Chemie & Life Sciences

Chancen für nachhaltige Innovationen

Chemikalien müssen in Care-Chemicals-Produkten ihre Wirkung entfalten, ohne die Umwelt zu belasten

16.10.2024 - Die Care-Chemicals-Industrie beliefert ihre Kunden mit Produkten, die durch ihre Formulierung eine reinigende, schützende oder reparierende Wirkung haben.

Die Care-Chemicals-Industrie beliefert ihre Kunden mit Produkten, die durch ihre Formulierung eine reinigende, schützende oder reparierende Wirkung haben. Es handelt sich dabei um konsumentennahe Lösungen, die in uns bekannten Endprodukten resultieren: Shampoos, Duschgel, Hautcremes oder Waschmittel, Haushaltsreiniger oder Geschirrspülmittel.
 
Die Hauptabnehmerbranchen von Care-Chemicals-Produkten sind Kosmetik und Körperpflege sowie Wasch- und Reinigungsmittel für den privaten, industriellen und in­stitutionellen Gebrauch (z. B. Großküchen, Gastronomie, Krankenhäuser, öffentliche Gebäude). Zudem ist für den BASF-Geschäftsbereich Care Chemicals ein weiteres Segment von hoher Relevanz – Industrial Formulators, also Industrien, die Care-Chemicals-Produkte wie bspw. Polymere oder Tenside in ihren Formulierungen benötigen. Dazu zählen u. a. Pflanzenschutz, Bauchemikalien und Lacke & Klebstoffe.
Die Care-Chemicals-Industrie stellt weltweit jährlich funktionelle Chemikalien im zweistelligen Millio­nentonnenmaßstab her. Bei diesem Volumen an Inhaltsstoffen, die in Produkten des täglichen Gebrauchs landen, ist der Anspruch besonders hoch, nicht nur den gewünschten Effekt zu erzielen, sondern dabei auch keinen negativen Einfluss auf die Umwelt auszuüben. Dies bringt eine Reihe von Herausforderungen mit sich. Eine davon besteht darin, eine effektive Wirkung zu erzielen und gleichzeitig Nachhaltigkeitsvorteile zu steigern und das Produkt zu Kosten zu vertreiben, die für den Endverbraucher erschwinglich sind. Gleichzeitig bietet diese Herausforderung aber auch Chancen für Differenzierung und Wachstum in der Marktentwicklung.

„Die Transformation der chemischen Industrie hin zu Klimaneutralität geht mit signifikanten Kosten einher, die nur entlang der gesamten Wertschöpfungskette geschultert werden können.“

Herausforderung Nummer 2: Jede Abnehmerbranche hat verschiedene Schwerpunkte bei ihren Nachhaltigkeitsbestrebungen. Aufgrund der deutlich größeren Volumina liegt der Fokus bei Wasch- und Reinigungsmitteln vorwiegend auf Treibhausgasemissionen. Für Kosmetik und Personal Care, deren Produkte mit dem menschlichen Körper direkt in Kontakt kommen, sind dagegen bspw. milde und natürliche Inhaltsstoffe und der schonende Umgang mit der Ressource Wasser sehr wichtig.

