Anlagenbau & Prozesstechnik

Standards für die industrielle Automatisierung einfach und modular umsetzen

Digitalisierung schließt Lücken im Fachkräftemangel

09.09.2024 - Der Fachkräftemangel belastet die deutsche Wirtschaft. Standardisierung kann helfen, das Fachpersonal zu entlasten und den Mangel abzufedern. Gleichzeitig gibt es noch immer viele bestehende Fertigungsanlagen – sogenannte Brownfield-Anlagen – die nicht in der digitalen Welt angekommen sind. Die Digitalisierung bildet jedoch die Grundlage für standardisierte Prozesse. Im Interview erläutert Frank Hägele, Sales Director und Prokurist, Copa-Data Deutschland wie diese Digitalisierungslücken geschlossen werden können.

CITplus: Ein Mangel an Fachkräften ist für manche Unternehmen mittlerweile ein ­Hindernis für das Unternehmens­wachstum. Wie können Standardisierungen dem entgegenwirken?

Frank Hägele: Fehlende Fachkräfte bremsen Unternehmen aus: Bei den einen erschwert die Herausforderung die wirtschaftliche Erholung, während die anderen angesichts großer Nachfrage Aufträge ablehnen müssen und Wachstumschancen nicht wahrnehmen können.
Hinzu kommt, dass die Kosten für Fachpersonal infolge des arbeitnehmerfreundlichen Stellenmarkts deutlich steigen. Denn gesucht werden nicht nur hoch qualifizierte Fachleute, beispielsweise für Planung, Entwicklung und Verfahrenstechnik, sondern auch Arbeitskräfte, die projektieren, programmieren oder installieren.

Standardisierung in der Automation und Digitalisierung kann einen entscheidenden Beitrag leisten, das Fachpersonal zu entlasten und den Mangel abzufedern. Einfache Prozesse, Automatismen, Assistenzsysteme, Skaleneffekte, schnelle Roll-outs und vorausschauende Wartungen sowie einfache Skalierbarkeit durch Standards bieten Möglichkeiten, die Folgen des Fachkräftemangels im Unternehmen abzumildern.

Die positiven Auswirkungen zeigen sich auf Personalseite zunächst in geringeren Aufwänden für Schulung und Ausbildung. Langfristig wird der Bedarf an Fachkräften mit fundierten Programmierkenntnissen und speziellem Systemwissen sinken. Zudem führt der Übergang von Individuallösungen und Eigenentwicklungen zu standardisierten Systemen dazu, dass das Wissen breiter verteilt und besser zugänglich gemacht werden kann.

Wo sehen Sie Potenzial in der Praxis der Pharmaindustrie, um mit mehr einheitlichen Standards Arbeitskräfte zu entlasten?

F. Hägele: Standards sind das Passwort für eine deutliche Entlastung der Mitarbeitenden. Das betrifft die OT – Operation Technology – wie auch die Domäne IT – Information Technology – gleichermaßen. Kunden und Teams, die auf Off-the-Shelf-Lösungen setzen, gewinnen deutlich an Tempo und schonen wertvolle personelle Ressourcen. Nicht die Individual- und Sonderlösung, die 100 % der Anforderungen mit viel Aufwand und Energie realisiert, ist gefragt, sondern Lösungen wie Zenon, die Off-the-shelf Performance im Engineering sichern. Damit verbunden sind nicht nur kürzere Innovations- und Produktentwicklungszeiten, sondern auch ein vereinfachtes Scale-up von der Prozess- und Verfahrensentwicklung in die Produktion. Auch der gesamte Validierungs-, Qualifizierungs- und Dokumentationsprozess verkürzt sich bei Off-the-Shelf-Lösungen signifikant.

Welches Angebot kann Copa-Data hier konkret machen?

