EU-Vorschlag zur Modernisierung des Gentechnikrechts fördert Innovation
07.07.2023 - Die Industrie begrüßt den EU-Vorschlag zur Regelung neuer genomischer Techniken in der Pflanzenzüchtung als „Schritt in die richtige Richtung“.
Die Biotechindustrie in Deutschland sieht in dem Anfang Juli vorgelegten Vorschlag der EU-Kommission zur Regelung neuer genomischer Techniken (NGT) eine enorme Chance, diese für mehr Nachhaltigkeit und Klimaschutz zu nutzen. Währenddessen beurteilt auch die Schweizer Branche den Vorschlag aus Brüssel als wichtiges Signal für Innovation, mahnt aber zugleich Handlungsbedarf im eigenen Land an.
In Deutschland wird der von der Europäischen Kommission veröffentlichte Vorschlag zur Modernisierung des Gentechnikrechts sowohl vom Industrieverband Agrar (IVA) als auch von der Deutschen Industrievereinigung Biotechnologie (DIB) begrüßt.
Während sich die bestehende Regulierung für die Gentechnik der 1970er Jahre als wissenschaftlich ungeeignet für neue Züchtungsverfahren erwiesen hat, sehe der neue Vorschlag eine praxistauglichere Regulierung für NGT-Saatgut vor, so der IVA.
Der vorliegende Legislativvorschlag zu NGTs in der Pflanzenzüchtung werde laut DIB für die gesamte Biotechnologie von essenzieller Bedeutung sein: Er werde nicht nur Maßstäbe für den Einsatz moderner Technologien in vielen Sektoren setzen, sondern werde als Schlüsseltechnologie auch ein Motor für Innovationen sein, der einen entscheidenden Beitrag zur Transformation leistet. Profitieren werden besonders die Land- und Forstwirtschaft, die industrielle Produktion sowie die Gesundheitswirtschaft.
Die neuen Vorschriften betreffen NGTs, die sich von gentechnisch veränderten Organismen (GVO) unterscheiden. Die neuen Vorschriften sollen sicherstellen, dass alle NGT-Pflanzen einer Regulierung unterliegen, die auf ihr Risikoprofil zugeschnitten ist. Dies soll gewährleisten, dass sie auf dem EU-Markt genauso sicher sind wie konventionell gezüchtete Sorten. GVO werden weiterhin durch die bestehenden Rechtsvorschriften über GVO geregelt, die nicht geändert werden.
Der DIB-Vorsitzende Max Wegner sagte: „Im Großen und Ganzen kann der Vorschlag zu einem klaren Gamechanger für unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit werden. Wir könnten uns damit auch endlich die strategische Souveränität in der Biotechnologie für Europa sichern. Aber Lösungen für die globalen Herausforderungen wie den Klimawandel und eine robuste und nachhaltige Landwirtschaft kann es nur geben, wenn Start-ups, KMUs, große Unternehmen und öffentliche Forschungseinrichtungen die neuen Techniken in Deutschland und der EU möglichst zeitnah nutzen können. Daher muss die Neuregelung zügig verabschiedet werden.“
Frank Gemmer, Hauptgeschäftsführer des IVA, hebt die Chancen der vorgeschlagenen Regulierung zur Zulassung von NGT-Pflanzen hervor: „Wir brauchen die nobelpreisgekrönte Genschere auch für eine resiliente Landwirtschaft in Europa. Die EU hat die Chancen erkannt und eine wichtige Weichenstellung vorgeschlagen. Bei aller Kritik im Detail – die Richtung stimmt. Europa folgt dem internationalen Vorbild und behandelt NGTs nicht mehr unsachgemäß. Jetzt gilt es, den Entwurf auf seine Praxistauglichkeit zu prüfen und im Dialog eine wettbewerbsfähige Regulierung für Züchtende jedweder Größe zu entwickeln, die gleichzeitig die Sicherheit für Mensch, Tier und Umwelt sicherstellt.“
Heike Köhler, Vorsitzende des Fachbereichs Pflanzenzüchtung im IVA und Geschäftsführerin von Syngenta Seeds, erläuterte die bisherige Rechtsprechung in der Juniausgabe des CHEManager: "Eine veraltete EU-Regulierung, die innovative Züchtungstechniken pauschal dem strikten Gentechnikrecht unterwirft, setzt praktisch unüberwindbare Hürden für die Entwicklung von bspw. widerstandsfähigeren Pflanzensorten." Die aktuellen Herausforderungen seien zu groß, um die bewährten biotechnologischen Lösungen in der Pflanzenzüchtung weiter ungenutzt zu lassen, so Köhler.
