Effizienter Wissenstransfer in der Chemieindustrie
Digital-Adoption-Plattformen helfen, Know-how-Verluste zu vermeiden und Soll-Prozesse zu stärken
Die effiziente Vermittlung von prozess- und unternehmensspezifischem Wissen wird angesichts des demografischen Wandels und der fortschreitenden Digitalisierung in den kommenden Jahren zu einer wichtigen Kernaufgabe für Chemieunternehmen. Der Einsatz von Digital-Adoption-Plattformen (DAP) verspricht dabei nicht nur eine zeit- und kosteneffiziente Erstellung von Trainingsmaterialien, sondern liefert gleichzeitig Instrumente zur Stärkung digitaler Prozesse.
In wissensintensiven Branchen wie der Chemie- und Pharmabranche ist der Schulungsbedarf enorm hoch – und er wird weiter steigen. Zum einen, weil aufgrund des demografischen Wandels in den kommenden Jahren viele Wissensträger aus den Unternehmen ausscheiden werden – so lag der Anteil der über 60-Jährigen laut Bundesarbeitgeberverband Chemie (BAVC) zuletzt bei über 9 %. Zum anderen, weil die Transformation der Branche in Richtung Digitalisierung und nachhaltigere Geschäftsmodelle und die damit verbundenen Prozessveränderungen neue Schulungsbedarfe schaffen.
Die damit verbundenen Trainings sind in der Regel mit einem hohen Zeit- und Kostenaufwand verbunden – sowohl für die Erstellung der Trainingsinhalte als auch für deren Durchführung und die Teilnahme. Um dem steigenden Kostendruck in der Chemiebranche und den oft knappen Personalressourcen gerecht zu werden, sind flexiblere, niedrigschwellige Ansätze zur Wissensvermittlung und -weitergabe jenseits von zeit- und ressourcenintensiven Klassenraumtrainings oder E-Learnings erforderlich. Genau hier setzen DAP an.
„DAP ermöglichen es Unternehmen, kostengünstig und zeitsparend prozessspezifische Lerninhalte zu erstellen.“
Zeitsparende Trainingserstellung durch Wissensträger
Bei Digital-Adoption-Plattformen handelt es sich um Bildschirm-gebundene Trainingstools zur Schulung von Anwendern im Umgang mit IT-Systemen, bei denen diese mittels Software Overlay durch definierte Aufgaben, Funktionen oder Prozesse innerhalb einer Applikation oder Website geführt werden. Sie ersetzen damit in der Erstellung und Durchführung besonders zeitintensive Elemente klassischer Trainings und befähigen neue und bestehende Nutzer durch intuitives In-App-Lernen im Umgang mit Anwendungen oder einzelnen Funktionalitäten.
Im Vergleich zu herkömmlichen Präsenztrainings oder E-Learnings bieten digitale Adoptionsplattformen Vorteile auf mehreren Ebenen: Nutzer können bedarfsgerechte Lerninhalte zeit- und ortsunabhängig direkt im System wahrnehmen. Fachexperten bzw. Wissensträger wiederum können ohne zusätzlichen Design- und Programmieraufwand auf sehr einfache und intuitive Weise selbstständig Lerninhalte im System erstellen und mit anderen teilen. Dadurch können Kosten und Zeitaufwand für den Wissens- und Know-how-Transfer in der Organisation massiv reduziert werden.
DAP können für Trainings in allen webbasierten Systemen eingesetzt werden und unterstützen verschiedene Einsatzszenarien, wie die Einführung von Systemen oder neuen Features in Bestandssystemen, das Onboarding neuer Mitarbeiter/Rollen und das Problem-Solving für selten genutzte Funktionen.
- Einführung von Systemen oder neuen Features in Bestandssystemen
Bei der Migration auf ein neues System bzw. eine neue Version oder der Einführung neuer Funktionen und Prozesse können DAP zusätzlich zu anderen Trainingsformaten eingesetzt werden, um rollenspezifische Soll-Prozesse und Workflows zu trainieren. Über Notifications oder andere Formen der Nutzerinteraktion können User zudem im Tool auf Änderungen oder neue Features aufmerksam gemacht werden.
