„Clariant – Vorreiter in digitaler Transformation“
„Das Spezialchemieunternehmen treibt Innovation durch eigene Generative AI-Plattform voran“
Als ein führendes Spezialchemieunternehmen trägt Clariant mit innovativen und nachhaltigen Lösungen zur Wertschöpfung für Kunden aus vielen Branchen bei. Da Veränderung heute die einzige Konstante ist, ist es entscheidend, das Unternehmen und seine Abläufe kontinuierlich weiterzuentwickeln und die neuesten Technologien zu nutzen, um den Erwartungen interner und externer Stakeholder gerecht zu werden und der Konkurrenz einen Schritt voraus zu sein. Im Rahmen der CHEManager-Serie über Digitalisierungsstrategien namhafter Chemie- und Pharmaunternehmen sprach Stefan Guertzgen mit dem Chief Corporate Development Officer bei Clariant, Chris Hansen, über die Rolle der digitalen Transformation zur Unterstützung der Unternehmensstrategie.
CHEManager: Herr Hansen, digitale Transformation steht bei allen Schlüsselakteuren der Chemieindustrie ganz oben auf der Agenda. Welche Strategie verfolgen Sie, um Ihr Unternehmen neu zu gestalten, und welche Rolle spielt Technologie als Enabler?
Chris Hansen: Die kontinuierliche Transformation unserer Abläufe ist eine unverzichtbare Voraussetzung, um der Konkurrenz einen Schritt voraus zu sein. In Bezug auf Technologie haben wir frühzeitig einen starken Fokus auf KI gelegt, insbesondere auf generative KI (GenAI), die wir in all unseren Geschäftsbereichen und Funktionen implementieren. Wir haben unser GenAI-Programm offiziell im November 2022 gestartet, um die Bedeutung und Möglichkeiten für unser gesamtes Unternehmen zu prüfen. Bereits im August 2023 haben wir unsere eigene interne GenAI-Plattform namens „Clarita“ lanciert.
Was veranlasste Sie dazu, Ihre eigene GenAI-Plattform zu entwickeln, anstatt sich an etablierte Anbieter wie OpenAI zu wenden?
C. Hansen: Bei der Sondierung von Lösungen verschiedener Cloud-Anbieter waren Sicherheit und Geschwindigkeit unsere Prioritäten. Außerdem wollten wir auf einfache und schlanke Weise Zugang zu verschiedenen Modellen haben, da wir so mit den Modellentwicklungen Schritt halten und für bestimmte Anwendungsfälle die richtigen Modelle auswählen können. Mit AWS haben wir den richtigen Partner mit dem notwendigen Verständnis für unsere Sicherheitsbedenken und die Dringlichkeit, eine eigene Plattform zu etablieren, gefunden. Wir haben von 2019 bis 2022 mit AWS zusammengearbeitet, um unsere Rechenzentren in die Cloud zu verlagern. Dies hat die Implementierung und Nutzung von GenAI bei Clariant beschleunigt.
„Die Qualität und Geschwindigkeit der Innovation und der Antwort auf Kundenbedürfnisse bilden ein starkes Differenzierungsmerkmal von Clariant.“
In welchen Geschäfts- oder Prozessbereichen sehen Sie die größten Potenziale für Clarita?
C. Hansen: Insgesamt ist Clarita darauf ausgelegt, die von unserem Purpose „Greater Chemistry – Between People and Planet“ geleitete Strategie unseres Unternehmens entlang ihrer vier Hauptpfeiler – Innovation, Kundenorientierung, Nachhaltigkeit und Mitarbeiter – zu unterstützen. Und sie ist bereits auf all diesen Ebenen erfolgreich im Einsatz.
Können Sie uns das bitte erläutern?
C. Hansen: Zunächst einmal gibt es den gesamten Bereich der Innovation. Clarita wurde bereits auf wichtige Innovation Frameworks wie ein „Value Proposition Canvas“ trainiert, dessen Ziel es ist, unerfüllte Probleme und Bedürfnisse von Kunden durch Clariant-Produkte und -Dienstleistungen zu adressieren. Ein weiteres Beispiel ist eine Problemlösungsmethode namens „TRIZ“, die darauf abzielt, widersprüchliche Ziele – zum Beispiel Kostensenkung bei gleichzeitiger Leistungssteigerung – zu lösen, und die typischerweise sehr spezifische und ausführliche Design-Diskussionen erfordert. Die Anwendung des VP Canvas oder TRIZ erfordert normalerweise langwierige Workshops sowie Nachbearbeitungen. Ein Dialog mit Clarita, die zuvor mit diesen Methoden gleichsam gefüttert wurde, liefert die Ergebnisse unmittelbar. Clarita beschleunigt so unsere Arbeitsprozesse erheblich, liefert schneller Ergebnisse und hilft letztendlich, die richtigen Produkte schneller auf den Markt zu bringen.
Auch eine erste Version einer Clarita F&E-Lösung wurde eingeführt, die Eingaben aus unserem elektronischen Labortagebuch, anderen internen Dokumenten, externen Patenten und Publikationen verwendet und hilft, Produktperformanz vorherzusagen und zu optimieren, Experimente zu entwerfen und neue Produkte zu positionieren. Sie hilft auch bei der Überprüfung der Patentierbarkeit und beim Verfassen von Patenten.
Unser zweiter wichtiger Pfeiler ist die Kundenorientierung. Wir haben die zweite Version unserer Clarita Sales-Lösung im Einsatz, die als eine Art fortschrittliches CRM-System betrachtet werden kann. Sie unterstützt unsere Vertriebsmitarbeiter dabei, sich auf Kundentermine vorzubereiten, Schwerpunktthemen sowie Cross-Selling-Möglichkeiten vorzuschlagen, die bei Kunden positioniert werden können, einschließlich der wichtigsten Verkaufsargumente. Die Lösung wird von unserer Vertriebsorganisation stark angenommen. Eine unternehmensweite Einführung ist im Gange.