Mit neuen Züchtungstechnologien lassen sich die benötigten robusteren Pflanzen schneller und zielgenauer züchten, um die ambitionierten Klima-, Umwelt- und Ertragsziele schneller zu erreichen. In Deutschland benötigen wir hitze- und krankheitsresistente Pflanzen für sich wandelnde klimatische Bedingungen und zur geforderten Reduzierung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes. Aufgrund des restriktiven Gentechnikrechts werden die Chancen der Biotechnologie bis heute nur von Landwirtinnen und Landwirten außerhalb der EU genutzt.
„Damit sich dies zukünftig ändert, modernes Saatgut den landwirtschaftlichen Betrieben auch hier zur Verfügung steht und die heimische Saatgut-Branche samt Forschung und Entwicklung international wettbewerbsfähig bleibt, benötigt Europa eine innovationsfreundliche Regulierung. Dafür ist es entscheidend, dass im Zulassungsprozess eine streng naturwissenschaftliche Risikobewertung des Produkts vorgenommen wird und nicht die Herstellungsmethode im Vordergrund steht“, betont Gemmer. Da bei der Nutzung der sogenannten „Genschere“ natürliche Evolutionsprozesse imitiert und zielgerichtet vereinzelte Mutationen ausgelöst werden, sind diese Pflanzen genauso sicher wie herkömmlich gezüchtete oder in der freien Natur vorkommende Sorten.
Hintergrund: Mithilfe von Gene Editing können Mutationen gezielt erzeugt werden, die sich von natürlich entstandenen oder konventionell gezüchteten nicht unterscheiden. Gene Editing verringert die Herausforderungen, die aus den Zufälligkeiten der Züchtung erwachsen. Das bedeutet nicht nur eine Zeit- und Kostenersparnis, sondern auch mehr Sicherheit durch mehr Präzision. Gene Editing bringt die neuen Verfahren mit der herkömmlichen Züchtung zusammen.
Handlungsbedarf für die Schweiz
Während die EU-Kommission innovationsfreundliche Regelungen für neue Züchtungsverfahren in der Europäischen Union vorschlägt, verhindern in der Schweiz veraltete Bestimmungen deren Einsatz. Bundesrat und Parlament sollten jetzt rasch eine differenzierte Regelung erlassen, sodass die Schweiz zu Lösungen für Herausforderungen wie Bevölkerungswachstum oder Klimawandel beitragen kann, erklärte Scienceindustries, der Schweizer Wirtschaftsverband Chemie Pharma Life Sciences.
Nachdem weltweit bereits viele weitere Länder (u.a. Großbritannien) innovationsfreundliche Regelungen für neue Züchtungsverfahren eingeführt haben, sei dies ein wichtiges Signal aus Brüssel: Genomeditierte Pflanzen, die sich nicht von Produkten klassischer Züchtung unterscheiden, sollen beim Anbau und im Verkauf vergleichbaren Bestimmungen unterstehen wie herkömmliche Sorten.
Mit Blick auf wachsende Weltbevölkerung und Klimawandel seien NGT-Pflanzen ein "game-changer". Die Schweizer Akademie der Naturwissenschaften SCNAT hat kürzlich über Pflanzensorten mit potenziellem Mehrwert für die Schweiz berichtet, wie pilzresistente Reben, virusresistente Tomaten, Krautfäule-resistente Kartoffeln und glutenreduzierten Weizen. Allerdings verhindern veraltete gesetzliche Bestimmungen und die pauschale Einstufung der Produkte als GVO den Einsatz neuer Züchtungsverfahren in der Schweiz, und blockieren damit Entwicklungen für eine nachhaltigere, innovativere Landwirtschaft.
Das Parlament hat den Bundesrat beauftragt, bis Mitte 2024 ein risikobasiertes Zulassungsverfahren für NGT-Pflanzen auszuarbeiten. Der Bundesrat sieht aber in seinem Bericht vom Februar 2023 kaum Lockerungen vor.
Die Schweiz falle mit diesen restriktiven Rahmenbedingungen für innovative Züchtungstechnologien global weiter auf eine Schlusslicht-Position zurück, so der Wirtschaftsverband. Das betrifft sowohl Forschung und Entwicklung, den Anbau als auch Handel und Import. Scienceindustries sieht daher dringenden politischen Handlungsbedarf. Auch die Schweiz müsse jetzt ihren Gesetzesrahmen entsprechend anpassen, um die Chancen der neuen Technologien zu nutzen.