Anlagenbau & Prozesstechnik

Wie die Circular Economy den Klimawandel stoppt: Chemische Verfahrenstechnik als Schlüssel

Das Dechema-Statuspapier beleuchtet den Weg zu nachhaltiger Kreislaufwirtschaft und erklärt, wie Biotechnologie und chemische Technik die Rohstoffversorgung der Zukunft sichern.

11.10.2024 - Woher kommen die Rohstoffe der Zukunft? Wie reduzieren wir Abfälle und bekämpfen gleichzeitig den Klimawandel? Diese Fragen stehen im Zentrum der Circular Economy, deren Hauptziel es ist, Stoffkreisläufe zu schließen. Ob seltene Metalle, Wasser oder Kohlenstoff – die Circular Economy fokussiert auf die Wiederverwendung von Ressourcen. Doch das System ist komplex und umfasst zahlreiche miteinander verknüpfte Kreisläufe. Ein aktuelles Dechema-Statuspapier analysiert dieses Geflecht aus der Perspektive der Biotechnologie und der chemischen Verfahrenstechnik, denn diese Disziplinen sind entscheidend für die Umsetzung.

Der Begriff Circular Economy hat sich im letzten Jahrzehnt für ein umfassendes Wirtschaftsmodell etabliert, das durch Maßnahmen im gesamten Lebenszyklus von Rohstoffen, Materialien und Produkten zum nachhaltigen Wirtschaften beitragen soll. Zentrale Punkte sind die längere Nutzung von Produkten beispielsweise durch Wiedernutzung oder -aufbereitung, Reparatur, die Recyclingfähigkeit, konkrete Recyclingverfahren auf Produkt- bis molekularer Ebene sowie die systemischen Voraussetzungen von der Kennzeichnung bis zum Design flexibler Anlagen.

Die Circular Economy lässt sich anhand unterschiedlicher Perspektiven konzipieren. Ausgangspunkt ist häufig ein konkretes Produkt wie Batterien, Kunststoffverpackungen, Dämmmaterial und vieles mehr. Dieser Ansatz hat den Vorteil, dass tatsächlich ein kompletter Kreislauf betrachtet werden kann, der auch Fragen wie die Art der Nutzung oder die Logistik für die Sammlung und Verwertung der gebrauchten Produkte umfasst. So können sehr konkrete Lösungen entwickelt werden – zumindest dann, wenn längerfristig gleiche oder ähnliche Produkte im Kreislauf geführt werden.
Doch das ist häufig nicht der Fall: Batterien entwickeln sich so schnell weiter, dass die in ihnen enthaltenen Rohstoffe für die nächste Produktgeneration gar nicht mehr gebraucht werden. Viele Kunststoffe lassen sich derzeit (noch) nicht ohne Qualitätsverlust recyceln, sodass sie nicht wieder in gleicher Weise eingesetzt werden können. So landen die einzelnen Komponenten häufig in unterschiedlichsten neuen Produkten – und anstelle eines Kreislaufs entwickelt sich ein komplexes Gebilde untereinander vernetzter Kreisläufe.

 

 Dechema
Circular Economy setzt sich aus vielen Kreisläufen zusammen. © Dechema

 

Eine Frage des Blickwinkels

Dem trägt die Gliederung nach Stoffen Rechnung: Das Kohlenstoffatom, das zuerst in einer Beschichtung steckte, gelangt über chemisches Recycling in eine Kunststoffkomponente in einem Fahrzeug. Nach der thermischen Verwertung wird es als CO2 durch eine Pflanze gebunden und tritt als Biomasse in eine andere Wertschöpfungskette ein. Die Betrachtung aus Sicht eines Stoffkreislaufs trägt den vielfältigen Wegen für die Wiedernutzung eines Atoms oder Moleküls Rechnung und bildet die Grundlage für Modelle, die den nachhaltigsten Verwertungspfad ermitteln können.
In vielen Produkten ist jedoch nicht nur ein Stoff enthalten, sondern mehrere, die sich unter Umständen nicht alle in gleicher Weise zurückgewinnen lassen. Dann ist abzuwägen, welcher Weiterverwertungspfad im Mittelpunkt steht und wo Qualitätseinbußen in Kauf genommen werden. Ein Beispiel sind kunststoffummantelte Kabel, bei denen die Wiedergewinnung des Metalls aus wirtschaftlichen Gründen eindeutig Priorität hat.

Das Dechema-Statuspapier fügt diesen Blickwinkeln eine weitere Perspektive hinzu. Die europäische Taxonomie gliedert die Circular Economy in die Bereiche Circular Design & Production, Circular Use, Circular Value Recovery und Circular Support. Diesen Bereichen lassen sich die verfahrenstechnischen Beiträge zuordnen, von Fragen des Designs (z.B. bei der Fügetechnik und Werkstoffauswahl) über die vielfältigen Möglichkeiten zur Stofftrennung für die Circular Value Recovery bis hin zu flexiblen Anlagenkonzepten für Circular Support. Komplementär zur Analyse auf Produkt- oder Stoffebene ermöglicht dieser Ansatz, grundsätzliche Herausforderungen und Lösungsansätze zu identifizieren, die vielen oder allen Kreislaufschließungen gemeinsam sind.

