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Wann wird Autofahren grün?

VDI-Studie schafft Transparenz als Basis für eine technologieoffene Diskussion

11.06.2024 - Welche Antriebstechnologie ist wirklich nachhaltig? Es kommt darauf an, erklärt VDI-Präsident Lutz Eckstein im CHEManager-Interview.

Die Automobilindustrie in Deutschland steht vor dem größten Umbruch ihrer Geschichte: dem Wandel vom fossil betriebenen Verbrennungsmotor hin zu klimafreundlichen Technologien. Doch welche Antriebstechnologie ist wirklich nachhaltig? Es kommt darauf an – lautet die Antwort einer umfassenden Studie zur Ökobilanz von Automobilen des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) vom Dezember 2023 (vgl. Grafik letzte Seite). Sie berücksichtigt zahlreiche Faktoren, wie den Energiemix für die Produktion von Fahrzeug und Komponenten sowie die genutzten Energien für den Antrieb auf der Straße. Andrea Gruß sprach mit VDI-Präsident Professor Lutz Eckstein über Zukunftsszenarien der Mobilität in Deutschland.

CHEManager: Herr Eckstein, was gab den Anlass für die umfassende Studie zur Ökobilanz von Pkw-Antrieben, die der VDI gemeinsam mit dem Karlsruhe Institute of Technology – KIT – umgesetzt hat?

Lutz Eckstein: Wir beobachten in der öffentlichen Debatte zu Antriebstechnologien sehr unterschiedliche Positionen: Die einen halten batterieelektrische Fahrzeuge für des Rätsels Lösung und denken, dass sie ab der ersten Minute CO2-neutral fahren. Andere glauben, wenn wir so weitermachen wie bisher, dann wird auch alles gut. Beides ist nicht richtig. Mit unserer Studie „Wann wird Autofahren grün?“ wollten wir Transparenz schaffen und neutral aufbereiten, welche Antriebstechnologien unter welchen Randbedingungen die größten Vorteile für den Klimaschutz bieten. Dabei sind wir von einer Referenzlaufleistung von 200.000 km und einer Nutzung des im Jahr 2021 produzierten Fahrzeugs bis ins Jahr 2035 ausgegangen und haben für verschiedene Szenarien alle CO2-Emissionen von der Herstellung des Fahrzeugs über die Nutzungsphase bis hin zum Recycling summiert.

Zu welchen Ergebnissen kam die Studie?

L. Eckstein: Wir kommen auf ungefähr 90.000 km, die man batterieelektrisch fahren muss, bevor man im Vergleich zu einem konventionellen Antrieb CO2-Emissionen einspart, sofern man den mittleren Strommix in Deutschland zugrunde legt. Fährt man dagegen ausschließlich mit Grünstrom, dann ist das Fahrzeug bereits mit 65.000 gefahrenen Kilometern klimafreundlicher als Diesel- oder benzinbetriebene Fahrzeuge. Gelingt es jedoch nicht, den Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromerzeugung mit der gleichen Geschwindigkeit auszubauen wie neue E-Fahrzeuge ans Netz gehen oder nutzen Sie das Fahrzeug in Ländern mit einem hohen Kohlestromanteil, wird es während seiner Lebensdauer nicht dazu beitragen, CO2 einzusparen.

Warum ist die Klimabilanz der E-Autos nicht positiver?

L. Eckstein: Die Studie zeigt, dass die Ökobilanz stark davon abhängt, wie der Strom für die Produktion der Fahrzeuge erzeugt wird. Derzeit wird das Gros der Batterien und Zellen für batterieelektrische Fahrzeuge in China hergestellt, wo noch über 50 % der Stromproduktion auf der Nutzung von Kohle basieren. Die Fahrzeuge haben daher einen großen CO2-Rucksack: Insbesondere bei schweren Pkw mit großen Batterien für lange Strecken lässt sich dieser Rucksack während des Betriebs kaum noch wettmachen. Unser Ziel sollte es deshalb sein, eine weitestgehend CO2-neutrale Zellfertigung in der westlichen Welt zu etablieren.

Welche Zukunftschancen sehen Sie für eine klimaneutrale Batterieproduktion in Deutschland?