Ambitionierte Nachhaltigkeitsziele
In den Jahren 2020 und 2021 haben sich global führende Unternehmen der Fast-Moving-Consumer-Goods-Industrie [Anm. d. Red.: Fast Moving Consumer Goods (FMCG) sind Konsumgüter des alltäglichen Bedarfs, die von einer schnellen Warenrotation gekennzeichnet sind, da sie oft nachgekauft werden] sehr ambitionierte Nachhaltigkeitsziele gesetzt. Um diese Ziele zu erreichen, werden Lösungen aus der Care-Chemicals-Indus­trie sowie der Verpackungsindustrie benötigt. Hier liegen weitere Herausforderungen und Chancen. Die Verbraucher machen keine Kompromisse bei der Leistung der von ihnen gewählten Produkte. Nachhaltigkeit liegt ihnen zwar am Herzen, doch anders als z. B. bei der Reinigungskraft spürt der Verbraucher beim Gebrauch des Produkts nicht, ob das Produkt weniger Treibhausgase emittiert. Das erschwert es, beim Verbraucher ein Verständnis dafür zu schaffen, für Produkte mit höheren Nachhaltigkeitsaspekten mehr zu bezahlen. 
Gleichzeitig geht die Transformation der chemischen Industrie hin zu Klimaneutralität mit signifikanten Kosten einher, die nur entlang der gesamten Wertschöpfungskette geschultert werden können. Dabei ist es wichtig, dass der Verbraucher dies nachvollziehen kann. Grüner Strom oder Elektromobilität zeigen, dass dieser Schritt gelingen kann. Wenn die eher abstrakten Nachhaltigkeitsattribute wie verminderte Treibhausgasemission oder Verzicht auf fossilen Kohlenstoff mit Merkmalen verknüpft werden, die beim Gebrauch des Produkts wahrgenommen werden, wie eine verbesserte Reinigungsleistung oder eine ansprechendere Sensorik, gelingt es leichter, zu starken und fundierten Claims zu kommen, die auch eine verbesserte Nachhaltigkeit vermitteln und die für den Verbraucher einen greifbaren Wert darstellen.

„Die Care-Chemicals-Industrie hat den Anspruch, mit ihren Inhaltsstoffen nicht nur den gewünschten Effekt zu erzielen, sondern dabei auch keinen negativen Einfluss auf die Umwelt auszuüben.”


Zugang zu nichtfossilen Kohlenstoffquellen
Ein zentrales Thema sind die Treibhausgasemissionen. Die chemische Industrie ist energieintensiv und verursacht etwa 7 % der globalen Treibhausgasemissionen. Einen deutlich höheren Anteil haben global betrachtet etwa die Sektoren Land- und Forstwirtschaft (22 %) und Verkehr (15 %). Daher ist es wichtig, ein Spezifikum der chemischen Industrie nicht zu vernachlässigen: Die Chemie wird auch weiterhin Kohlenstoff benötigen, nicht unbedingt als Energieträger, aber als Rohstoff. Um fossilen Kohlenstoff durch Kohlenstoff aus nachwachsenden oder recycelten Ressourcen zu ersetzen, benötigt die chemische Industrie im Wettbewerb mit anderen Industrien einen fairen und ausreichenden Zugang zu den entsprechenden nichtfossilen Kohlenstoffquellen. Ebenso müssen die Kohlenstoffbilanzierungssysteme (Carbon Accounting) den Einsatz biogenen oder recyclierten Kohlenstoffs reflektieren und belohnen. Hier liegen also weitere Herausforderungen auf der regulatorischen Seite.

