Strategie & Management

Fokus auf Daten & Digital

Roche treibt digitale Transformation mit umfassender Konzernstrategie voran

16.10.2024 - Der Schweizer Pharma- und Biotechkonzern Roche setzt auf Daten und Digitalisierung für schnellere Innovationen bei Medikamenten und Diagnostika.

In seiner 125-jährigen Geschichte hat sich Roche zu einem der weltweit größten Pharma- und Biotechnologieunternehmen sowie zu einem führenden Anbieter von In-vitro-Diagnostik entwickelt. Zudem ist der Baseler Healthcare-Konzern ein globaler Lieferant für transformative Lösungen in bedeutenden Krankheitsbereichen und konzentriert sich auf die Entwicklung neuer Medikamente und Diagnostikmethoden sowie auf datengestützte Erkenntnisse, die die medizinische Praxis weiterentwickeln. Im Rahmen der CHEManager-Serie über Digitalisierungsstrategien von Chemie- und Pharmaunternehmen sprach Stefan Guertzgen mit Steve Guise, Leiter Informatik für die Geschäftsbereiche bei Roche, über die Rolle der digitalen Transformation zur Unterstützung der Konzernstrategie.

CHEManager: Wie wichtig ist die Digitalisierung für die zukünftige Strategie und Wettbewerbsfähigkeit von Roche?

Steve Guise: Sie ist essenziell. ‚Daten & Digital‘ ist einer der zentralen Pfeiler unserer zukünftigen Ambitionen. Dies gilt sowohl auf Gruppenebene als auch auf Abteilungsebene und da sowohl für die Pharma- als auch die Diagnostiksparte.

Wo steht Roche in Bezug auf die Umsetzung der digitalen Strategie? 

S. Guise: Es ist nicht neu, dass ‚Daten & Digital‘ ein großer Fokusbereich für Roche ist. Wir haben in den letzten zehn Jahren Digitalisierungsinitiativen in unseren Pharma- und Diagnostikabteilungen umgesetzt, ebenso in unseren Konzernfunktionen wie Finanzen, Beschaffung, Personalwesen, Recht und Informatik. Neu ist jedoch, dass wir nun eine umfassendere End-to-End-Gruppenstrategie im Bereich Daten & Digital aufbauen. Historisch gesehen lagen unsere Investitionen in diesem Bereich primär auf Effizienzsteigerungen und Optimierungen in den Abteilungen und Funktionen. Jetzt gibt es jedoch eine klare Verschiebung hin zu Sy­nergien über die Abteilungen und die gesamte Roche-Gruppe hinweg. Dieser Ansatz wird uns helfen, unsere F&E-Bemühungen zu beschleunigen und letztendlich Medikamente und Diagnoseprodukte schneller auf den Markt zu bringen.

Wo sehen Sie die größten Potenziale durch die Digitalisierung?

S. Guise: Wir sehen Chancen für Produktivität und Effizienz entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Es gibt viele inkrementelle Vorteile auf Abteilungsebene, aber auch die Möglichkeit, unsere Betriebsweise als Unternehmen grundlegend zu überdenken.
Im Pharmabereich sehen wir im Bereich der Arzneimittelforschung einen geschlossenen Kreislauf, bei dem Vorhersagen, Experimente, Analysen und Modellierungen ein neues Paradigma bilden werden, das große Innovationssprünge ermöglicht. Im Bereich der Entwicklung geht es darum, eine schnelle und effiziente Maschinerie zu schaffen, um klinische Studien effizient durchzuführen und bereit zu sein, unsere Daten weltweit bei den Regulierungsbehörden einzureichen. Wir haben unsere persönlichen Interaktionen durch unseren Omni-Channel-Ansatz für das Kundenengagement ergänzt. Dieser Ansatz zielt darauf ab, Kunden über ihre bevorzugten Kanäle anzusprechen, um sicherzustellen, dass wir die kostbaren Gelegenheiten zur Einbindung unserer Stakeholder maximieren. Schließlich erfahren unsere Produktion und Lieferkette signifikante Investitionen in die Digitalisierung. Das bedeutendste dieser Projekte ist unser Programm Aspire, das eine komplett neue digitale S/4HANA-Infrastruktur einführt.
Wir wissen, dass Patienten unsere innovativen Medikamente dringend benötigen, und wir nutzen die Digitalisierung, um die Zeit bis zum Zugang zu unseren Produkten zu verkürzen.
Im Bereich Diagnostik ist einer unserer größten Wertvorteile unser Kundenservice: Wie wir mit Laboren, die unsere Produkte verwenden, interagieren, wie wir unsere Instrumente warten und wie wir sie proaktiv instandhalten, um Ausfallzeiten zu vermeiden. Dies sind Prioritätsbereiche, in denen uns prädiktive Algorithmen helfen, zu verstehen, welche Teile unserer Geräte ersetzt werden müssen. Dies ermöglicht es, die Versorgung mit Teilen und Reagenzien zu optimieren und letztlich der bevorzugte Partner für unsere Kunden in Sachen Service zu bleiben.

Welche Rolle spielen innovative Technologien in Ihrer Digitalisierungsstrategie? Können Sie das anhand von Beispielen erläutern?

