Anlagenbau & Prozesstechnik

Digitalisierung der Prozessautomatisierung

Mit Navigationssystem und ohne angezogene Handbremse ans Ziel des höheren Mehrwerts

20.03.2024 - Wachsende Herausforderungen in den Bereichen Wirtschaftlichkeit, Nachhaltigkeit und Demografie treffen auf ebenfalls wachsende Fähigkeiten in der Digitalisierung.

Mit Navigationssystem und ohne angezogene Handbremse ans Ziel des höheren Mehrwerts – eigentlich könnte alles so einfach sein: Wachsende Herausforderungen in den Bereichen Wirtschaftlichkeit, Nachhaltigkeit und Demografie treffen auf ebenfalls wachsende Fähigkeiten in der Digitalisierung. Das Ziel einer höheren Wertschöpfung scheint greifbar nahe, jedoch gibt es mannigfaltige Fallen und Ablenkungen auf dem Weg dorthin. Diese sind nicht nur systemimmanent, sondern werden zum Teil aus partikulären Interessen heraus bewusst gestellt.

Künstliche Intelligenz (KI)

Wir sind alle beeindruckt von generativen KIs wie ChatGPT und deren Fähigkeit, im Dialog mit dem Anwender Fragen zu beantworten sowie komplexen Code zu analysieren oder ihn zu erzeugen. Ist KI also der Heilsbringer für alle unsere verbleibenden Problemstellungen?
Abseits von Folien und der Verkündung entsprechender Evangelisten ist das Ganze dann vielleicht doch nicht mehr so einfach. Als erstes dürfen wir nicht den hohen Aufwand unterschätzen. Für das Training eines Large Language Models von Null kann ein dreistelliger Millionenbereich fällig werden. Außerdem ist noch gar nicht klar, ob wir dem System überhaupt ausreichend relevante Informationen für sein Training anbieten können, so dass es die in sich gesteckten Hoffnungen zuverlässig erfüllen kann. Forschungsarbeiten deuten allerdings in die richtige Richtung!
An vielen Stellen setzt sich bereits die „langweiligen“ Erkenntnisse durch, dass der Schlüssel in einer Synthese aus gezielter Modellbildung, angereichert mit erlernten Eigenschaften, stecken wird.

Internet of Things (IoT)

Ein nicht leicht zu fassender Sammelbegriff, der von der atomistischen Digitalisierung einzelner Objekte bis hin zu deren globalen Infrastruktur und dahinterliegenden Cloud-Technologien reicht. Schaut man sich die konkrete Umsetzung an, trifft man wieder auf die „langweilige“ Erkenntnis: Wir werden offene Schnittstellen brauchen. Aber wer unterstützt diese wirklich?

Die Breite der Anwender scheint noch nicht an Bord zu sein: Leider beobachten wir, dass Initiativen wie der Open Process Automation Standard (O-PAS) oder Module Type Package (MTP) eher verhaltenen Anklang finden – obwohl sie signifikante Einsparungen im Bereich der Investitions- und Betriebskosten aufzeigen.

In der Prozessautomation blicken wir außerdem auf einen entwickelten Markt mit Herstellern in einem Universum eigener geschlossener Ökosysteme. Um eine Flexibilisierung dieser Situation zu erreichen, sind wir auf die Mitwirkung der Hersteller angewiesen. Das heißt, es wird nur auf der Basis von Win-Win funktionieren können, möchte man keine offene oder – vielleicht noch schlimmer – verdeckte Gegenwehr gegen eine Öffnung riskieren.

Die Bremsen lösen

An diesen beiden Beispielen sieht man, was uns auf unserem Weg zu Mehrwert durch Digitalisierung bremst. Eine umfassende Transparenz der Bremsklötze ist der erste Schritt zur Verbesserung der Situation und zum Lösen der Bremsen. Wissen wir überhaupt, welche Richtung wir einschlagen sollen? Mit wachsamem Auge müssen wir uns die Entwicklungen der Gegenwart anschauen. Bei denen, die uns beraten, sollten wir uns nach deren Motivation fragen. Das heißt, dass wir unsere Ziele mit einer Kombination von Prozessautomatisierung mit neuen Methoden, der Digitalisierung und der Nutzung von offenen Schnittstellen selbst definieren müssen, ohne die Anbieter der Prozessautomatisierung zu verschrecken. Diese Ziele können vielfältig sein und sich auf eine bessere und effizientere Produktion ebenso beziehen wie auf den Einsatz des idealen Geräts für den Anwendungsfall, geringere Kosten oder eine bessere geräteunabhängige Wartung und Analyse.

Für den technischen Austausch über Technologie und Ziele sind Interessensgemeinschaften wie die NAMUR ein guter Start. Eigene Erfahrungen, Kenntnisse und Anforderungen dort einzubringen, macht uns am Ende alle stärker, ohne dass wir Faktoren unserer eigenen Differenzierung am Markt aufgeben müssten. Gleichzeitig arbeitet die NAMUR sehr eng mit dem ZVEI zusammen, so dass auch die Hersteller ein starkes Gewicht in der Entwicklung der Anforderungen und Ziele haben.

Insgesamt betrachtet wird es Zeit, dass wir uns auf den Weg machen und das Tal der Tränen verlassen. Rein in den Fahrersitz, Handbremse lösen, Ziele definieren, Navigationssystem einstellen und los geht’s! Es geht um die Sicherung und Stärkung von ganzen Branchen und Wirtschaftsstandorten und das ist keine Aufgabe, die ein Einzelunternehmen allein bewältigen kann.

Autoren: Stefan Krämer, Head of Process Performance Improvement, Bayer; und Michael Krauß, Senior Automation Manager, BASF

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