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Chemie-Krisenstimmung auch in Hessen

Unternehmen der HessenChemie erwarten keine Verbesserung im laufenden Jahr

19.03.2024 - Die Mehrheit der Unternehmen in der chemisch-pharmazeutischen Industrie in Hessen sind mit ihrer Geschäftslage unzufrieden und sehen auch für das laufende Jahr noch keine Verbesserung. Dies ergab eine aktuelle Verbandsumfrage im Februar 2024. Vor allem die energieintensive Chemiesparte musste im vergangenen Jahr einen drastischen Produktionseinbruch verkraften.

2023 verzeichnete die chemisch-pharmazeutische Industrie insgesamt in unserem Bundesland ein kräftiges Minus bei Produktion (-7,9%) und Umsatz (-8,1%). Unter besonderem Druck stand die klassische Chemie mit einem Produktionsrückgang von rund 16%. „Betrachtet man hier die letzten beiden Geschäftsjahre, so bedeutet dies einen Produktionseinbruch von knapp 26%“, erklärte Oliver Coenenberg (Sanofi-Aventis Deutschland), Vorstandsvorsitzender des Arbeitgeberverbandes HessenChemie. Der Chemieumsatz ging auf knapp 14,9 Mrd. EUR zurück (-22%). Strukturell höhere Energie- und Rohstoffkosten führten zu gestiegenen Produktionskosten, die teilweise international nicht wettbewerbsfähig seien. Zudem sei die Nachfrage nach Chemie-Erzeugnissen derzeit schwach.

Die pharmazeutische Industrie hingegen zeigte sich widerstandsfähiger. Sondereffekte durch Corona-Impfstoffe seien allerdings weitgehend ausgelaufen und die Geschäftsdynamik habe sich insgesamt spürbar abgeschwächt. Der Gesamtumsatz in Hessen belief sich im Jahr 2023 auf gut 16,8 Mrd. EUR (+8,9%). Das Umsatzwachstum fand allerdings fast ausschließlich im Ausland statt. Die Verkaufspreise stiegen im Jahresvergleich um 4,8%. Der Mengenzuwachs in der Pharmasparte kam hingegen zum Erliegen und betrug letztlich nur noch 0,1%. „Für das laufende Jahr erwarten wir lediglich eine Seitwärtsbewegung“, so Coenenberg.

Lage bleibt auch 2024 angespannt
In der aktuellen Verbandsumfrage bewerten die Mitgliedsunternehmen die wirtschaftliche Situation als kritisch. 58% stufen die Geschäftslage als „kaum befriedigend“ oder „schlecht“ ein, 40% erwarten ein weiteres Absinken der Produktion, 53% rechnen mit einer Verschlechterung der Ertragssituation und 43% planen ihre inländischen Investitionen zurückzufahren. „Wir führen diese Befragung schon lange durch, aber ein solches Ergebnis haben wir so noch nie erlebt“, betont Coenenberg. Die Umfrage verdeutliche die Belastung durch ein schwieriges Marktumfeld und ein hohes Kostenniveau mit wenig Optimismus für eine kurzfristige Verbesserung.

Trotz der wirtschaftlichen Turbulenzen haben die Unternehmen die Beschäftigungszahlen bisher weitgehend stabil halten können und 2023 das höchste Ausbildungsangebot seit 20 Jahren erreicht. „Ein starkes Zeichen für das Engagement der Arbeitgeber trotz anhaltender Krise“, betont Coenenberg.

Chemie-Tarifrunde in schwierigen Zeiten
Im Vorfeld der im April beginnenden Tarifrunde hat die Chemiegewerkschaft eine Lohnforderung von 6 bis 7% in den Raum gestellt. „Diese Erwartung ist weder krisengerecht noch finanzierbar. Eine Krise verlangt auch nach einem Krisen-Abschluss, damit Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit erhalten bleiben“, fordert der Vorsitzende des Arbeitgeberverbandes.

Dringende politische Forderungen
„Unsere Industrie ist gleich doppelt gefordert: Konjunkturell gibt es keine Impulse und die Nachfrage ist weiter schwach. Strukturell haben wir mit Überregulierung und im internationalen Vergleich auch mit hohen Arbeitskosten zu kämpfen“, erklärt Dirk Meyer, Hauptgeschäftsführer von HessenChemie.

Gregor Disson, Geschäftsführer des VCI Hessen machte deutlich, „dass die Energiepreise das alles überspannende Thema für die Branche darstellen.“ Der Ausbau Erneuerbarer Energien schreite voran, jedoch sei eine umfassende Energieversorgung zu wettbewerbsfähigen Konditionen derzeit noch nicht absehbar. „Notwendig ist die rasche Umsetzung der Kraftwerksstrategie sowie die staatliche Begrenzung der rasant steigenden Netzentgelte“, so Disson.

Die Chemieverbände fordern zudem von der Politik auf Bundes- und Landesebene eine entschlossene Wachstumsagenda, die folgende sieben Punkte umfasst:

1. Wir fordern eine schnelle Verabschiedung des Wachstumschancengesetzes. Wir befürworten die Erhöhung der steuerlichen Forschungszulage und eine Anhebung des Fördersatzes von 25 auf 35%.
2. Forschung und Entwicklung müssen einen deutlich größeren Stellenwert in der Politik erhalten, Gesetze klar und forschungsfreundlich gestaltet werden.
3. Die Hessische Landesregierung muss sich noch stärker für neue Investitionen und Ansiedlungen in unserem Bundesland einsetzen. Mit ihrer Initiative Gesundheitsindustrie Hessen (IGH) sollte sie auch künftig Vorreiter in den Bereichen Arzneimittelversorgung und Arzneimittelindustrie sein.
4. Die Hessische Landesregierung ist gefordert, den angekündigten Bürokratieabbau sowie die Beschleunigung von Genehmigungsverfahren zügig anzugehen. Eine schnelle Umsetzung des Onlinezugangsgesetzes wäre hierzu ein wichtiger Schritt
5. Die Sozialversicherungsbeiträge haben die 40%-Marke überschritten. Wir fordern nachhaltige Reformen in der Sozialversicherung, um die Belastungen wieder zu senken. Das Bürgergeld muss anreizgerechter gestaltet werden.
6. Die Bundesregierung muss mehr Beweglichkeit für Arbeitnehmer und Arbeitgeber schaffen. Wir brauchen eine Wochen- statt der begrenzten Tagesarbeitszeitbetrachtung, außerdem weiterhin Flexibilität beim Thema Arbeitszeiterfassung.
7. Wir wünschen uns mehr Vertrauen in die Wirtschaft. Unsere Branche bekennt sich zu den menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten. Trotz Verbesserungen im Vergleich zum ursprünglichen Trilog-Ergebnis bleibt die EU-Lieferkettenrichtlinie hoch problematisch und birgt das Risiko der bürokratischen Überforderung der Unternehmen.

„Wir appellieren an die Bundes- und Landesregierung ein Umfeld zu schaffen, das Entbürokratisierung, Unternehmertum und Leistungsbereitschaft fördert und unseren Industriestandort für Fachkräfte attraktiv hält“, so Meyer abschließend.

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