„Bis 2025 wollen wir Wasserstoff-ready sein“
Für ein zukünftiges H2-Netz will VNG die bestehende Erdgasinfrastruktur nutzen
Das erläutern Cornelia Müller-Pagel, Leiterin Grüne Gase bei der VNG, und Alexander Lück, Leiter Vertrieb der VNG Handel & Vertrieb, im Interview.
CHEManager: Frau Müller-Pagel, zurzeit wird viel über die Farben von Wasserstoff diskutiert. Welche Farbe hat die VNG im Fokus?
Cornelia Müller-Pagel: Natürlich steht langfristig regenerativ erzeugter grüner Wasserstoff im Fokus, aber erstmal ist es wichtig, überhaupt anzufangen! Bis 2025 wollen wir bei VNG in der gesamten Wertschöpfungskette Wasserstoff-ready sein. Dazu gehören Erzeugungsoptionen für dekarbonisierten Wasserstoff, Konzepte für fossiles und biogenes CO2, die Vorbereitung und Entwicklung der Netze und Speicher für die Beimischung und für 100% Wasserstoff sowie die sektorübergreifende Vermarktung.
Und dabei werden zumindest im Übergang auch sogenannter blauer und türkiser Wasserstoff eine wichtige Rolle spielen. Blauer Wasserstoff wird per Dampfreformierung aus Erdgas gewonnen und das dabei entstehende CO2 abgeschieden und genutzt bzw. gespeichert. Bei türkisem Wasserstoff wird per Methanpyrolyse der elementare Kohlenstoff in fester Form gewonnen und kann industriell weiterverwertet werden. Diese Technologien sind wichtig, um schnell und kosteneffektiv weitere CO2-Emissionen zu vermeiden. Zumindest so lange bis grüner Wasserstoff in industriellem Maßstab erzeugt wird.
Was denken Sie, wann Wasserstoff in industriellen Größenordnungen zur Verfügung stehen wird?
C. Müller-Pagel: Wie bei jeder neuen Commodity wird es hier auch einen Markthochlauf geben. Wir rechnen zu Beginn mit regionalen Clustern, die sich nach und nach zu einem Großhandelsmarkt verbinden werden. Was die Verfügbarkeit anbetrifft wird grüner Wasserstoff kurzfristig nicht in ausreichender Menge zur Verfügung stehen, um die Nachfrage zu decken. Für einen Markthochlauf spielen daher blauer und türkiser Wasserstoff eine zentrale Rolle. Hier werden wir unsere Geschäftsbeziehungen zu internationalen Erdgasproduzenten nutzen, aber auch neue Wege gehen und global nach neuen Quellen suchen.
Parallel planen wir auch, die bestehende Erdgasinfrastruktur für ein zukünftiges H2-Netz zu nutzen. Hierbei sind wir mit dem Reallabor Energiepark Bad Lauchstädt, bei dem VNG die Projektkoordination innerhalb eines Konsortiums mit fünf weiteren Unternehmen innehat, weltweit an vorderster Front. Das Projekt bildet die komplette Wertschöpfungskette von grünem Wasserstoff von Erzeugung, Transport, Speicherung bis zu Vermarktung und Nutzung ab. Der produzierte grüne Wasserstoff soll über eine umzuwidmende Erdgaspipeline zur chemischen Industrie nach Leuna transportiert und somit in die bestehende H2-Infrastruktur eingebunden werden.
„Grüner Wasserstoff wird kurzfristig nicht in ausreichender Menge
zur Verfügung stehen, um die Nachfrage zu decken.“
Ob sich diese Projekte und Vorhaben schnell skalieren lassen, ist weniger eine technische als eine politische Herausforderung. Die Regularien müssen schneller angepasst und Anreize stärker gesetzt werden. Natürlich hinkt die Gesetzgebung den technischen und handelsseitigen Entwicklungen hinterher, aber hier haben wir einfach nicht die Zeit, um nach deutscher Gewohnheit erst einmal Jahre zuzuschauen und irgendwann 100%ig abgesicherte Entscheidungen zu treffen.
Der Markt für Wasserstoff soll jährlich mit 6 bis 7 % wachsen. Kann die prognostizierte Zunahme der Produktion von grünem Wasserstoff dieses Wachstum abdecken?