F. Hägele: Copa-Data ist ein anerkannter Kompetenzpartner in der Prozessindustrie, die einem starken globalen Wettbewerb ausgesetzt ist. Wir bieten mit Zenon eine Softwareplattform, mit der sich Standards für die industrielle Automatisierung einfach und modular realisieren lassen.  Diese lässt sich in skalierbaren Modulen umsetzen, erleichtert mit einer schrittweisen Automatisierung die Prozesse und macht einen verstärkten Informationsaustausch möglich. In der chemischen und pharmazeutischen Prozesstechnik hat sich der Standard MTP (Module Type Package) mittlerweile etabliert. So sieht es auch eine aktuelle McKinsey-Umfrage unter 188 Anwendern und Anbietern von Industrieautomation: Zenon unterstützt diesen internationalen Standard der PNO – Profibus-Nutzer Organisation – und sichert seinen Kunden eine schnelle Time-to-market bei weiterhin sehr hoher Qualität.

Eine große Herausforderung im Engineering und Anlagenbau ist die koordinierte, gewerke­übergreifende Arbeit an einem Projekt.

Wie lässt sich diese Herausforderung bestmöglich lösen?

F. Hägele: Das Arbeiten mit Standards und Informationsmodellen wie MTP erleichtert die Planung und die interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen den Lieferanten, aber auch unternehmensintern. Der Standard muss dabei so gestaltet sein, dass er Innovationen nicht einschränkt, sondern vielmehr fördert. MTP stellt dies sicher.

Best Practice ist es mittlerweile, Gesamtpakete in Module und damit in kleinere, dezentrale Aufgabenstellungen zu schneiden, die weniger hoch performante Lösungen erfordern. Dabei ist es durchaus gewünscht, über Grenzen hinauszudenken und interdisziplinär zu agieren. Herrscht in Unternehmen allerdings ein ausgeprägtes Denken in Abteilungen und Bereichen, können die Potenziale standardisierter und automatisierter Prozesse nicht voll ausgeschöpft werden.

Copa-Data betrachtet mit seinen Kunden daher nicht nur einzelne Disziplinen und Domänen wie zum Beispiel Research & Development, Produktion, Logistik, Energieerzeugung- und -verteilung, sondern das gesamte Wertschöpfungsnetzwerk. Die Chance und der Vorteil sind klar: Die Daten der unterschiedlichen Bereiche in einem gemeinsamen Datenraum korrelieren, schaffen mehr Information und damit Wissen.

Wie wird MTP und der modulare Anlagenbau in die Software integriert und welche Vorteile bietet das für Anwender?

F. Hägele: MTP ist ein Garant für Tempo. Allein schnell und einfach Package Units in den POL  – Process Orchestration Layer – oder das Scada-System nebst Historian und MES-Interaktion zu integrieren bietet hohe Einsparpotenziale. Dabei müssen nicht alle Module und Package Units Ready-for-MTP sein. Zenon ist in der Lage klassische Ansätze wie DCS und SCADA mit MTP durchgängig zu vereinen.  

uch für den immer wichtiger werdenden Bereich der Datenauswertung bringt MTP entscheidende (Wettbewerbs-)Vorteile. Wer Daten schnell und zuverlässig zur Verfügung gestellt bekommt, kann laufend Prozesse optimieren und damit die Effizienz steigern. MTP kann dabei unterstützen, bestimmte Daten zügig und vor allem auch kontextualisiert aus dem Prozess zu ziehen und für die Data Scientists in der Cloud zur Verfügung zu stellen. Eine eigene Spezifikation, geschweige denn Programmierung der Schnittstellen, ist nicht erforderlich, wenn dafür MTP genutzt wird.
Für die Integration in das Leitsystem stehen in der Regel zwei Optionen zur Verfügung: Zum Einen werden Schnittstellen definiert und im Anschluss programmiert, damit mit den Maschinen kommuniziert werden kann. Dieser Schritt ist aufwendig und muss immer wieder gemacht werden, wenn neue Schnittstellen nötig sind oder kleinere Anpassungen gemacht werden.