- Onboarding neuer Mitarbeiter/Rollen
DAP können im Rahmen von Onboarding-Prozessen für neue Mitarbeiter bzw. neue Rollen eingesetzt werden, um diese z.B. durch interaktive Guided Tours gezielt mit den für sie wichtigen Prozessen und Funktionen in den von ihnen genutzten IT-Systemen vertraut zu machen.
- Problem-Solving für selten genutzte Funktionen
Zur Unterstützung der Anwender bei der Durchführung selten benötigter Standardfunktionen, wie z.B. der Änderung des Nachnamens in HR-Self-Service-Systemen, können diese als geführter Prozess im DAP abgebildet werden.
User-Tracking als Schlüssel für höhere Prozesstreue und Systemausnutzung
Neben der Bereitstellung von Anwendertrainings und -hilfen bieten einige DAP, wie z.B. Userlane, umfangreiche Monitoring- und Reporting-Funktionalitäten, die es Organisationen ermöglichen, aggregierte und anonymisierte Erkenntnisse über die Systemnutzung und das Nutzerverhalten innerhalb der jeweiligen Anwendung zu gewinnen. So kann zum einen festgestellt werden, welche Komponenten einer Software viel oder wenig genutzt werden, und durch Trainings oder Benachrichtigungen im System steuernd eingegriffen werden, um den Systemausnutzungsgrad zu erhöhen oder das System um nicht benötigte Funktionen zu bereinigen. Dies gilt sowohl für einzelne Systeme als auch für die Ebene der gesamten IT-Architektur, wo der Gesundheitszustand aller Anwendungen im Sinne eines Scorings angezeigt werden kann. Zum anderen kann mit Hilfe der DAP nachvollzogen werden, ob Anwender definierte Soll-Prozesse bis zum Ende durchlaufen oder an welchen Stellen sie abspringen, um mögliche Prozessabweichungen zu identifizieren und entsprechende Trainingsmaßnahmen einzuleiten, mit denen diesen entgegengewirkt werden kann.
DAP-Einsatz erfordert funktionierende Governance-Strukturen
DAP erleichtern die Erstellung von Trainingsmaterialien und somit den Know-how-Transfer durch Wissensträger in der Organisation. Eine wesentliche Voraussetzung dafür ist, dass die dazugehörigen Soll-Prozesse entsprechend in den IT-Systemen abgebildet sind und von den Fachexperten gelebt werden. Andernfalls entstehen Inkonsistenzen, die sich in Prozessabweichungen und Prozessbrüchen niederschlagen.
Gerade weil den Fachexperten durch intuitiv bedienbare DAP die Möglichkeit gegeben wird, Inhalte eigenständig zu erstellen, müssen entsprechende Governance-Strukturen, z.B. in Form von Autorenrichtlinien, Rollenmodellen und Freigabeprozessen etabliert werden, die sicherstellen, dass diese den festgelegten Soll-Prozessen entsprechen.
Fazit
DAP sind kein vollwertiger Ersatz für Klassenraumtrainings oder E-Learnings, ermöglichen es Unternehmen aber, kostengünstig und zeitsparend prozessspezifische Lerninhalte zu erstellen und nutzbar zu machen. Gerade angesichts steigender Trainingsbedarfe im Zuge anstehender Transformationsphasen in der Chemieindustrie bei gleichzeitigem Kostendruck und Kapazitätsengpässen bieten sie für Unternehmen eine wertvolle Ergänzung bei der gezielten Befähigung von Anwendern in IT-Systemen. Die Möglichkeiten zum Monitoring und der Analyse des User-Verhaltens in den jeweiligen Systemen ermöglicht zudem die nachhaltige Stärkung der Soll-Prozesse sowie die Realisierung von Effizienzpotenzialen durch höhere Systemausnutzungsgrade in der Organisation.
Autor: Stefan Baltzer, Senior Manager & Executive Consultant, Competence Center Training & Enablement, MSG Industry Advisors AG, Hürth
Zur Person
Stefan Baltzer ist Senior Manager bei msg industry advisors. Sein Beratungsschwerpunkt liegt in der Entwicklung von Trainingskonzepten und deren Umsetzung insbesondere in IT- Großprojekten. Zudem etabliert er Trainingsorganisationen bei seinen Kunden und implementiert digitale Trainingsinfrastrukturen.“