L. Eckstein: Das Thema hat zwei Dimensionen. Natürlich ist es wünschenswert, dass wir hier in Deutschland mit CO2-neutralem Strom Zellen und Batterien produzieren. Aber die im internationalen Vergleich hohen Energiekosten spielen uns dabei nicht in die Hände. Die Frage ist daher, kann sich die Wirtschaft das leisten? Schon jedes kleine und mittlere Unternehmen steht im globalen Wettbewerb. Und die USA haben mit dem Inflation Reduction Act einen intelligenten Mechanismus etabliert, der nicht nur die Industrie subventioniert, sondern auch den Kauf von Elektrofahrzeugen in Abhängigkeit des lokalen Produktionsanteils fördert – und die Batterie ist ein nennenswerter Bestandteil dieses Fahrzeugs. Das macht die Produktion von Elektrofahrzeugen in den USA doppelt attraktiv und erschwert es Unternehmen, eine Investitionsentscheidung für Deutschland zu fällen.
Zum anderen müssen wir anerkennen, dass der Klimawandel ein globales Phänomen ist. Es gibt keine CO2-Vorhänge an unseren Grenzen. Deshalb sollten wir gerade in Deutschland als Exportnation nach Lösungen streben, die eine weltweite Hebelwirkung entwickeln und nicht – wie in den vergangenen Jahren immer wieder geschehen – Maßnahmen im Klein-Klein ergreifen, die zwar zu einer begrenzten Reduktion der Emissionen in Deutschland geführt haben, aber auch zu einer signifikanten Belastung der Volkswirtschaft. Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Wirkungsvolle lokale Maßnahmen, die dem Klima und unserer Volkswirtschaft helfen, sollte man natürlich fördern.
Ferner nutzt es nichts, wenn wir kurzfristig auf Technologien setzen, die noch nicht marktfähig sind. Wir müssen die wirtschaftliche Dimension sowohl auf der betriebswirtschaftlichen als auch auf der volkswirtschaftlichen Ebene mit in das Kalkül einbeziehen und Technologien fördern, die nach Möglichkeit hierzulande produziert und weltweit exportiert werden. Es geht darum, die Wertschöpfung am Standort Deutschland wieder zu stärken und so letzten Endes auch einen höheren globalen Impact zu erzielen.

Worauf sollten wir uns in Deutschland bei der E-Mobilität konzen­trieren?

L. Eckstein: Ich sehe ein gewisses Potenzial für einen Exportschlager bei Technologien zum Batterierecycling. Denn es ist ein weltweites Problem, zum Beispiel genügend Lithium und Kobalt für die Herstellung der Batterien zu sichern. Gleichzeitig müssen wir in die Forschung investieren, um Alternativen zu Lithium-Ionen-Batterien zu entwickeln, die eine ganze Reihe von Herausforderungen in sich bergen. Sie enthalten in der Regel das Salz Lithiumhexafluorophosphat als Elektrolyten, das bei geringsten Mengen von Wasser exotherm zu ätzender und giftiger Flusssäure reagiert und dann eine Gefahr für Mensch und Umwelt darstellt. Die Batteriechemie von heute ist nicht perfekt. Doch es zeichnen sich vielversprechende Alternativen ab, die bisher nicht industrialisiert sind, wie beispielsweise die Natrium-Ionen-Batterie. Sie ist nicht nur sicherer, Natrium ist auch um Größenordnungen besser verfügbar als Lithium.

Welche nachhaltigen Alternativen gibt es zum Elektroantrieb?

L. Eckstein: Eine ergänzende Technologie besteht darin, Verbrennungsmotoren mit „grünen Molekülen“ beziehungsweise E-Fuels oder biobasierten Kraftstoffen zu betreiben. Ein Thema, das aus meiner Sicht noch viel zu wenig Wahrnehmung in der aktuellen Berichterstattung findet. E-Fuels sollte man differenziert betrachten: Natürlich macht es energetisch viel mehr Sinn, mit in Deutschland regenerativ erzeugtem Strom batterieelektrisch zu fahren. Andererseits kann man in anderen Teilen der Welt Strom wesentlich günstiger aus Sonne und Wind produzieren als hierzulande, aber aufgrund der Entfernungen nicht nach Deutschland transportieren.