Optional bietet MTP dafür eine gute Alternative. Denn, wenn Maschinen mit MTP-Dateien ausgeliefert werden, ist dieser Schritt nicht mehr notwendig. Maschinenbetreiber können auf die vorhandenen Schnittstellen aus der MTP-Datei aufsetzen, unabhängig davon, wo sie integriert werden sollen. Der Standard bietet jedoch auch für Package Unit-Lieferanten Vorteile: Es sind keine individuellen Anpassungen mehr pro Kunde nötig. Im Vordergrund stehen die Services der jeweiligen Units und nicht die dahinterliegenden Bits und Bytes. Zusammengefasst bedeutet das: MTP ist keine Fiktion und Zukunftsmusik mehr. Namhafte Kunden setzen bereits voll auf diesen Standard und werden dank dieser Innovation kräftig beschleunigen.

Standardisierung ist ein Baustein der Digitalisierung. Während neuen Anlagen bereits umfangreich digital geplant und automatisiert werden, sind Brownfield-Anlagen noch lückenhaft digital erfasst. Können Sie den leitenden Ingenieuren ein Angebot machen, wie sie diese Lücken effizient schließen können?

F. Hägele: Viele Unternehmen haben sich das Ziel gesteckt ihre bestehenden Maschinen- und Anlagen in die digitale Welt zu heben. Nur so werden Prozesse nachvollziehbar und nutzbar für intelligente IT-Systeme bis hin zu KI-Lösungen. Hierbei ist entscheidend eine Lösung wie Zenon einzusetzen, die neben aktuellen Schnittstellenstandards (OPC UA, SQL, REST, MSI und vielen mehr) auch herkömmliche, veraltete Schnittstellen auf Maschinen- und Anlagenebene ansprechen kann. Dazu zählt auch eine einfache Datenextraktion via File Share (Excel, ASCII, TXT), serielle Schnittstellen wie RS232 oder proprietäre Treiber. Die Plattform Zenon ist dank ihrer Schnittstellenvielfalt von über 300 SPS- und Feldbustreibern in der Lage einen entscheidenden Beitrag bei der Digitalisierung von Brownfield-Anlagen zu leisten.

Speziell für den MTP-Standard gibt es ebenfalls ein Angebot: Mit dem Zenon MTP-Gate­way-Modul lassen sich Module mit älteren Automatisierungssystemen integrieren und mit OPC-UA-Konnektivität, der MTP-Logik sowie einer entsprechenden MTP-Datei zur Beschreibung der Eigenschaften versehen.

Mehr Digitalisierung wird im Betrieb nicht selten als Mehraufwand empfunden? Wie überzeugen Sie Fachkräfte, dass damit letztlich ein gutes Ergebnis im Verhältnis von ­Aufwand und Nutzen erzielbar ist?

F. Hägele: Automatisierung und Digitalisierung schaffen Veränderung. Dafür gibt es mittlerweile von der Fachebene bis hin zur Geschäftsleitung immer mehr Unterstützung, häufig sogar Leidenschaft und Begeisterung. Natürlich muss sich die Investition in mehr Digitalisierung zügig amortisieren. Wie stark dann Themen wie eine schnelle Time-to-market, höhere Produktivität, mehr Flexibilität oder ein geringerer Bedarf an Fachkräften in den TCO (Total Cost of Ownership) gewichtet werden, muss sicher im Einzelfall bewertet werden.

Auch seitens der Europäischen Union bemerken wir zunehmenden Druck bei den Unternehmen, die Digitalisierung und Vernetzung voranzutreiben. Der EU Data Act trat am 11. Januar 2024 in Kraft und wird nach einer Übergangsfrist von 20 Monaten im September 2025 EU-weit direkt anwendbares Recht werden. Er schafft einen neuen Rechtsrahmen für den Umgang mit Daten und betrifft Unternehmen aller Größen. Lösungen wie Zenon können dabei helfen, diese auf Anfrage Dritter sicher und schnell zugänglich zu machen.

