Modulare Anlagen
Von der Entwicklung in Labor und Technikum zur Anwendung und zum Roll-out in die Produktion
Evonik hat daher vor einigen Jahren die Initiative „Modular Plants“ gestartet, um gemeinsam mit der Peer Group sowie der angrenzenden Industrie und Systemlieferanten die erforderlichen modularen Konstruktionsprinzipien und Technologieänderungen zu entwickeln und zu demonstrieren. Die verfügbare modulare Technologie wird nun sowohl im Labor als auch in der Produktion umgesetzt.
Bei dem modularen Anlagenkonzept können die Prozessmodule, die sog. PEAs (Process Equipment Assemblies), je nach Bedarf in einem einfachen Plug-and-Produce-Verfahren zusammengestellt werden. Dazu war eine Änderung des Automatisierungskonzepts erforderlich: dezentrale Steuerungssysteme in den PEAs sowie eine herstellerunabhängige Schnittstelle. Letzteres wird durch die MTP- (Module-Type-Package-)Schnittstelle ermöglicht, die eine standardisierte und herstellerunabhängige Beschreibung von PEAs oder Package Units erlaubt. Dies ermöglicht eine schnelle und flexible Integration der PEAs in Automatisierungssysteme, in denen die Orchestrierung des Gesamtprozesses stattfindet.
Während das Modular-Plants-Team von Evonik mit der Entwicklung und Umsetzung dieses neuen Konzepts im Labor- und Technikumfeld begonnen hat, erreichen mittlerweile immer mehr Anfragen aus Produktionsanlagen das Team. Wir stellen ausgewählte Anwendungen vor, die bei Evonik in den letzten Jahren entwickelt wurden und derzeit umgesetzt werden und zeigen die wichtigsten nächsten Schritte für die Umsetzung modularer Anlagenkonzepte in der Produktion auf.
Worum es bei MTP geht
Das Module Type Package (MTP) ist eine herstellerunabhängige Schnittstelle, die es ermöglicht, Automatisierungshardware/speicherprogrammierbare Steuerungen (SPS) verschiedener Hersteller mühelos in ein Leitsystem zu integrieren, einschließlich Bedienbild (HMI, Human Machine Interface), Kommunikation und weiterer Automatisierungsaspekte. Als Kommunikationsprotokoll zwischen SPSen und Leitsystem wird OPC UA verwendet, das sich bereits seit vielen Jahren in der Industrie etabliert hat. Umfangreiche Informationen zu MTP finden sich bei NAMUR, ZVEI, VDI/VDE oder im Buch von Thomas Tauchnitz „MTP Automation of Modular Plants“.
Polyana da Silva Santos, Evonik
„Die Auswahl geeigneter PEAs wird die Implementierung modularer Anlagen mit Plug-and- Produce-Fähigkeiten ermöglichen."
Modulare Demonstratoren im F&E-Umfeld
Bei Evonik werden inzwischen immer mehr Anwendungen mit Hilfe der modularen Anlagentechnik realisiert, zunächst im F&E-Umfeld und in Pilotanlagen. Dies ermöglicht u.a. eine schnelle Anpassung der benötigten Prozessfunktionalitäten und -aufbauten für neue Prozessentwicklungen.
Heute sind in den Technikumsanlagen von Evonik mehr als 60 modulare PEAs mit verschiedenen Automatisierungslieferanten wie Siemens, Wago, Phoenix Contact und Semodia in Betrieb. Eine große Herausforderung bei diesem Vorhaben war die Arbeit mit MTP-Standards und damit die Entwicklung von MTP-Produkten. Die Anstrengungen zahlen sich jedoch aus und die Laborinstallationen zeigen erste Ergebnisse hinsichtlich schneller Implementierung und Flexibilität.
Der modulare Ansatz stößt nun auch international zunehmend auf Interesse. So befindet sich bspw. in den USA ein Engineering-Projekt für eine neue Pilotanlage, die als modulare, flexible Anlage konzipiert ist, in der Startphase. Um eine nahtlose internationale Einführung dieser Technologie zu gewährleisten, müssen die Anbieter von Automatisierungssystemen ihre internationalen Mitarbeiter für den MTP-Standard schulen und Implementierungsprojekte unterstützen.
MTP-Pioniere im Produktionsumfeld
Nach den ersten Demonstratoren für die modulare Anlagentechnologie in der F&E-Umgebung hat Evonik im Jahr 2019 Pionierarbeit bei der ersten Implementierung von MTP in der Produktionsumgebung geleistet. Zu diesem Zweck arbeitete Evonik mit Engie, Siemens und Yokogawa an der Integration einer Kältemaschine in eine bestehende Brownfield-Anlage.
Dieses Projekt wurde trotz der frühen Entwicklungsphase des MTP-Standards durchgeführt. Daher konnten nur die MTP-Funktionalitäten HMI und OPC-UA-Kommunikation verwendet werden, und in der Entwurfsphase mussten einige Kompromisse eingegangen werden, um das Ziel einer nahtlosen Integration zu erreichen. Nichtsdestotrotz wurde das Projekt erfolgreich abgeschlossen, was die praktischen Vorteile der MTP-Technologie beweist, d.h. die Reduzierung des manuellen Aufwands auf bis zu 50 % sowie die Einsparung von Zeit und Kosten.
Igor Stolz, Evonik
„Evonik hat im Jahr 2019 Pionierarbeit geleistet bei der ersten Implementierung von MTP in einer Brownfield-Anlage."
