Anlagenbau & Prozesstechnik

Turnaround mit 360-Grad-Perspektive

Wie Wacker Chemie mehr Bewegung in sein Stillstandsmanagement bringt

12.08.2024 - Für Betreiber sind Anlagenrevisionen Phasen mit hoher Intensität und Verantwortung. Denn die im Rahmen eines Turnarounds durchgeführten Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten sind essenziell für den reibungslosen Betrieb. Ein Flanschmontagesystem kann helfen, Monteure zu schulen und Fehler zu vermeiden.

Die Verschraubung von Rohrleitungskomponenten in verfahrenstechnischen Anlagen ist eine Wissenschaft für sich. Denn jeder Abschnitt in dem oft kilometerlangen Pipeline-Labyrinth unterliegt einer differenzierten Betrachtung: Welche Medien führt die Anlage, mit welchem Nenndruck und unter welcher thermischen Belastung? Hinzu kommen die Art und Materialbeschaffenheit von Dichtungen und Rohrleitungen selbst. Ob Edelstahl, Nickel-Legierungen oder Verbundwerkstoffe, ob Flachdichtung, Wellring- oder Kammprofildichtung: Jedes Detail einer lösbaren Verbindung hat unmittelbar Einfluss auf die damit verbundenen Instandhaltungsarbeiten und Maßnahmen der Qualitätssicherung.

Sicherheit und Qualität gewährleisten

Bis zu 400 Monteure sind bei Wacker Chemie zeitgleich in den Anlagen im Einsatz, um die mit Revisionen verbundenen Aufgaben bei eng getakteten Stillstandszeiten zu meistern. Allein am Wacker Chemie-Standort Burghausen, an dem über 40 Betriebe 24/7/365 – rund um die Uhr – laufen, werden regelmäßig, außerhalb der gesetzlich wiederkehrenden Prüfungspflichten, Anlagenteile heruntergefahren, um qualitäts­sichernde Maßnahmen durchzuführen oder für eine TÜV-Prüfung vorzubereiten.

Um die Qualität von Wartungs- und Instandhaltungsarbeiten bei Anlagenrevisionen zu sichern, setzt Wacker Chemie auf die Expertise von IDT. Seit kurzem steht der Dichtungsspezialist dem Chemiekonzern beim Stillstandsmanagement zur Seite. Mit einem neuen Tool unterstützt das Technologieunternehmen an den Wacker Chemie-Standorten Burghausen und Nünchritz die fachgerechte Montage und Materialverwendung direkt auf der Baustelle. „Verlässliche Partnerfirmen sind wichtig“, beschreibt Jürgen Bothur, Leiter VT-Montage­koordination bei Wacker Chemie in Burghausen, die Grundanforderung an extern beauftragte Fachkräfte, die prüfen, montieren, isolieren oder elektrische Arbeiten durchführen. Bei Stillstandskosten, die pro Tag problemlos sechsstellige Eurobeträge erreichen können, komme es auf jede Stunde an. Außerdem müssen Termine eingehalten werden, damit Instandhaltungsmaßnahmen keine Auswirkungen auf nachgelagerte Versorgungsprozesse haben. „Mensch und Material – beides muss den Anforderungen entsprechen, um Sicherheit und Qualität einer Anlagenrevision zu gewährleisten“, unterstreicht Bothur.

 

„Wir sichern die Qualität der Fremdfirmen."

Erik Stöckel, Anwendungstechniker und QS-Projektverantwortlicher bei IDT

 

Doch verfügbare Fachkräfte mit dem passenden Qualitätsprofil für die zu leistenden Montagearbeiten zu finden, ist auch für das Chemieunternehmen eine zunehmende Herausforderung. „Früher war das Personal mitunter besser ausgebildet“, berichtet Bothur. Doch heute könne man sich nicht mehr automatisch auf das Zertifikat des Verschraubungsmonteurs verlassen, das einem der Monteur vorlege. „Wir müssen bei jedem einzelnen Monteur praktisch nachprüfen, ob er die nötige Qualifikation mitbringt, um an unserer Anlage arbeiten zu können.“ Bei der großen Anzahl an Betrieben, die am Standort Burghausen im Jahr herunter- und wieder hochgefahren werden, eine Herkulesaufgabe.