S. Guise: Wir evaluieren jede aufkommende Technologie und positionieren sie für die richtigen Anwendungsfälle zur passenden Zeit. Generative KI – auf Englisch: Generative AI oder kurz GenAI – ist ein großes Thema, in dem sich die Umgebung sehr schnell verändert. KI befindet sich auch am Höhepunkt des Hype-Zyklus, daher bin ich sicher, dass es in naher Zukunft einige Enttäuschungen geben wird. Nichtsdestotrotz bietet dieses Feld erhebliche Chancen und wird in den kommenden Jahren ein aktiver Bereich für uns sein. So fokussieren wir uns bspw. in der Entwicklung von Arzneimitteln auf neue Ansätze, die innovative Moleküle hervorbringen und die wir auf andere Weise nicht hätten entdecken können. Hier wollen wir GenAI für die Identifikation von Zielstrukturen und das Moleküldesign einsetzen. Unsere Genentech-Forschungs- und Frühentwicklungs-Teams – kurz: gRED – beschäftigen sich intensiv mit diesem Thema. In diesem Zusammenhang sind wir auch eine Partnerschaft mit Nvidia eingegangen, um deren Chipsets zu nutzen und unsere GenAI-Algorithmen zu verbessern.
Blockchain hingegen liegt für uns fast schon in der Vergangenheit. Wir haben einen Punkt erreicht, an dem die Anwendungsfälle für Blockchain begrenzt sind, und die verbleibenden Fälle betreffen Situationen, in denen man eine unabhängige Drittpartei benötigt, die Aktivitäten zwischen verschiedenen Akteuren und einem Ökosystem aufzeichnet. Obwohl das Gesundheitswesen eine gute Gelegenheit bietet, ist Blockchain eine teure rechnerische Lösung und nicht umweltfreundlich. Roche legt großen Wert auf Nachhaltigkeit, und wir versuchen, Blockchain nur dann einzusetzen, wenn es notwendig ist.

Die digitale Transformation eines Unternehmens wie Roche ist ein ambitioniertes Unterfangen. Was ist Ihrer Meinung nach der entscheidende Erfolgsfaktor?

S. Guise: Der wichtigste Erfolgsfaktor war und ist immer das Talent unserer Mitarbeiter. Wir betreiben viel Aufwand, um Zugang zu den besten Talenten und den besten Fähigkeiten an den richtigen Standorten zu bekommen. In der durchschnittlich 40-jährigen Karriere eines Technologieexperten wird es wahrscheinlich fünf oder sechs technologische Revolutionen geben, die ein erhebliches Upskilling und Reskilling erfordern. Wir werden nur dann die Chancen, die diese Technologien bieten, nutzen können, wenn wir über eine Belegschaft verfügen, die die erforderlichen Fähigkeiten besitzt. Der Zugang zu Technologie ist für uns eigentlich kein Problem. Wir haben die finanziellen Mittel, um jede Technologie zu erwerben, die wir brauchen; die Frage ist, ob wir diese Technologie auch intern wirklich nutzen können.
Wenn man sich die Standorte ansieht, an denen wir weltweit tätig sind, ist es ein sehr wettbewerbsintensives Umfeld für Talente. Folglich investieren wir viel in unsere großartigen Informatiktalente, um sie für neue Technologien weiterzubilden und umzuschulen. Zum Beispiel haben wir eine Tech University innerhalb der Informatik, in der wir Tausende von Menschen in den Fähigkeiten, die wir künftig benötigen, ausbilden. Dies ist ein großes Ziel für uns, jetzt und in der Zukunft.

Lassen Sie uns zum Schluss einen Blick in die Zukunft werfen: Wo sehen Sie Roche hinsichtlich der Digitalisierung in einigen Jahren?

S. Guise: Wir werden in den kommenden Jahren weiterhin stark in Technologie, Daten und Digitalisierung investieren. Wie bereits erwähnt, ist dies Teil unserer Strategie. Unsere internen Prozesse und unser F&E-Motor werden in drei bis fünf Jahren anders aussehen. Wir werden eine Art Lernschleife ermöglicht haben, in der Algorithmen helfen, ein Molekül zu entwerfen, das wir dann in der realen Welt testen und die Erkenntnisse wieder in die Algorithmen zurückführen, wodurch ein positiver Kreislauf des Lernens entsteht. Dies wird in Zukunft unsere Forschung & Entwicklung antreiben.
Bis dahin werden wir auch unsere S/4HANA-Implementierung abgeschlossen haben, die eine viel effizientere End-to-End-Wertschöpfungskette in beiden unserer Divisionen und neue Geschäftsmodelle ermöglicht. Wir können dann in Echtzeit intelligente Geschäftsprozesse aufbauen und mehr Automatisierung einführen, die unser Talent freisetzt, uns auf wertschöpfendere Aktivitäten zu konzentrieren.

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Zur Person

Steve Guise, seit Mitte 2022 Head of Business Domains, Informatics, kam 2008 als Standortleiter für Pharmaforschungsinformatik in Basel zu Roche. Anschließend hatte er einige Schlüsselpositionen inne, darunter als globaler Leiter für wissenschaftliche Informationssysteme und Leiter der Pharma-IT für den asiatisch-pazifischen Raum, bevor er 2016 CIO der Pharmadivision von Roche wurde. Guise hat einen Master-Abschluss in Chemie von der Universität St. Andrews, Großbritannien. Seine Berufslaufbahn begann er 1997 bei AstraZeneca und wechselte 2004 zu UCB.

 

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