C. Müller-Pagel: Mit dem aktuellen politischen Rahmen ist das unwahrscheinlich. Für grünen Wasserstoff benötigen wir auch grünen Strom. Bei den aktuellen Ausbauraten für Windkraft braucht es keine Glaskugel, um zu prognostizieren, dass der verfügbare grüne Strom in Deutschland auf Jahre nicht ausreichen wird. International sieht das aber anders aus. Und grüner Wasserstoff kann auch importiert werden. Auch hier sind wir global aktiv, führen Gespräche, auch wenn sich die entsprechenden Projekte ihrer Art nach erst später realisieren werden als die Projekte zu blauem bzw. türkisem Wasserstoff.
Herr Lück, wie stellen Sie sich den Markt für Wasserstoff vor und welche Rolle wollen Sie als Erdgasgroßhändler hier zukünftig spielen?
Alexander Lück: Als Energie- und Rohstoffgroßhändler wünsche ich mir natürlich eine weitestgehende Harmonisierung mit bestehenden Marktregeln und -strukturen. Der derzeitige Wasserstoffmarkt kann hier sehr gut integriert werden, zumal er im Vergleich zum Erdgasmarkt relativ klein ist. Kunden profitieren vom dadurch entstehenden Wettbewerb zwischen Anbietern. Vor allem gehören sogenannte natürliche Monopole reguliert und der Netzzugang zu Erdgas- und Wasserstoffinfrastruktur geregelt. Der Erdgasmarkt kann hier als Blaupause dienen, das Zweivertragsmodell, Entry-Exit Systeme und dann natürlich Wasserstofflieferverträge mit all den Optionen und Flexibilitäten, die Erdgasgroßkunden seit Jahren kennen und schätzen.
„Es braucht Marktanreize und Investitionshilfen,
um nicht diejenigen zu bestrafen, die sich ehrgeizige Klimaziele geben.“
Da grüner Wasserstoff, wie aktuell leider alle grünen Alternativen im Energie- und Rohstoffmarkt, teurer als dessen graues Pendant ist, braucht es die entsprechenden Marktanreize und Investitionshilfen, um nicht diejenigen zu bestrafen, die sich ehrgeizige Klimaziele geben. Und ganz wichtig ist die Rechtsicherheit, dass der grüne Wasserstoff – wie auch der blaue und türkise – mit den bestehenden und zukünftigen Anreizsystemen, wie ETS, BEHG und THG-Quoten, interagiert. Und das – wenn noch ein Wunsch an die Politik gestattet ist – ohne überbordenden Bürokratie- und Auditierungsaufwand.
Frau Müller-Pagel, wo sehen Sie die Hürden auf diesem Weg?
C. Müller-Pagel: Die Hürden sind zwar auf der technischen Seite geringer als auf der politischen, das haben wir inzwischen deutlich machen können, aber nichtsdestotrotz gilt es, auch in der Technik noch einiges zu verbessern und wirtschaftlicher zu gestalten.
So ist der großtechnische Transport durch Pipelines und der sichere Einsatz von CO2 als Grundlage für den blauen Wasserstoff in der Erdölindustrie seit langem Stand der Technik, wobei CO2 hier einer verbesserten Ölförderung dient. Eine reine Speicherung von CO2 wird zudem in Norwegen schon seit 25 Jahren durchgeführt. Durch enge wissenschaftliche Begleitung und einer umfassenden Transparenz konnte eine hohe gesellschaftliche Akzeptanz erreicht werden.
Bei der Methanpyrolyse sind Pilotanlagen bereits in der Lage, größere Volumenströme Erdgas stetig in Wasserstoff und festen Kohlenstoff zu spalten. Der Technologiereifegrad ist aber hier noch nicht so hoch, als dass wir jetzt sofort in volkswirtschaftlich interessanten Maßstäben skalieren können. Hier rechnen wir noch mit mindestens fünf Jahren weiterer Entwicklungsarbeit. Und beim grünen Wasserstoff braucht es eine mit Fotovoltaikmodulen vergleichbaren Kostendegression bei Elektrolyseuren. Die Solarindustrie hat es vorgemacht, dass solch eine Entwicklung möglich ist. Zudem gibt es auch noch Spielraum bei den regulatorischen Rahmenbedingungen.
Wie sehen Sie das Thema Infrastruktur in diesem Zusammenhang? Welche Faktoren sind für die Standortwahl relevant, zum Beispiel für die Erzeugung, Verfügbarkeit von grünem Strom und Nähe zu Verbrauchern wie der Chemieindustrie?
