Gewicht unter Kontrolle - Herstellung von Inkretinmimetika
Entsprechend intensiv investieren pharmazeutische Hersteller in die Entwicklung und Herstellung. Eine zeitnahe Vermarktung erfordert jedoch integrierte Prozesse. Systemanbieter stehen als technologische Partner besonders hoch im Kurs, versprechen sie doch die benötigte Flexibilisierung der hochvolumigen Produktion.
Diabetes Typ 2 und Adipositas sind nicht nur weit verbreitet, sondern bedingen sich teilweise: Wer an Adipositas leidet, hat ein erhöhtes Risiko, an Diabetes Typ 2 zu erkranken. Schätzungen der International Diabetes Federation zufolge leben derzeit weltweit 540 Mio. Menschen mit Diabetes, davon mehr als 90 % mit Typ 2. Ungleich umfassender fallen die Zahlen zur weltweiten Verbreitung von Adipositas aus: Die World Obesity Federation geht davon aus, dass bis 2035 rund vier Milliarden Menschen – und damit die Hälfte der aktuellen Weltbevölkerung – stark übergewichtig sein könnten.
So unterschiedlich Verteilung und Krankheitsbilder sein mögen, so dringend benötigen Patientinnen und Patienten eine wirksame Kontrolle: Steht bei adipöse Menschen eine kontrollierte Gewichtsabnahme im Vordergrund, erfordert Diabetes Typ 2 eine regulierte Freisetzung von Insulin. Patienten mit Typ 2 können Insulin zwar selbst herstellen, häufig jedoch nicht in ausreichenden Mengen. Arzneimittel auf Basis von Inkretinmimetika erweisen sich bei beiden Indikationen als wirkungsvolle Therapieoption. Die Präparate verzeichnen eine erhöhte Nachfrage, da sie aufgrund jüngster Zulassungen neben Diabetes auch zur Gewichtskontrolle eingesetzt werden dürfen: 2022 gab die EU-Kommission grünes Licht für die Vermarktung des Semaglutid-Präparates Wegovy des Herstellers Novo Nordisk, das die US-amerikanische FDA ein Jahr zuvor für den nordamerikanischen Markt zugelassen hatte. Seit 2024 darf Novo Nordisk Wegovy zudem für die Behandlung von Herzkrankheiten vermarkten. Unter dem Markennamen Ozempic brachte Novo Nordisk das Semaglutid erstmals Ende 2017 zur Senkung des Blutzuckerspiegels auf den US-amerikanischen Markt. Seit 2018 ist Ozempic in Deutschland in dieser Indikation erhältlich. Eli Lilly, ein weiterer wichtiger Akteur im Bereich Gewichtsmanagement und Diabetestherapie, brachte seinen GIP- und GLP-1-Agonisten Mounjaro für Typ-2-Diabetes erstmals 2022 auf den Markt, nachdem die FDA diesen im selben Jahr zugelassen hatte. Unter dem Markennamen Zepbound vermarktet Eli Lilly sein Präparat für Typ-2-Diabetes seit 2023 auch zur Gewichtskontrolle.
Hormonell gesteuertes Abnehmen
Die hochdosierten, subkutan injizierbaren Medikamente – im Volksmund als Abnehmspritze bekannt – erfordern teilweise eine nur einmalige Verabreichung pro Woche. Autoinjektoren oder Pens ermöglichen eine niedrigschwellige Selbstmedikation: Durch einfaches Drücken verabreichen sich die Patientinnen und Patienten die exakte Dosis ihres Arzneimittels. Medikamente auf Basis von Inkretinmimetika verdanken ihren Erfolg jedoch nicht allein der praktischen Handhabung: Klinische Studien konnten nachweisen, dass die Produkte Gewichtsreduktionen von über 15 % innerhalb weniger Monate ermöglichen. Dazu beeinflussen die rekombinant hergestellten Wirkstoffe das Hungergefühl: Indem sie die Produktion des Hormons Inkretin im Organismus anregen, fühlen Patientinnen und Patienten sich länger satt.
