolefinreichen Abfällen. Mit systematischer Prozessoptimierung konnte eine Produktausbeute zwischen 70 – 80 % bezogen auf den Eingangsstrom erzielt werden.
Über die Abfallcharakterisierung hinaus wurden im Rahmen des Demonstrationsbetriebs auch zentrale verfahrenstechnische Aspekte untersucht – insbesondere hinsichtlich Automatisierung, Prozessführung und Anlagenkonzept. Im Zuge technischer Validierung durch Investoren sowie industrieorientierter Bewertungen wurde der technologische Entwicklungsstand entsprechend etablierter Kriterien mit TRL 8 eingestuft – ein zentraler Meilenstein auf dem Weg zur industriellen Umsetzung.
Auf Basis der gesammelten Betriebserfahrungen und der Validierung des modularen Anlagenkonzepts befindet sich derzeit ein erstes kommerzielles Projekt im Chemiepark Gendorf in der Umsetzung. Die Anlage wird in zwei Ausbaustufen realisiert und soll nach Fertigstellung eine Verarbeitungskapazität von bis zu 70.000 t/a Kunststoffabfall erreichen. Die Standortwahl ermöglicht eine gezielte Einbindung in bestehende Industrie- und Entsorgungsstrukturen sowie die Nutzung von Synergien mit angrenzenden Betrieben. Damit schafft Pruvia die Grundlage für eine wirtschaftlich tragfähige und technisch skalierbare Lösung zur Etablierung zirkulärer Wertschöpfung im industriellen Maßstab. Aufgrund der wirtschaftlich attraktiven Eckdaten, wie geringerem Platzbedarf, niedrigerem Investitionsbedarf in die Anlagentechnik und niedrigeren Betriebskosten erfreut sich die robuste MLM-R Technologie einer hohen internationalen Nachfrage und Aufmerksamkeit.

Pyrolyse: Schlüssel zur Kreislaufwirtschaft
Verschmutzte heterogene Kunststofffraktionen und Laminate sind mit etablierten Recyclingmethoden nicht zu verarbeiten und landen in der Regel entweder in der thermischen Verwertung (Verbrennung) mit entsprechenden CO2-Emission oder zum Großteil weiterhin auf der Deponie. In beiden Fällen ist die Ressource Kunststoff einem linearen Prozess ausgesetzt, bleibt ungenutzt oder ist für immer verloren.
Chemisches Recycling, insbesondere die Pyrolyse, bietet hier einen Ansatz für eine nachhaltige Kreislaufwirtschaft: Statt Kunststoffe werkstofflich zu verwerten, werden sie in einem rohstofflichen Prozess aufgespalten und in sog. Pyrolyseöle konvertiert. Diese Pyrolyseöle können als Sekundärrohstoff in der petrochemischen Industrie fossiles Naphtha ersetzen und für die Herstellung von Grundstoffen der Plastikherstellung eingesetzt werden. Hierbei können eine Vielzahl an Kunststofffraktionen verwertet werden, insbesondere auch schwer verwertbare Mischkunststofffraktionen.
Doch der Weg vom Abfall zum kreislauffähigen Produkt ist technologisch anspruchsvoll. Die Pyrolyse ist ein endothermer Prozess, der bei Kunststoffabfall Temperaturen zwischen 400 °C und 550 °C unter Sauerstoffausschluss erfordert. Dabei werden langkettige Polymermoleküle in kürzere Fragmente gespalten. Das entstehende Pyrolysegas wird im Anschluss kondensiert, chemische und physikalische Eigenschaften werden hierbei durch die Verteilung der Kettenlängen bestimmt. Neben der Zusammensetzung der Eingangsstoffe sind hierbei insbesondere Reaktionsparameter wie Pyrolysetemperatur, Homogenität des Temperaturprofils sowie Verweildauer und Druck ausschlaggebend.
Höhere Temperaturen  > 550 °C → stärkere Zersetzung → mehr kurzkettige Fragmente und nicht-kondensierbare Gase (C1–C4).
 Niedrigere Temperaturen < 400 °C → unvollständiges Cracken → Bildung von langkettigen Paraffinen, Wachsen (C22+).

Herausforderungen und Lösungen der Pyrolyse
Pyrolyse als thermischer Prozess hat insbesondere zwei große He­rausforderungen: Da ist zum einem die niedrige Wärmeleitfähigkeit von Kunststoff, die den effizienten Energieeintrag verhindert, der erforderlich ist, um die Bindungen der Polymermoleküle im Rahmen des Crackprozesses aufzubrechen. Und da ist zum anderen die Verkokung an den Wärmeübergangsflächen, dabei entsteht ein kohlenstoffhaltiger teerartiger Rückstand.
Konventionelle Pyrolyseverfahren – etwa mit beheizten Rührkesselreaktoren – setzen auf indirekten Wärmeeintrag von außen. Dies führt zwangsläufig zu Temperaturgradienten im Reaktor, die wiederum zu inkonsistenten Crackprodukten führen: Bei zu niedrigen Temperaturen dominieren langkettige Parrafine und unvollständige Umsetzungen, bei zu hohen Temperaturen entstehen vorwiegend kurzkettige, teils nicht-kondensierbare gasförmige Verbindungen.
Gegenmaßnahmen wie die Rotation des Reaktorgefäßes oder interne Mischelemente sollen diesen Effekten entgegenwirken – doch diese mechanischen Lösungen stoßen bei steigender Durchsatzleistung an physikalische und betriebliche Grenzen. Hinzu kommt die Problematik der Koksbildung an heißen Oberflächen und insbesondere an besagten Wärmeübergangsflächen. Solche Rückstände lagern sich kontinuierlich an, reduzieren damit den effektiven Wärmeeintrag und beeinträchtigen auch die Konvertierungsleistung. Vor allem aber stellen sie einen kontaminierten, hochkalorischen Abfallstrom dar, der technisch aufwendig abgetrennt und kostenintensiv gesondert entsorgt werden muss. Eine systematische Minimierung der Koksbildung ist daher nicht nur aus prozesstechnischer, sondern auch aus wirtschaftlicher und regulatorischer Sicht essenziell.
Eine der größten Herausforderungen dieser neuen Schlüsselrolle chemischer Recyclingprozesse wie der Pyrolyse liegt im technologischen Spannungsbogen, den Technologieanbieter wie Pruvia überbrücken müssen: Auf der einen Seite steht ein heterogener, makroskopisch definierbarer Abfallstrom – definiert durch prozentuale Zusammensetzung diverser Polymertypen, Feuchtigkeit, Additive sowie organische und anorganische Fremdstoffe. Auf der anderen Seite verlangt die petrochemische Industrie ein chemisch definiertes Produkt, mit Anforderungen auf molekularer Ebene, chemisch physikalische Eigenschaften wie Siedeverhalten, Viskosität und Heteroatomgehalt im ppm-Bereich.
Die Herausforderung, diese zwei industriellen Welten miteinander zu verbinden, erfordert umfassendes Verständnis von Recyclingtechnologien, Polymerchemie, chemischer Verfahrenstechnik sowie fundierter Kenntnis der stofflichen Anforderungen in der petrochemischen Weiterverarbeitung. Das Fürther Unternehmen positioniert sich mit seiner Technologie an der Schnittstelle zwischen Recyclingindustrie und Petrochemie.

Andreas Kurz, COO, Pruvia, Fürth

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