Intelligente Integration in Brownfield-Anlagen
Nach der Pionierarbeit in der Produktion wird im Sommer 2023 eine weitere modulare Anlage im Rahmen des öffentlich geförderten Projekts Macbeth (Membranes and Catalysts Beyond Economic and Technological Hurdles) in Betrieb gehen. Diese modulare Demonstrationsanlage im Pilotmaßstab besteht aus vier Prozessmodulen und wird in eine reale Produktionsumgebung integriert. Sie muss damit die gleichen Anforderungen an Redundanz, Sicherheit und Verfügbarkeit erfüllen wie die Produktionsanlage.
Der modulare Technologieansatz wurde gewählt, um Flexibilität während und nach der Demonstrationsphase des Projekts zu gewährleisten. Das bedeutet, dass die einzelnen Module später an anderer Stelle eingesetzt werden können. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist, dass alle Module zunächst in einer separaten Montagehalle gefertigt werden, in der auch die Erstinbetriebnahme stattfindet. Da die Module im Seitenstrom der Produktionsanlage angeschlossen werden, kommt es nur zu einer minimalinvasiven Abschaltung der Produktionsanlage für die Inbetriebnahme der Demonstrationsanlage. Auch die Anbindung an das Leitsystem erfolgt erst ganz zum Schluss. Die Implementierungszeiten werden auf diese Weise drastisch reduziert.
Rolle der OEMs beim Paradigmenwechsel
Um sicherzustellen, dass die Modularisierung wirtschaftlich attraktiv ist, müssen PEAs in einer begrenzten Anzahl von Varianten auf dem Markt verfügbar sein, um eine kosteneffiziente Herstellung durch die Zulieferer zu ermöglichen, was zu einer anderen Art der Abstimmung über Anforderungen und technische Möglichkeiten zwischen Herstellern und Betreibern führt.
Wie bereits erwähnt, befinden sich MTP und das Konzept der modularen Anlagen in einer frühen Phase der Markteinführung. Heutzutage ist es nach wie vor schwierig, PEAs zu finden, die den standardisierten Konstruktions- und Automatisierungsrichtlinien entsprechen. Wenn die OEM (Original Equipment Manufacturer) PEAs mit ausreichender Qualität auf den Markt bringen, wird dies zweifellos den Ansatz für die Konstruktion neuer Anlagen beeinflussen. Der Konstruktionsprozess wird einen radikalen Wechsel von der Spezifikation einzelner Komponenten zur Bildung einer speziellen und technisch optimal konzipierten Anlage hin zu einer Auswahl von PEAs erleben, die in der Lage sind, bestimmte erforderliche Prozessfunktionen zu erfüllen. Die richtige Auswahl geeigneter PEAs wird die Implementierung neuer oder hybrider modularer Anlagen mit Plug-and-Produce-Fähigkeiten ermöglichen.
Thomas Scherwietes, Evonik
„Modularisierung unterstützt die erforderliche Umwandlung bestehender Chemieanlagen in nachhaltigere Anlagen."
Neben dem Anlagenbetreiber hat auch der PEA-Hersteller erhebliche Vorteile bei der Adaption der modularen Automatisierungsschnittstelle. Da MTP eine herstellerunabhängige Automatisierungsintegration ermöglicht, muss der PEA- oder Package-Unit-Hersteller die Automatisierungsschnittstelle nur einmal entwickeln. Dabei kann er seine etablierte Steuerungstechnik nutzen. Die Anbindung an das Leitsystem des Betreibers ist dann ohne weitere Modifikationen an der Schnittstelle möglich. Voraussetzung dafür ist, dass das Leitsystem des Betreibers ebenfalls die MTP-Schnittstelle unterstützt, was bei den heute am Markt verfügbaren Leitsystemen typischerweise der Fall ist.
Frank Stenger, Evonik
„In den Technikumsanlagen von Evonik sind mehr als 60 modulare PEAs mit verschiedenen Automatisierungslieferanten in Betrieb."
Fazit und Ausblick
Das Modular-Plants-Team von Evonik realisiert seit Jahren Projekte auf Basis von MTP, zunächst vor allem im Bereich der Labore und Technikumsanlagen. In letzter Zeit wächst das Interesse von Produktionsbetrieben, den modularen Ansatz mit der herstellerunabhängigen Schnittstelle MTP zu implementieren und zu nutzen. Dies zeigt, dass die Grundfunktionalität von MTP bereits Vorteile wie effizientes Engineering und Zeitersparnis mit sich bringt, so dass es sich lohnt, diese Technologie in Betracht zu ziehen.
Neben den oben erwähnten Anwendungen des modularen Anlagenkonzepts in schnell wachsenden und volatilen Märkten wird der Ansatz auch dazu beitragen, die erforderliche Umwandlung bestehender Chemieanlagen in nachhaltigere Anlagen zu realisieren. Modulare Anlagenkonzepte können eine wichtige Rolle spielen, wenn es bspw. um die intelligente Integration energieeffizienter Technologien wie Wärmepumpen oder Brüdenkompression in bestehende Anlagen geht.
Die Grundlagen des modularen Anlagenkonzepts sind gelegt und sowohl in Labor- als auch in Produktionsumgebungen erfolgreich demonstriert worden. Nun müssen weitere OEM- Partner den modularen Ansatz aufgreifen und PEAs auf Basis der entwickelten Standards auf den Markt bringen, damit die Endanwender sie effizient nutzen können.
Christian Bramsiepe, Evonik
„Die modulare Technologie mit MTP wird bei Evonik sowohl im Labor als auch in der Produktion umgesetzt."
Autoren:
Polyana da Silva Santos, Lead Engineer Process Control;
Christian Bramsiepe, Project Manager Modular Plants;
Frank Stenger, Head of Technology Platform Modular Plants;
Igor Stolz, Head of Electrical & Process Control;
Thomas Scherwietes, Head of Industrial Automation Solutions;
Evonik, Marl