 

K. Rübberdt © Dechema   Kathrin Rübberdt, Leiterin des Bereichs Wissenschaft und Industrie, Dechema

„Neben der mechanischen, thermischen und chemischen Verfahrenstechnik können auch die Biotechnologen einen erheblichen Beitrag zur Circular Economy leisten.“

 

Grundprinzipien der Kreislaufschließung

Einige Grundprinzipien der Circular Economy lassen sich schnell zusammenfassen: In der Regel ist es vorteilhaft, Kreisläufe auf einer möglichst großen Größenskala zu schließen, d.h. Werkstoffe möglichst unverändert wieder zu nutzen, statt sie auf die molekulare oder gar atomare Ebene herunterzubrechen. Je kleiner die „Bauteile“, desto höher in der Regel der Wasser- und Energiebedarf bei der Kreislaufschließung. Trotzdem kann es gute Gründe für eine Kreislaufführung auf molekularer oder atomarer Ebene geben, etwa wenn Verunreinigungen die direkte Weiternutzung unmöglich machen und somit vor dem Wiedereinsatz ausgeschleust werden müssen. Deshalb ist im Einzelfall eine Lebenszyklusanalyse (LCA) notwendig, um über den besten Verwertungsweg zu entscheiden. Generell ist ein sortenreiner Einsatz von Stoffen oder Materialien sinnvoll, weil Verunreinigungen und Trennaufwand minimiert werden. Auch eine Kennzeichnung von enthaltenen Stoffen ist wichtig; das gilt besonders für Verbraucherprodukte, die weit verstreut anfallen, sowie bei sehr langlebigen Produkten, die erst nach Jahren oder Jahrzehnten in den Recyclingstrom gelangen.  

Damit ist bereits ein Aspekt des Circular Designs genannt, zu dem Verfahrenstechnik und Chemie beitragen können: Die Auswahl bzw. Entwicklung von Materialien, deren Funktionalitäten nicht nur für die Nutzungsphase, sondern auch das Recycling optimiert sind, kann Kreislaufschließungen erheblich erleichtern oder überhaupt erst möglich machen. Dazu gehören auch die strategische Auswahl von Werkstoffen und ein Konzept für eine künftige Recycling-Infrastruktur, an der sich die Produktdesigner orientieren können. So lassen sich Lock-In-Effekte vermeiden, bei denen ein bestehendes komplexes technologisches und regulatorisches System den Übergang zu besseren Alternativen verhindert.

Auch neue Produktionsanlagen sollten sich an diesen Zukunftskonzepten ausrichten. Wenn man davon ausgeht, dass künftig eine dezentrale Verarbeitung von Stoffströmen anstelle von World-Scale-Raffinerien treten könnte, sind kleinere, modulare und flexible Anlagen ein geeigneter Weg für effiziente Kreislauflösungen.

Verfahrenstechnische Grundoperationen als Schlüssel

Im Bereich Circular Value Recovery finden nahezu sämtliche verfahrenstechnische Grundoperationen Anwendung. Egal ob beim Kunststoffabfall oder beim Lithium-Ionen-Akku, der erste Verfahrensschritt ist in der Regel die mechanische Aufbereitung. Sie umfasst das Zerkleinern und Klassieren sowie die Trennung unterschiedlichster Feststoffe. Unabhängig vom jeweiligen Produkt ist die Quantifizierung und Beschreibung der Eingangsstoffe eine wesentliche Voraussetzung dafür, die geeigneten Trennverfahren auf verschiedenen Größenskalen weiterzuentwickeln. Auch Arbeits- und Emissionsschutz müssen an die neuen Anforderungen angepasst werden.

Ziel bei der weiteren Wiederaufbereitung ist, Funktionalitäten möglichst zu erhalten, und gleichzeitig Verunreinigungen zu entfernen. Sowohl für Thermoplaste als auch für Metalle bzw. Legierungen ist das Schmelzen dafür ein wichtiger mechanischer Aufbereitungsschritt. Die Aufarbeitung von Schmelzen, besonders der Einsatz fortgeschrittener Verfahren wie der In-Prozess-Extraktion oder der Adsorption, begleitet von einer aussagekräftigen Inline-Analytik, kann dazu beitragen, weitere Rohstoffströme zu erschließen. Zusätzlich gilt für alle Schmelzprozesse, dass eine optimierte Energieeffizienz und der Einsatz CO2-neutraler Energieträger zu einer besseren Bilanz der Verfahren beitragen können.

Für andere gemischte oder verunreinigte Stoffströme eignen sich Lösungs- und Fällungsverfahren besonders zur Reinigung und Rückgewinnung von Wertstoffen. Unabhängig davon, ob es um die Rückgewinnung anorganischer oder metallischer Wertstoffe aus z.B. Klärschlamm oder um die Aufreinigung von Kunststoffen wie PET geht, stellt die Aufbereitung der anfallenden Lösungsmittel eine Herausforderung dar. Auch bei der Stofftrennung, z.B. über Membranen, und der kontinuierlichen Verfahrensführung besteht noch Forschungsbedarf.