Die wenigen bisher zugelassenen Präparate zur Gewichtskontrolle mit einmal wöchentlicher Einnahme – Wegovy von Novo Nordisk und Mounjaro/Zepbound von Eli Lilly – haben indes einen regelrechten Wettlauf um weitere Medikamente entfacht: Laut Globaldata befanden sich Anfang 2024 mehr als 50 Arzneimittel, die auf denselben Mechanismus abzielen, bei über 40 Unternehmen in der klinischen Prüfung. Der Großteil der Produkte ist injizierbar, einige werden oral verabreicht. Die Flüssigformulierungen sollen entweder als Fertigspritze im Autoinjektor oder als karpulenbasierte Pens auf den Markt kommen. Bei Novo Nordisk und Eli Lilly erfolgte die Markteinführung im Autoinjektor. Novo hat jedoch die Zulassung der European Medicines Agency (EMA) für beide Darreichungsformen. Anders als Autoinjektoren lassen Pens sich bis zu fünf Mal nutzen. Lediglich die Nadeln wechseln Patientienten vor jeder Anwendung aus. Dieser Schritt entfällt wiederum bei den einmalig verwendeten Autoinjektoren.
Herausforderung Glaszylinder
Karpulen – die Hauptkomponente von Pens – stellen herstellende Unternehmen jedoch vor ganz eigene Herausforderungen: Anders als die vorsterilisierten, gebrauchsfertigen (RTU) Spritzen von Autoinjektoren handelt es sich bei den Glaszylindern meist nicht um vorsterilisierte Packmittel, die in großen Mengen simultan verarbeitet werden. Hersteller müssen deshalb normalerweise eine sterile Einzelabfüllung gewährleisten, die neben einer hohen Ausbringung auch eine flexible Montage und Inspektion umfasst – sowie weitere vorgelagerte Schritte wie das Reinigen, Silikonisieren und Sterilisieren.
Reinigungsmaschinen im hohen Leistungsbereich ebnen den Weg zu einer aseptischen Abfüllung: Die Systeme entfernen Produktrückstände und andere Verunreinigungen von den Innen- und Außenseiten der Behältnisse. Potenziell schädliche Substanzen können die Sicherheit von Bedienerinnen und Bedienern und Patienten damit nicht länger beeinträchtigen. Zur gründlichen Reinigung trägt in fortschrittlichen Systemen eine Vorbehandlung im Ultraschallbad bei. Flexible Konfigurationen von Reinigungsstationen ermöglichen zudem produktspezifisches und effizientes Reinigen. Für den Fall, dass Hersteller auf großvolumige RTU-Kartuschen setzen, lassen dieselben Systeme sich an diesen Behältnistyp anpassen. Die Folge sind schlankere Prozesse ohne die oben genannten vorgelagerten Schritte.
Moderne Reinigungssysteme gewährleisten zusätzlich die Silikonisierung der Karpulen. Die dünne Silikonschicht im Inneren der Behältnisse hat großen Einfluss auf die Geschwindigkeit des Gummistopfens beim Verabreichen und damit auf den Druck des verabreichten Medikaments: Bei Innenwänden mit zu viel Silikon gleiten die Stopfen zu schnell; der Druck im Gewebe der Patienten steigt übermäßig. Zu wenig Silikon kann hingegen dazu führen, dass der Stopfen zu langsam gleitet und das Präparat nur unzureichend ins Gewebe gelangt. Sterilisationstunnel auf dem neuesten Stand der Technik fixieren die Silikonschicht dank gleichmäßiger Hitzeverteilung und Sterilisationsgeschwindigkeit.