 

"Wir leben in einer Zeit der Transformation.
In dieser werden E-Fuels zu einem wichtigen Technologiebaustein."

 

E-Fuels haben eine sehr hohe Energiedichte und lassen sich leicht transportieren und im Fahrzeug speichern. Je nach Anwendung kann durch die Nutzung von E-Fuels vermieden werden, dass sehr große Batterien produziert und mit dem Fahrzeug bewegt werden müssen. Wir leben in einer Zeit der Transformation. In dieser sind E-Fuels ein wichtiger Technologiebaustein. Ihre Nutzung für die Bestandsflotte ist ohnehin unabdingbar, um die deutschen und europäischen Klimaziele im Verkehrssektor zu erreichen. Deshalb sollten umgehend die regulatorischen Rahmenbedingungen für entsprechende Investitionen und die Nutzung von E-Fuels geschaffen werden.

Welche Rolle wird grüner Wasserstoff im Verkehrssektor spielen?

L. Eckstein: Das Potenzial, grünen Wasserstoff in Deutschland zu produzieren, ist begrenzt. Es macht sicherlich Sinn, in Elektrolyseure zu investieren, um Wasserstoff mit überschüssigem Strom aus Windkraft und Solarenergie zu produzieren. Immerhin hat Deutschland im vergangenen Jahr ca. 4 Mrd. EUR an Nachbarländer gezahlt, um diesen Strom loszuwerden. Gleichwohl ist die Menge an grünem Wasserstoff, den man auf diese Art und Weise produzieren kann, verschwindend gering, gemessen an unserem Gesamtenergiebedarf, der gut beim vierfachen unseres Elektrizitätsbedarfs liegt. Diese großen Energiemengen importieren wir größtenteils in Form von fossilen Energieträgern. Diese gilt es abzulösen. Dies ausschließlich mit Wasserstoff zu tun, ist nicht die beste Lösung. Denn im Vergleich zu Methanol lässt sich Wasserstoff schlechter transportieren, da die volumetrische Energiedichte um den Faktor drei geringer ausfällt. Meine persönliche Meinung: Wir stehen am Beginn eines E-Methanol-Zeitalters. Grüner Wasserstoff in Brennstoffzellen wird sicherlich auch eine Rolle spielen, zum Beispiel für Nutzfahrzeug- und Busflotten, die über eine eigene Wasserstofftankstelle und Infrastruktur verfügen. Allerdings gibt es keinen nennenswerten Wirkungsgradvorteil der „kalten Oxidation“ von Wasserstoff in Brennstoffzellen im Vergleich zu „heißen Oxidation“ in Verbrennungsmotoren, die zudem erheblich kostengünstiger sind.
Sie sehen, das Thema ist nicht so trivial, wie es gerne dargestellt wird. Als VDI gehen wir technologieoffen an die Zukunft ran und erkennen an, dass es viele Bausteine und Lösungen gibt, die ihre Daseinsberechtigung haben. Wir sollten die Lösungen differenziert betrachten und sie als Technologiebausteine betrachten, die sich ergänzen. Die Zukunft wird zeigen in welchem Umfang sie sich realisieren lassen.

Doch um die Vielfalt an Lösungen gleichzeitig zu verfolgen, bedarf es auch der notwendig finanziellen Ressourcen. Wie lässt sich diese Herausforderung lösen?

 

"Eine Chance, um der Technologievielfalt Herr zu werden, sind Kooperationen."



L. Eckstein: Eine Chance, um der Technologievielfalt Herr zu werden, sind Kooperationen, wie sie bereits im Bereich der Digitalisierung praktiziert werden. Hier haben Automobilhersteller erkannt, dass sie die Software mit hundert Millionen Code-Zeilen für ihre Fahrzeuge nicht selbst schreiben können und gehen Kooperationen zum Beispiel mit IT-Unternehmen ein. Auch im Bereich der Antriebe gibt es bereits strategische Allianzen zwischen Herstellern. So stellt Toyota zum Beispiel die Brennstoffzellentechnologie für BMW bereit und BMW die dieselmotorische Technologie für Toyota. Aus volkswirtschaftlicher Sicht ist die technologische Vielfalt absolut wünschenswert, das einzelne Unternehmen kann sich natürlich auf ein ausgewähltes Spektrum fokussieren.