Können der Monteure an der Flanschmontagestation testen

Unterstützung bekommt das Chemieunternehmen beim Stillstandsmanagement vom Dichtungsspezialisten IDT. Zum Produktportfolio der Unternehmensgruppe zählen unter anderem PTFE-Prozessdichtungen mit Quarz­anteil, die in den Anlagen zur Herstellung von Poly­silizium für hohe Stabilität sorgen. Darüber hinaus leistet das Technologieunternehmen mit seinem Advanced-Service-Team technischen Support. So übernimmt IDT für Anlagenbetreiber unter anderem Berechnungen, Schulungen und die Qualitätssicherung im Flanschenmanagement bei TA-Projekten. Erstmals zum Einsatz kommt bei Wacker Chemie der von IDT entwickelte Qualifikationscheck Flange.Pilot. Dabei handelt es sich um eine Flanschmontagestation, an der Monteure der beauftragten Anlagen- und Rohrleitungsfirmen unter den vorhandenen Standortbedingungen getestet und qualifiziert werden, bevor sie Flanschverbindungen des Kunden öffnen und verschrauben dürfen.

Doppelte Arbeit und unnötige Kosten vermeiden

„Wir sichern die Qualität der Fremdfirmen“, beschreibt Erik Stöckel, Anwendungstechniker und QS-Projektverantwortlicher bei IDT, die Intention des Checks, mit dem in Burghausen innerhalb von drei Tagen 200 Schlosser geprüft wurden. Ob Lochkreisdurchmesser, Flanschdicke oder Anzahl der Schrauben: Der Flange.Pilot bildet exakt die Situation ab, die der Monteur später in der Anlage vorfindet. Erforderliche Anzugsverfahren und vorgegebene Anzugsmomente können somit praktisch testweise ausgeführt werden, ohne Verzögerungen oder Komplikationen in Kauf nehmen zu müssen, die durch fehlerhafte Montage verursacht würden. „Tatsächlich haben 8 % der Monteure in der Vorqualifizierung durch IDT den Test nicht gepackt“, berichtet Stöckel.

„Das Verfahren ist sehr flexibel auf unsere Anforderungen abgestimmt“, sagt Wacker-Chemieingenieur Bothur, der im Einsatz des neuen Qualifikationschecks einen entscheidenden Sicherheitsgewinn sieht: „Das Werk schläft nie. Und so können wir doppelte Arbeit vermeiden, die entsteht, wenn die Produktion nach einer Revision aufgrund von Leckagen nicht eingefahren werden kann, um nachzubessern.“ Wachsender Kostendruck und permanent steigende Qualitätsanforderungen würden es heute notwendig machen, Stillstandszeiten noch effizienter zu nutzen.

Lernen mit der Fehlersimulation

Ist die Verwendung von Drehmomentschlüsseln oder der Einsatz eines anderen definierten Anzugs- oder Verspannverfahrens notwendig? Müssen die Schrauben nach der ersten Warmfahrt nachgezogen werden? In welche Druckstufe ist der Flansch eingeteilt? Beim Qualifikationscheck werden nicht nur handwerkliches Können und Wissen sorgsam geprüft, das von Fragen nach Dichtheitsklassen bis zur Gefahrstoffverordnung reicht. „Es werden auch gängige Fehler simuliert, die bei der Verschraubung von lösbaren Verbindungen zum Problem werden können wie beispielsweise Verdrehungen, Winkelversatz oder unsachgemäßes Anziehen bei der Flanschmontage“, erläutert Bothur.

Hat das Chemieunternehmen mit der Unterstützung des Technologiespezialisten und dem Einsatz der Flanschmontagestation seine Ziele erreicht? Bothur: „Nach zehn Tagen Stillstand konnte unsere Anlage problemlos und termingerecht hochgefahren werden.“

 

Autor:

R. Pfeiffer   Reinhard Pfeiffer, freier Fachjournalist für IDT Industrie- und Dichtungstechnik

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