Quo Vadis Digitalisierung in der Analytik?
Das FutureLab.NRW-Modelllabor bietet Möglichkeiten, die digitale Transformation zu unterstützen
Die Digitalisierung ist zu einem festen Bestandteil unseres täglichen Lebens geworden. Fast jeder Mensch trägt einen kleinen „Supercomputer“ bei sich. Mit dem Smartphone organisieren wir unser Leben, egal zu welcher Uhrzeit und an welchem Ort. Algorithmen wie ChatGPT erfreuen sich großer Beliebtheit, sei es, um ein möglichst authentisches Goethe-Gedicht zu erschaffen oder ein Computerprogramm zu schreiben, um eine komplizierte Berechnung durchzuführen. Das, was in unserem „normalen“ Alltag bereits zum Stand der Technik gehört, ist in den analytischen Laboren der Welt höchstens im Erprobungsstadium und wird von vielen eher als Zukunftsvision denn als implementierbare Lösung beurteilt.
Es lässt sich trefflich darüber streiten, ob es einen echten Fachkräftemangel gibt. Tatsache ist, dass im Verlauf der Coronapandemie eine zunehmende Arbeitsverdichtung stattgefunden hat. Dies gilt unabhängig von der jeweiligen Branche.
Die Analytik ist in diesem Zeitraum besonders in den Fokus gerückt als es darum ging, in kurzer Zeit Strukturen zu schaffen, um Impfstoffe in Rekordzeit zu entwickeln und PCR-Analysen in großer Zahl durchzuführen, sodass Ergebnisse zuverlässig in kürzester Zeit vorliegen. In vielen Fällen gab es keine adäquate Infrastruktur, ein hohes Probenaufkommen mit den verfügbaren technischen und personellen Ressourcen effizient zu bearbeiten. Auch wenn einzelne Analysenschritte teil- oder vollautomatisiert werden konnten, führten die Datenauswertung und fehlende Schnittstellen zu erheblichen Verzögerungen bei der Informationsweitergabe. Papierbasierte Dokumentationen, eine Vielzahl an proprietären Datenschnittstellen und fehleranfällige Datentransformationen tragen immer noch dazu bei, dass teilweise lange Bearbeitungszeiten während des Analysenzyklus in Kauf genommen werden müssen. Auch wenn es in einigen Fällen möglich war, zusätzliche Analysengeräte anzuschaffen, konnte eine Rekrutierung von Fachpersonal nicht in gleichem Maß erfolgen.
Die technischen Voraussetzungen sind vorhanden
Prinzipiell sind alle notwendigen technischen und infrastrukturellen Voraussetzungen verfügbar, um die Digitalisierung in der Analytik vollumfänglich umzusetzen. Immer mehr Prozesse in der Analytik werden automatisiert, um menschliche Fehler zu minimieren und die Effizienz zu steigern. Dies umfasst auch die Automatisierung von Probenahme und -vorbereitung sowie die Datenauswertung. Die Nutzung von künstlicher Intelligenz und maschinellem Lernen ermöglicht eine schnellere und präzisere Datenauswertung sowie die Identifikation von Mustern und Trends, um Prozesse zu steuern und Geräteausfälle vorherzusagen. Die Integration von Sensoren erlaubt eine Echtzeitüberwachung von Prozessen und Systemen sowie eine automatische Datenerfassung. Cloud-basierte Analyseplattformen ermöglichen es, große Datenmengen schnell und kosteneffektiv zu verarbeiten und zu speichern. Die Realität in den Laboren sieht leider anders aus.
Die Kluft zwischen dem technisch Machbaren und der Realität
Zwischen den einzelnen (teil)automatisierten Stationen und Geräten gibt es in der Regel immer noch keinen zusammenhängenden Datenfluss. Eine Vielzahl von teilweise proprietären Datenformaten erschwert das Zusammenfügen bzw. die Fusion von Ergebnissen, die mit Geräten von verschiedenen Herstellern erzeugt wurden. Die Dokumentation erfolgt in vielen Fällen rein papierbasiert, sodass Übertragungsfehler bei der Eingabe in vorkonfektionierte Datenmasken unvermeidbar sind. Dies kompromittiert nicht nur die Datenintegrität, sondern bietet Angriffspunkte für eine gezielte Datenmanipulation. IoT-Systeme, die bereits integrativer Bestandteil des Smart Home sind, finden sich im Labor nur selten. Dabei können Metainformationen helfen, die Qualität der Daten zu beurteilen und Fehler, die z. B. auf eine unzureichende Kühlkette beim Probentransport oder Probleme mit der Laborklimatisierung zurückzuführen sind, zu identifizieren.
Warum also werden die vorhandenen Potenziale nicht oder zumindest nur unzureichend genutzt?