Der öffentliche und politische Diskurs zu Zukunftstechnologien in Deutschland ist emotional und geprägt von Einzelinteressen. Wie können wir ihn konstruktiver führen?

L. Eckstein: Es ist Zeit, dass wir uns mit der Frage befassen, welche langfristigen Ziele wir in Deutschland erreichen möchten. Welche Rolle wollen wir in Europa und der Welt im Jahr 2050 und darüber hinaus spielen? Welche Wertschöpfung benötigen wir in Deutschland und Europa und welche Technologien, Ressourcen und Infrastrukturen sind zu deren Aufbau erforderlich? Was bedeutet das für die Bildung, vom Kindergarten bis zum Hochschulabschluss? Was müssen wir dazu bereits heute initiieren und was ist mittel- und langfristig zu tun?
Dem entgegen steht, dass Politik und Parteien in Legislaturperioden denken und relativ kurzfristig agieren. Das Gleiche gilt auch für große Teile der börsennotierten Unternehmen, die im Hinblick auf ihren Aktienkurs und ihre Refinanzierung ständig Erfolge vorweisen müssen. Hinzu kommt, das die Bestellungsperioden für Vorstände nur wenige Jahre betragen und deren variabler, an kurzfristigen Zielen gemessener Gehaltsbestandteil nicht selten bei 80 % liegt. All das begünstigt keine strategisch langfristige Denkweise.

 

Die Vision für Deutschland 2050 sollte verschiedene Perspektiven einen, statt ideologisch aufgeladene Diskussionen nähren.


Genau da kommen wir als durch persönliche Mitglieder getragener Verein ins Spiel. Den VDI gibt es seit über 165 Jahren. Mit rund 130.000 Mitgliedern ist er der größte technisch-wissenschaftliche Verein Deutschlands, und damit größer als viele Parteien. Doch wir sind weder Partei noch eine Interessensvertretung, sondern ein Verein aus Ingenieurinnen und Ingenieuren, die sich engagieren und die Zukunft gestalten wollen. Dazu haben wir im vergangenen Jahr das mehrjährige Projekt „Zukunft Deutschland 2050“ gestartet. Gemeinsam wollen wir ein langfristiges und erstrebenswertes Zielbild für Deutschland entwerfen, hinter das sich Menschen mit unterschiedlichen Meinungen stellen können. Ähnlich wie die Vision der Stadt Kopenhagen – die nicht etwa autofreie Stadt, sondern die attraktivste Fahrradstadt der Welt werden möchte – sollte auch die Vision für Deutschland 2050 motivieren und verschiedene Perspektiven einen, statt ideologisch aufgeladene Diskussionen nähren.

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Der Verein Deutscher Ingenieure wurde 1856 gegründet und ist heute der bedeutendste und mitgliederstärkste Verein Europas für Natur­wissenschaftler, Ingenieure und Studierende. Er unterstützt diese in fachlichen und beruflichen Belangen. Dabei ist der VDI bundesweit genauso aktiv wie auf regionaler und lokaler Ebene in Landesverbänden und Bezirksvereinen.

"Wir sollten wir in Deutschland als Exportnation
nach Lösungen streben,
die eine weltweite Hebelwirkung entwickeln."

 

ZUR PERSON
Lutz Eckstein ist seit 1. Januar 2023 Präsident des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI). Seit 2018 hatte er den Vorsitz der VDI-Gesellschaft Fahrzeug- und Verkehrstechnik inne. Professor Eckstein leitet das Institut für Kraftfahrzeuge (IKA) an der RWTH ­Aachen und ist Experte auf dem Gebiet der Fahrerassistenz und des autonomen Fahrens. Er war 15 Jahre in der F&E bei Daimler und BMW tätig. Eckstein hat Maschinenbau an der Universität Stuttgart studiert und dort promoviert.

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