Kreativität und Innovationskraft
Doch es sind diese Herausforderungen, die immer wieder Kreativität und Innovationskraft antreiben. Die globale chemische Industrie bewegt ca. 700 Mio. t Kohlenstoff pro Jahr und verbraucht noch einmal ca. 80 Mio. t Kohlenstoff zur Energieerzeugung. Bisher stammen diese 780 Mio. t zu einem großen Teil aus fossilem Kohlenstoff. Daraus entstehen jährlich ca. 2,9 Mrd. t CO2-Emissionen: Rund 300 Mio. t direkt bei der energetischen Nutzung und weitere 2,6 Mrd. t bspw. aus Abfallströmen oder wenn chemische Produkte nach ihrer Nutzung (End of Life) durch biologischen Abbau wieder in CO2 umgewandelt werden. 
Die Lösung liegt auf der Hand: Der Energiebedarf muss aus erneuerbaren Energiequellen gedeckt und die 700 Mio. t Kohlenstoff müssen im Kreislauf geführt werden. Dabei spielt CO2 eine tragende Rolle. Es muss – unter Einsatz erneuerbarer Energie – in den Kreislauf zurückgeführt und als Rohstoff eingesetzt (CCU) oder aus dem Kreislauf, z. B. durch Sequestrierung (CCS), entfernt werden. Mit einer Reihe strategischer Projekte treibt BASF diesen Transformationsprozess seit einigen Jahren voran. Ein Baustein ist die Förderung von Windenergie mit BASF-Beteiligung an Offshore Windparkprojekten wie Hollandse Kust Zuid oder Nordlicht 1 & 2 mit insgesamt über 3 GW installierter Leistung. Ein anderer Baustein ist die Elektrifizierung von chemischen Prozessen, d. h. der Ersatz fossiler Brennstoffe durch grünen Strom, wie z. B. beim eFurnace, einem elektrisch beheizten Steamcrackerofen, oder der elektrolytischen Erzeugung von Wasserstoff.
Der Unternehmensbereich Care Chemicals und damit Kunden im Consumer-Goods-Segment können über das breite Care-Chemicals-Portfolio von dieser Transformation profitieren. Sowohl die Umstellung auf erneuerbare Energie wie auch der Einsatz von nachwachsendem Kohlenstoff ermöglichen es, den Product Carbon Footprint (PCF) dieser Produkte signifikant zu verringern und langfristig ganz auf Netto Null zu bringen. Einsparungen von fossilen Rohstoffen lassen sich durch Recycling erzielen. Kohlenstoff in Kunststoff lässt sich z.B. durch mechanisches Recycling sammeln, zerkleinern und in die Herstellung neuer Plastikmaterialien zurückführen. Kunststoffabfall, der dafür nicht geeignet ist, lässt sich im chemischen Recycling über einen Pyrolyseschritt, die Depolymerisation oder die Gas­ifizierung wieder in einen Rohstoff umwandern, der in die chemischen Wertschöpfungsketten zurückgeführt werden kann. 
Etwas komplexer ist es mit CO2 , da es als Gas schwerer zu fassen ist, insbesondere, wenn es sehr verdünnt in der Atmosphäre vorliegt. Die Technologien, um CO2 wieder in einen Rohstoff für die chemische Erzeugung wie z. B. Synthesegas oder Methanol zurückzuführen, existieren bereits. Sie benötigen jedoch große Menge erneuerbarer Energien zu wettbewerbsfähigen Kosten. Für die nächsten Dekaden wird die Herausforderung darin bestehen, diese bereitzustellen. 
Chemische Wertschöpfungsketten mit Netto-Null-Emissionen sind möglich und die Antwort liegt in einer wettbewerbsfähigen Versorgung mit erneuerbaren Energien und nichtfossilen Kohlenstoffquellen. Auch wenn es noch einige Jahre sind, bis die ersten Netto-Null-Ziele der in der Care-Chemicals-Industrie tätigen Unternehmen fällig werden, muss die gesamte Wertschöpfungskette schon jetzt mit der Transformation beginnen. Die notwendigen Investitionen in Kapazitäten für erneuerbare Energien und nachwachsende Kohlenstoffquellen müssen vom Markt angestoßen werden und benötigen einige Jahre Vorlaufzeit, bevor sie tatsächlich verfügbar sind. Daher ist es jetzt an der Zeit, zu handeln.

Matthias Maase, Global Director Sustainability, Care Chemicals, BASF, Ludwigshafen

Quellenangaben können beim Autor angefordert werden.

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Zur Person

Matthias Maase, seit 2023 Global Director für Nachhaltigkeit bei Care Chemicals, ist seit 25 Jahren für BASF tätig. Er absolvierte sein Chemiestudium mit anschließender Promotion an der Universität Heidelberg und am Max-Planck-Institut in Mülheim a.d. Ruhr. Nach einem Forschungsaufenthalt an der ETH Zürich begann er seine berufliche Laufbahn in der chemischen Forschung und Entwicklung bei BASF. Dort hatte er verschiedene Marketingpositionen im Unternehmensbereich Intermediates inne, u.a. als Leiter New Business Development in Nordamerika. 2010 wechselte Maase zu Care Chemicals, wo er seither verschiedene Positionen im globalen Key Account Management für Kunden in den Bereichen Hygiene, Personal Care und Home Care bekleidete.

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