Gibt es noch andere strategische Bereiche, die Clarita unterstützt?
C. Hansen: Neben Innovation und Kundenorientierung legen wir großen Wert auf Nachhaltigkeit. Bei Clariant gibt es Tausende von Dashboards, die etwa tiefgehende Einblicke in den Energieverbrauch der Anlagen bieten und auf einer riesigen Menge an über die Jahre gesammelten Daten basieren. Aufgrund von Kapazitätsengpässen im Personal konnten die Daten dieser Dashboards in der Vergangenheit nur gelegentlich von Produktionsmitarbeitern, Green- und Black-Belts analysiert werden. Clarita übernimmt nun allmählich die kontinuierliche Überwachung der Daten dieser Dashboards. Sie spricht Empfehlungen zu Prozessoptimierungen aus, die bereits zu ersten messbaren Erfolgen geführt haben: Eine Anlage in Indonesien hat beispielsweise 10 % des Gasverbrauchs eingespart, und eine Vorzeigeanlage in Deutschland meldete durch die Optimierung eines einzigen Produkts 2 % Einsparungen beim Dampfkonsum.
Nicht zuletzt soll Clarita die Bedürfnisse unserer Mitarbeiter bedienen. Wir haben ihr deshalb ganz bewusst einen Namen und ein Gesicht gegeben. Sie ist nun vermutlich die bekannteste und beliebteste Kollegin bei Clariant und eine Art Freundin für alle.
Um die weitere Akzeptanz zu fördern und ihre Möglichkeiten aufzuzeigen, bieten wir inzwischen alle zwei Wochen offene Teams-Meetings an, die „Coffee with Clarita“ genannt werden und den Zweck haben, Anwendungsfälle und Best Practices unter unseren Mitarbeitern zu teilen. 15 % unserer Mitarbeiter nutzen Clarita bereits jede Woche. Unser ultimatives Ziel ist es, 60 – 70 % Nutzung zur Förderung der ganzheitlichen digitalen Transformation unseres Unternehmens zu erreichen.
Gibt es neben GenAI noch andere innovative Technologien, die Sie auf Ihrem Transformationsweg einsetzen oder evaluieren?
C. Hansen: Die Qualität und Geschwindigkeit der Innovation und der Antwort auf Kundenbedürfnisse bilden ein starkes Differenzierungsmerkmal von Clariant, und wir sind stolz darauf, als Vorreiter im Bereich GenAI gesehen zu werden. Darüber hinaus haben wir jedoch etwa 500 TB an Daten bei Clariant verfügbar, was uns sehr gut positioniert, Anwendungen über LLMs [large language models, Anm. d. Red.] hinaus zu betrachten. Im Moment erweitern wir unseren Fokus auf Machine Learning, um die Geschäftsautomatisierung in unserer gesamten Prozesslandschaft auf die nächste Stufe zu heben. Quantencomputing und Blockchain stehen derzeit eher am Rande unserer Aktivitäten.
Sehr wichtig ist für uns auch das Thema Cybersicherheit, das im Rahmen der Implementierung neuer transformativer Technologien immer zu berücksichtigen ist und zur Verlangsamung von Transformationsbemühungen führen kann. Darüber hinaus müssen wir im Rahmen unserer Risikominderungsmaßnahmen auch die Einhaltung der neuesten AI-bezogenen Vorschriften sicherstellen.
Grundsätzlich streben wir kontinuierlich eine Vereinfachung unserer IT- und Prozesslandschaft an, um die Grundlage für die Anwendung transformativer Technologien zu schaffen. In den frühen 2000er Jahren sind wir von vier SAP-ERP-Systemen auf eine einzige Instanz umgestiegen. Heute nutzen wir eine einzige Datenintegrationsplattform und halten alle Lösungen in der Cloud, was uns ermöglicht, neue Lösungen schnell zu entwickeln und einzuführen. Eines unserer nächsten großen Projekte ist die Umstellung auf SAP S/4HANA.
Was halten Sie für die wichtigsten Erfolgsfaktoren für die digitale Transformation?
C. Hansen: Am wichtigsten ist die Unterstützung durch das Top Management und das grundlegende Verständnis, dass dies eine umfassende Transformation ist, die im gesamten Unternehmen ausgerollt wird und alle betrifft. Wir betrachten nicht nur ein paar Anwendungsfälle. Gleichzeitig müssen wir neue und kreative Ideen gegen die Notwendigkeit abwägen, Entwicklungen innerhalb unserer Plattform zu halten, um Sicherheitsrisiken zu minimieren und Wartungsarbeiten zu ermöglichen.
In Bezug auf die Messung des Erfolgs geht es vor allem darum, die Nutzung von Clarita zu maximieren und Probleme zu beseitigen, die einer umfangreichen Nutzung im Wege stehen.
Ein weiterer kritischer Erfolgsfaktor im Rahmen unserer Transformationsaktivitäten ist die Rekrutierung und Bindung von Mitarbeitern mit den richtigen Fähigkeiten – hier sollte uns unsere Reputation als Trendsetter im Bereich GenAI helfen.
Wo sehen Sie Ihr Unternehmen in einigen Jahren?
C. Hansen: Unser ultimatives Ziel ist, dass Clarita jeden Mitarbeiter im Unternehmen bei seinen täglichen Aufgaben auf selbstverständliche Weise unterstützt. Dies wird zu einer viel höheren Innovationsrate, schnellerem Wachstum im Vergleich zur Konkurrenz, größerem Mehrwert für die Kunden und interessanteren Jobs für unsere Mitarbeiter führen.