Wo mechanische Verfahren an ihre Grenzen stoßen, werden zunehmend Pyrolyse und Gasifizierung eingesetzt. Das gilt vor allem für kohlenstoffhaltige Ströme unter dem Stichwort „chemisches Recycling“, aber auch im Metallrecycling werden Hochtemperaturverfahren genutzt, um aus kunststoffhaltigen Schredderresten Wertstoffe wie Indium, Gallium, Palladium oder Silber zurückzugewinnen. Neben der Frage nach der Energieeffizienz und dem Einsatz nachhaltiger Energiequellen geht es derzeit vor allem darum, die Qualität organischer Pyrolyseöle zuverlässig vorhersagen und einstellen zu können, um sie für den Einsatz im Cracker attraktiv zu machen.

 

K. Wendler © Dechema   Katja Wendler, Leiterin des Fachbereichs Rohstoffe, Dechema

„Zur erfolgreichen Umsetzung sind gesellschaftliche Aushandlungsprozesse ebenso notwendig wie die gesetzlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen und Anreize – und das möglichst auf der internationalen Ebene.“

 

Mehr als Trennverfahren

Doch nicht nur bei der Circular Value Recovery, bei der die Rolle der Verfahrenstechnik offensichtlich ist, sondern auch für den Circular Support bietet die chemische Verfahrenstechnik wertvolle Lösungsansätze. Um eine systemische Betrachtung zu ermöglichen und z.B. auch finanzielle Kompensationsmaßnahmen einführen zu können, ist die digitale Abbildung der Prozesse und Daten notwendig, um Erfolge zu messen und die Ressourceneffizienz zu maximieren. Außerdem müssen Wasser- und Energiebedarfe und der Umgang mit diesen Ressourcen in die Betrachtung einbezogen werden. Jede Kreislaufschließung erfordert Energieeinsatz, und fast bei allen kommt Wasser als Hilfsstoff, Lösungs- oder Kühlmittel zum Einsatz.

Neben der mechanischen, thermischen und chemischen Verfahrenstechnik können auch die Biotechnologen einen erheblichen Beitrag zur Circular Economy leisten. Die Circular Bio­economy hat sich teils schon als Begriff eta­bliert. Doch die Biotechnologie kann nicht nur dazu beitragen, über Photosynthese und Biomasse den Kohlenstoffkreislauf zu schließen. Auch der Stickstoff- und Phosphor-Kreislauf sind nicht denkbar ohne die Einbeziehung von biobasierten Lösungen, und biotechnologische Verfahren zur Rückgewinnung von Metallen z.B. durch Biolaugung oder Phytoremediation sind ebenfalls bereits in der praktischen Erprobung.

Basis für den gesellschaftlichen Diskurs

So wichtig chemische und Bio-Verfahrenstechnik für die Circular Economy auch sein mögen, ihr Beitrag ist notwendig, aber nicht hinreichend. Zur erfolgreichen Umsetzung sind gesellschaftliche Aushandlungsprozesse ebenso notwendig wie die gesetzlichen und regulatorischen Rahmenbedingungen und Anreize – und das möglichst auf der internationalen Ebene. Auch darauf weisen die Autorinnen und Autoren des Papiers hin. Sie sehen die Umsetzung der Circular Economy als Chance und als Risiko für den Standort Deutschland und Europa. Um im weltweiten Wettbewerb bestehen zu können, warnen sie vor dem Hang zum Over-Engineering. Gleichzeitig sehen sie eine Stärke im einzigartigen Ökosystem aus Forschung, Lehre, KMU und Großunternehmen.

Das Statuspapier erhebt nicht den Anspruch, die Circular Economy in all ihren Aspekten zu erfassen, möchte aber ein möglichst zusammenhängendes Bild zeichnen. Und es soll einen Beitrag zur gesellschaftlichen Diskussion leisten – was ist technisch heute schon machbar, welche Potenziale liegen in Innovation und Optimierung, und welchen Fragen müssen sich alle Akteure jenseits dessen noch stellen, um künftigen Generationen einen guten Lebensstandard gewährleisten zu können.

Autorinnen:

Kathrin Rübberdt, Leiterin des Bereichs Wissenschaft und Industrie, Dechema

Katja Wendler, Leiterin des Fachbereichs Rohstoffe, Dechema

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Statuspapier Circular Economy

© Dechema

Beim Tutzing-Symposion 2022 wurden die Grundlagen für das Statuspapier gelegt; dabei gingen die Diskussionen weit über technische Fragestellungen hinaus. Nun ist das Status­papier „Circular Economy – Die Perspektive von chemischer Technik und Biotechnologie“   kostenfrei verfügbar unter: dechema.de/Statuspapier_Circular_Economy

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