Hochvolumiges Füllen und Verschließen
Um die weltweit hohe Nachfrage adäquat zu bedienen, gehören leistungsstarke Füll- und Verschließmaschinen mit 600 Objekten pro Minute zur Standardausrüstung wettbewerbsfähiger Hersteller. Mit hohen Stückzahlen allein lassen sich die Anforderungen einer effizienten Produktion jedoch nicht erfüllen: Wegen der oft kleinen Öffnung der Behältnisse muss die Befüllung möglichst präzise erfolgen. Gängige Anlagenkonzepte beinhalten deshalb Zeit-Druck-Füllsysteme (ZDF) mit einer großen Anzahl an Füllstationen. Aus guten Gründen: Die empfindlichen GLP-1-Agonisten erfordern Abfüllmethoden wie ZDF, die sie keinen thermischen und mechanischen Belastungen aussetzen. Nachdem die Karpulenstopfen gesetzt und mit einem Sensor auf korrekte Position geprüft wurden, erfolgt die Füllung an separaten Stationen. Zur größtmöglichen Präzision setzen führende Technologieanbieter auf Sensorbefüllung. Diese hilft dabei, den optimalen Füllstand zu erzielen und Luftblasen in der Flüssigkeit zu vermeiden, wodurch sich kostspieliger Ausschuss reduzieren lässt.
Aufgrund der hohen Sterilitätsanforderungen erfolgt die Abfüllung von Karpulen in Produktionsumgebungen, die eine strikte Trennung von Arzneimittel und Bedienpersonal sicherstellen. Letztere hat durch die Neufassung des EU GMP Annex 1 an Bedeutung gewonnen: Isolatortechnik wird sich langfristig als Standard in der Abfüllung etablieren, da sie automatische Biodekontaminationsprozesse und eine stabile Druckdifferenz zur Bedienerumgebung gewährleistet.
Montage nach Maß
Die befüllte und verschlossene Karpule bildet das Herzstück des Pens, den spezielle Montagemaschinen zusammensetzen, idealerweise mit flexiblen Plattformen. Der Grund: Die zahlreichen Pen- und Injektortypen am Markt haben zwar ähnliche Komponenten, variieren jedoch hinsichtlich Größe, Material und Form. Führende Maschinenhersteller haben in enger Zusammenarbeit mit ihren Kunden die ideale Mischung aus Standardisierung und Individualisierung entwickelt. Das Ergebnis sind Plattformen, die sich entsprechend der Flexibilitäts- und Kapazitätsbedarfe der Hersteller konfigurieren lassen und sowohl Autoinjektoren als auch Pens verarbeiten können.
Gängige Pen-Montagemaschinen sind für vierteilige Standard-Einwegpens ausgelegt, die aus einer Pen-Kappe, einem Karpulenhalter, der Karpule und einem Dosiermechanismus bestehen. Diese Lösungen bieten Unternehmen die Wahl zwischen manueller, halb- und vollautomatischer Montage bei schneller, werkzeugloser Umrüstung. Für erste klinischen Versuche erweisen sich kleine, manuelle Arbeitsstationen als ideale Lösung. Sobald die kommerzielle Produktion ansteht, kommen halb- oder vollautomatische Montageanlagen zum Zug. Dank des skalierbaren Ansatzes lässt sich die Prozessvalidierung von einer Montageplattform auf eine andere übertragen. Das Ergebnis sind vielseitige Prozesse mit minimalen Stillstandzeiten zwischen den Chargen, die eine zeitnahe Vermarktung begünstigen.
Behältnisse ohne Riss und Tadel
Damit Karpulen auf dem Weg zu den Patienten oder während des Gebrauchs nicht zu Bruch gehen, kommt der Inspektion eine wichtige Rolle zu. Sie bildet den Dreh- und Angelpunkt für die Patientensicherheit und ist bei parenteral verabreichten Medikamenten regulatorisch vorgeschrieben. Hohe Stückzahlen erfordern vollautomatische wie hochflexible Anlagen für eine umfassende Prüfung: Unterschiedliche Systeme für die visuelle Inspektion und Dichtigkeitsprüfung – idealerweise auf einer Plattform – ermöglichen die exakte Kontrolle von Behältnissen auf kosmetische Defekte, intrinsische und extrinsische Verunreinigungen sowie undichte Verschlüsse. Angesichts des weltweiten steigenden Bedarfs an Präparaten zur Gewichtskontrolle, aber auch aufgrund der zu erwartenden Fokussierung auf die Karpule werden solche Systeme an Bedeutung gewinnen – und mit ihnen noch flexiblere, sicherere und effizientere Prozesse entlang der gesamten Wertschöpfungskette.
Autor:
Markus Burkert, Produktmanager bei Syntegon