Die Unternehmen und die Anwender sind gefordert
Die diesjährige Labvolution als wichtige Fachmesse rund um das Zukunftslabor hat gezeigt, dass es eine bemerkenswerte Vielfalt an technologischen Innovationen gibt, die als echte Routineanwendungen im Labor implementiert werden können. Damit eine solche Integration in das Arbeitsumfeld der Analytik gelingt, muss ein „bidirektionales“ Mindsetting erfolgen: die Entwickler von technischen Innovationen müssen verstehen, dass ein bestimmtes Produkt niemals losgelöst von der weiteren Laborumgebung betrachtet werden darf. Dies bezieht sich sowohl auf die Hardware, aber in zunehmendem Maße auch auf die Software. Eine App, die bspw. den Bestand von Chemikalien erfasst, muss mit anderen Software-Programmen kommunizieren, idealerweise über offene und gut dokumentierte Schnittstellen wie z. B. eine REST-API (Representational State Transfer Application Programming Interface). Aktuell sind immer noch viele Hersteller verunsichert, weil die Gefahr gesehen wird, dass sich etablierte Geschäftsmodelle ändern. Es ist daher immer noch zu beobachten, dass geschlossene Systeme aus Hardware und Software angeboten werden, um die Bindung der Kunden an die eigenen Produkte sicherzustellen. Das Labor mit all seinen Prozessen ist jedoch zu heterogen und wird deshalb immer aus Geräten unterschiedlicher Hersteller bestehen. Durch die Einführung immer neuer Apps und Software-Anwendungen, die keine nahtlose Integration in die vorhandene Laborinfrastruktur erlauben, wird ein reibungsloser Datenaustausch zwischen allen Geräten erschwert oder sogar unmöglich gemacht. Auf Seiten der Nutzer bedeutet dies, viel Zeit und finanzielle Ressourcen aufwenden zu müssen. Die Digitalisierung darf also kein Selbstzweck sein, sondern muss zu einer spürbaren und sofortigen Entlastung des Arbeitsalltags führen. Gleichzeitig müssen die Laboranwender erkennen, dass durch Digitalisierung keineswegs qualifizierte Arbeitsplätze verschwinden. Die Anforderungen an die Dokumentation dominieren zunehmend den Arbeitsalltag von technischem und wissenschaftlichem Laborpersonal. Datenintegrität und Rückführbarkeit von Analysenergebnissen werden von Überwachungsbehörden und Auditoren eingefordert. Ohne die Einführung digitaler Audit Trails und automatisierter Auswerteroutinen ist die Wettbewerbsfähigkeit insbesondere kleiner Laboreinheiten gefährdet.
Was bleibt zu tun?
Die Herausforderung der nächsten Jahre wird es sein, die technisch machbare Vernetzung der Laborinfrastruktur auch tatsächlich zu implementieren. Modelllabore spielen im Rahmen dieser Transformation eine wichtige Rolle. Das FutureLab.NRW des IUTA ist ein solches Modelllabor, in dem neue Technologien unter realen Bedingungen auf ihre Praxistauglichkeit erprobt werden (Bild). Gemeinsam mit Technologieanwendern und Technologieentwicklern können Defizite bestehender Systeme evaluiert und Schwachstellen neuer Entwicklungen identifiziert werden, bevor diese in die reale Implementierung in Routine- und Forschungslabore gehen.
Literaturangaben können bei den Autoren angefordert werden.
Autoren: Thorsten Teutenberg, Abteilungsleiter Forschungsanalytik &
Miniaturisierung, Max Jochums, Mitarbeiter Abteilung Forschungsanalytik & Miniaturisierung, Jochen Türk, Leiter Abteilung Umwelthygiene & Pharmazeutika,
Institut für Umwelt & Energie, Technik & Analytik e.V. (IUTA), Duisburg
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Analytik-Tag des IUTA
Der 7. Analytik-Tag am IUTA, der am 9. November 2023 in Duisburg stattfinden wird, beleuchtet Aspekte rund um die Themen Digitalisierung, Miniaturisierung und Automation. Die Entwicklung einer Software-Plattform, die eine herstellerübergreifende Geräteintegration erlaubt, ist ein zentraler Bestandteil des IUTA-Großprojekts „FutureLab.NRW“. Im Rahmen von Vorträgen sowie der Besichtigung der neuen Laborinfrastruktur werden Einblicke in das Labor der Zukunft gegeben. Die Anmeldung erfolgt über die IUTA Homepage.
www.iuta.de
ZUR PERSON
Max Jochums schloss 2020 sein Studium der Angewandten Chemie mit dem Schwerpunkt Bioanalytik an der Hochschule Niederrhein ab und arbeitet seitdem am IUTA in der Abteilung Forschungsanalytik & Miniaturisierung. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf der Labordigitalisierung und Automation mit Fokus auf der Transformation von analogen zu digitalen Arbeitsprozessen.
ZUR PERSON
Thorsten Teutenberg hat an der Ruhr-Universität Bochum Chemie studiert und dort am Lehrstuhl für Analytische Chemie promoviert. 2004 wechselte er als wissenschaftlicher Mitarbeiter an das IUTA. Seit 2012 leitet er die Abteilung Forschungsanalytik & Miniaturisierung. Schwerpunkte seiner wissenschaftlichen Arbeiten sind die Entwicklung neuartiger Detektions- und Kopplungssysteme auf Basis der Flüssigkeitschromatographie, Massenspektrometrie und Schwingungsspektroskopie. Aktuell ist er am Aufbau eines voll digitalisierten Labors der Zukunft (FutureLab.NRW) beteiligt.
ZUR PERSON
Jochen Türk leitet die Abteilung Umwelthygiene & Pharmazeutika und ist Technischer Leiter des akkreditierten Labors am IUTA. Er hat an der Universität Dortmund Chemie studiert und an der Universität Duisburg-Essen auf dem Gebiet der LC-MS/MS Methodenentwicklung für Arzneimittelwirkstoffe promoviert. Seit 2001 befasst er sich mit Fragestellungen aus den Bereichen des Arbeitsschutzes, der Umwelt-, Rückstands- und Pharmaanalytik.
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