Essenziell für ein durchgängige Automatisierung ist die sichere Verknüpfung von OT und IT in einem Betrieb. Welche Lösungen bietet Sie dafür an und lässt sich diese auch auf Brownfield-Anlagen mit verschiedensten Netzwerktechnologien im Feld anwenden?

F. Hägele: Unternehmen sollten gemäß des Zero Trust-Sicherheitskonzepts nicht blind darauf vertrauen, dass sich Benutzer oder Geräte innerhalb ihres Netzwerks bereits als vertrauenswürdig erwiesen haben, nur weil sie sich hinter der Firewall befinden oder bestimmte Zugriffsrechte haben. Stattdessen sollten Zugriffe auf Daten und Systeme durch Mechanismen kontrolliert werden, um Sicherheit und Integrität zu gewährleisten.

Dies muss von Unternehmen beim Anlagen­aufbau und der entsprechenden Software mitgedacht werden. Zusätzliche Plugins für Schnittstellen, Security Automation Center und Out-of-the-Box-Lösungen unterstützen dabei. Statt maßgeschneiderte Sicherheitslösungen von Grund auf neu zu entwickeln, können Sicherheitsrichtlinien, Zugriffskontrollen und Überwachungssysteme durch die Anpassung von Parametern oder Konfigurationen implementiert werden. Im Gegensatz zur herkömmlichen Programmierung, bei der Entwickler Codes von Grund auf schreiben, ist parametrieren statt programmieren oft einfacher und schneller, erfordert weniger technisches Fachwissen und ermöglicht eine flexiblere Anpassung der Software an die spezifischen Anforderungen eines Unternehmens oder Benutzers.

Kann die Zenon Software auch bei der Instandhaltung unterstützen und damit die Arbeit der Fachkräfte erleichtern?

F. Hägele: Wenn es um die Wartung geht, unterliegen Maschinen und Anlagen meistens einem festen Zyklus. Das suggeriert Zuverlässigkeit und Sicherheit. Allerdings wissen erfahrene Instandhalter: Ein fester Zyklus wird den Anforderungen im Produktionsalltag nicht wirklich gerecht. Er nimmt keine Rücksicht auf tatsächliche Beanspruchung oder Belastungen. Fixe Wartung in immer gleichen Abständen kann bedeuten, dass Bauteile viel zu häufig getauscht werden oder aber auch zu spät. Beides erhöht die Kosten. Mit Condition Monitoring oder gar Predictive Maintenance kann die Instandhaltung an den wirklichen Bedarf herangeführt werden. So sinken Kosten und die Produktion wird wesentlich smarter.

Predictive Maintenance gibt einen Ausblick in die Zukunft einer Maschine. Auf Basis von Erfahrungsdaten und Lernmodellen werden Vorhersagen getroffen, wann eine Maschine gewartet oder ein Bauteil getauscht werden muss. Vorausschauende Wartung sammelt im laufenden Betrieb kontinuierlich Daten und analysiert sie. Das System lernt so beständig dazu und ermöglicht es, Live-Daten über ein Modell zu interpretieren. So lassen sich starre Wartungszyklen durch individuelle Termine für jede Maschine und jede Komponente ersetzen. Die Analyse und die Erstellung der Modelle kann direkt im Unternehmen „On Premise“ erfolgen oder über einen Dienst in der Cloud.

Zenon eignet sich – zum Beispiel in Verbindung mit Azure Machine Learning von Microsoft – sehr gut für ein Predictive Maintenance System. Die Softwareplattform erfasst Sen­sordaten in Echtzeit. Durch die Kommunikation mit cloudbasierten Anwendungen sorgt die Software für die dauerhafte Speicherung der Daten. Diese Daten werden für maschinelles Lernen benutzt.

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