C. Müller-Pagel: Dem Auf- und Ausbau der Wasserstoffinfrastruktur kommt dabei eine zentrale Bedeutung zu. Wir haben zum Beispiel den Standort für unser Reallabor Bad Lauchstädt nicht per Zufall ermittelt. Die Geologie bietet dort optimale Voraussetzungen für sogenannte Salzkavernenspeicher in denen heute schon riesige Volumina an Erdgas gespeichert werden. Diese Kavernen sollen in Zukunft Wasserstoff speichern, um als Backup in einer Dunkelflaute zur Verfügung zu stehen. Zudem gibt es in der Nähe Potenzial für die Erzeugung von grünem Strom per Windkraft. Die vorhandene Erdgasinfrastruktur und die Nähe zur mitteldeutschen chemischen Industrie als potenzielle Verbraucher sind die letzten wichtigen Bausteine, um die dortigen industriellen Großkunden nachhaltig und langfristig mit grünem Wasserstoff zu versorgen.
Herr Lück, auf welche Anwendungen für Wasserstoff konzentrieren Sie sich und welche Wirtschaftlichkeitsüberlegungen stellen sich dabei für Sie?
A. Lück: Bei den technischen Anwendungen hören wir genau hin, was unsere Kunden brauchen. So ist die Reinheit des Wasserstoffs von großer Bedeutung, vor allem im Mobilitätsbereich benötigen Brennstoffzellen hochreinen Wasserstoff. Ebenso gibt es Kunden, die vorausschauend einen Teil ihres aktuellen Erdgasbezugs zu Testzwecken durch Wasserstoff substituieren wollen, um sich auf die zukünftige Mischgasqualität aus CH4 und H2 vorzubereiten. Wirtschaftlich am interessantesten ist zurzeit aber die Interaktion von grünem Wasserstoff mit dem THG-Quotenhandel. Hier werden aktuell sehr hohe Quotenpreise pro Tonne vermiedenem CO2 gehandelt.
Rückt der Wasserstoffgroßhandel dank der aktuell rekordhohen Gaspreise aus Ihrer Sicht in wirtschaftlich greifbare Nähe?
A. Lück: Gehen wir einmal von Preisen von ca. 1,50 EUR/kg grauem Wasserstoff aus. Bei 33,33 kWh/kg H2 sind das also ca. 45 EUR/MWh – vor Steuern und Abgaben. Vor einem Jahr hätte ich diesen Preis im Erdgasmarkt noch für sehr hoch befunden, aber in der Tat hat uns die aktuelle Marktlage allesamt eines Besseren belehrt. Wir haben tageweise über 100 EUR/MWh an den Schirmen gesehen, wobei gesagt werden muss, dass diese Schirme auch eine sehr geringe Aktivität der Broker und Erdgashändler gezeigt haben. Zu diesen Preisen hat nur gehandelt, wer unbedingt musste. Da die aktuelle Marktlage ein Zusammenspiel aus vielen Nachfrage- und Angebotsthemen darstellt, die durch den Neustart des Weltwirtschaftsmotors nach der Pandemie potenziert werden, gehen wir nicht davon aus, dass das Preislevel langfristig so hoch bleibt – vor CO2-Abgaben und -Steuern wohlgemerkt!
„Wir gehen nicht davon aus,
dass das Preislevel langfristig so hoch bleibt.“
Doch sobald diese Abgaben und Steuern ein höheres Niveau erreichen, sind wir in der Tat auch nachhaltig bei preislich wettbewerbsfähigem grünen Wasserstoff. Und dann wird es von entscheidender Bedeutung für Unternehmen sein, sich frühzeitig Zugang und Lieferung dieses noch sehr knappen Guts zu sichern. Man schaue nur auf die aktuelle Situation im Biogasmarkt in Verbindung mit dem THG-Quotenhandel. Natürlich müssen dann diese Preise auch wirtschaftlich in den Unternehmen darstellbar bleiben, und die Bereitschaft der Kunden, im Zuge der Dekarbonisierung höhere Preise zu tragen, ist eine ganz wesentliche Voraussetzung.
Wie wollen Sie Ihre Kunden in der Chemiebranche ganz konkret auf dem Weg zur nachhaltigen Chemie unterstützen?
A. Lück: Unsere Ansätze sind vielseitig und bieten auch kleine Schritte auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit. Zunächst können wir unsere BEHG-Dienstleistung und Zertifikate für klimaneutrales Erdgas anbieten, aber wir haben auch deutsches Biomethan im Angebot.
Darüber hinaus engagieren wir uns aktiv in der Stiftung H2Global für die Entwicklung eines funktionierenden H2-Marktes. Als Partner unserer Kunden wollen wir von Anfang dabei sein und sie auf dem Weg in das Wasserstoffzeitalter begleiten. Dabei ist uns wichtig, perspektivisch alle Farben des Wasserstoffs im Portfolio zu haben und unseren Kunden anbieten zu können.