Krisen-Tarifrunde in der Chemieindustrie
BAVC beurteilt IGBCE-Forderungsempfehlung als „weder krisengerecht noch finanzierbar“
„Die Branchendaten sprechen eine deutliche Sprache: 2023 ist die Produktion erneut eingebrochen, um weitere 8 %. Die Produktion am Standort Deutschland ist damit in vier der letzten fünf Jahre geschrumpft. Der Branchenumsatz lag mit minus 12 % noch tiefer in den roten Zahlen. In weiten Teilen der chemischen Industrie ging die Beschäftigung in den vergangenen Monaten zurück.“, sagte BAVC-Hauptgeschäftsführer Klaus-Peter Stiller
Stiller: „Sozialpartner müssen Standort und Beschäftigung schützen“
„Auch im laufenden Jahr ist kein Wachstum in Sicht, im Gegenteil: 2024 steuert die Chemie auf eine Krisen-Tarifrunde zu“, betonte Stiller. „Wo keine Zuwächse sind, können wir auch keine verteilen. Wir stehen vor der gewaltigen Aufgabe, unsere Branche durch eine tiefgreifende Krise zu steuern und zeitgleich die Jahrhundertaufgabe Transformation zu bewältigen.“
Gewerkschaft und Arbeitgeber seien in der Pflicht, die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen und Arbeitsplätzen in den Mittelpunkt zu stellen. „Bereits jetzt stehen in zahlreichen Unternehmen Restrukturierungen und auch Stellenabbau auf der Tagesordnung. Mit der Chemie-Tarifrunde 2024 müssen die Sozialpartner vor allem dazu beitragen, Standort und Beschäftigung zu schützen.“
Kein Nachholbedarf in der Hochlohn-Branche Chemie
Die mit der Forderungsempfehlung ausgedrückte hohe Erwartungshaltung der IGBCE komme zudem zur Unzeit angesichts der gerade erst in Kraft getretenen zweiten Stufe der Tariferhöhung aus dem Chemie-Tarifpaket 2022. „Zum 1.1.2024 haben wir die Tabellenentgelte erneut um 3,25 Prozent erhöht. Zusätzlich haben die Beschäftigten im Januar 1.500 EUR steuer- und beitragsfreies Inflationsgeld erhalten – brutto für netto. Für viele Unternehmen ist das ein absoluter Kraftakt“, betont Stiller. Die IGBCE gehe zu weit, wenn sie mitten in der tiefsten Krise seit Jahrzehnten noch mehr draufsatteln wolle. „Jedes zusätzliche Zehntel würde die Betriebe dem Abgrund näherbringen und am Ende Arbeitsplätze kosten.“
„Hinzu kommt: Die Inflation dürfte in diesem Jahr wieder unter drei Prozent liegen. Ohne jede weitere Tariferhöhung werden die Chemie-Beschäftigten 2024 real wieder mehr in der Tasche haben.“ Stiller weiter: „Nachholbedarf besteht vielleicht in anderen Branchen, aber nicht in der Hochlohnindustrie Chemie und Pharma. Tarifbeschäftigte in Vollzeit kommen bei uns im Schnitt auf über 73.000 EUR im Jahr und liegen damit weit vorne im Branchenvergleich.“
Stärkung der Tarifbindung auf beiden Seiten
„Ganz gleich, ob man es Nachteilsausgleich, Bonus oder Mitgliedervorteil nennt – Differenzierung auf Basis der Gewerkschaftszugehörigkeit spaltet die Belegschaften und findet keine Akzeptanz auf Arbeitgeberseite“, kontert BAVC-Hauptgeschäftsführer Stiller die Forderung nach Vorteilen für Gewerkschaftsmitglieder. „Instrumente, die auf unserer Seite Mitglieder kosten, führen in die Sackgasse. Die IGBCE sollte sich von dem Wunsch verabschieden, eine direkte oder indirekte Besserstellung für Gewerkschaftsmitglieder zu vereinbaren.“ Zur Stärkung der beiderseitigen Tarifbindung seien in erster Linie die Sozialpartner selbst gefragt: mit attraktiven Tarifverträgen, modernen Sozialpartner-Vereinbarungen und dem Willen zur Veränderung.
Bei der Modernisierung des Bundesentgelttarifvertrags signalisieren die Arbeitgeber Gesprächsbereitschaft: „Auf Seiten der Arbeitgeber gibt es seit Langem Forderungen nach einer Entschlackung der Chemie-Tarifverträge. Wir werden eine Reihe von Vorschlägen in diese Diskussion einbringen, die Komplexität reduzieren und den Chemie-Tarif attraktiver machen können“, so Stiller. Dies müsse nicht auf den Bundesentgelttarifvertrag beschränkt bleiben.
Die Tarifverhandlungen für die 585.000 Beschäftigten in den 1.700 Betrieben der Chemie- und Pharmaindustrie beginnen am 15. April 2024 mit den Verhandlungen auf regionaler Ebene.
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