Märkte & Unternehmen

CHEMonitor 1/2021 – Green Deal

Europa als potenzieller Technologieführer beim Klimaschutz

14.04.2021 - Deutsche Chemiemanager sehen im Green Deal eine große Herausforderung für die deutsche Chemieindustrie, aber eine noch größere Chance für die Zukunft.

Der European Green Deal sieht eine umfassende Umgestaltung der EU-Wirtschaft vor. Ziel der Europäischen Kommission ist es, die Netto-Emissionen an Treibhausgasen bis 2050 auf null zu reduzieren und somit als erster Kontinent klimaneutral zu werden. Die Teilnehmer der aktuellen CHEMonitor-Befragung sehen darin eine große Herausforderung für die deutsche Chemieindustrie, aber eine noch größere Chance für die Zukunft. 

Trotz anhaltender Coronakrise, die deutsche Chemieindustrie behält die langfristigen Herausforderungen des Klimawandels im Blick. Dies spiegelt sich in den zahlreichen Klimaschutzprojekten der Branche wider, und dies belegen auch die Ergebnisse des 36. Trendbarometers ­CHEMonitor. Für die gemeinsame Konjunkturumfrage von CHEManager und Camelot Management Consultants wurden von Mitte Februar bis Mitte März 2021 Top-Manager deutscher Chemieunternehmen befragt. Fokus der aktuellen Befragung: der europäische Green Deal und seine Folgen für die heimische Chemiebranche.

Kein Widerspruch zwischen Klimaschutz und Wettbewerbsfähigkeit 

Mit dem Green Deal formuliert die Europäische Kommission erstmals einen ganzheitlichen Ansatz für den Klimaschutz und sieht dabei einen umfassenden Umbau vieler Sektoren und Lebensbereiche vor: von Gebäuden und deren Renovierung über eine nachhaltige Energieversorgung, Kreislaufwirtschaft in der Industrie, nachhaltige Mobilität und klimaschonende Landwirtschaft bis zur Verringerung chemischer Pestizide, Düngemittel und Antibiotika, dem Schutz der Biodiversität und der Förderung entwaldungsfreier Wertschöpfungsketten. 

Nach einer Analyse des Verbands der Chemischen Industrie (VCI) betreffen 46 von insgesamt 47 Maßnahmen des Green Deals in unterschiedlichen Politikfeldern direkt oder indirekt die Chemie­industrie. Das stellt die Branche vor große Herausforderungen. Und dennoch: „Die deutsche Chemiebranche steht dem Green Deal grundsätzlich positiv gegenüber“, fasst Josef Packowski, Managing Partner bei Camelot Management Consultants, die Ergebnisse der aktuellen ­CHEMonitor-Befragung zusammen. Danach erwarten rund zwei Drittel (64 %) der Chemiemanager tendenziell eine positive Wirkung des Green Deals auf die Wettbewerbsfähigkeit des eigenen Unternehmens. Mit Blick auf die gesamte deutsche Chemiebranche rechnen gar 83 % der Befragten mit diesem Effekt. „Aber es gibt auch noch herausfordernde Aufgaben zu erledigen: die Konkretisierung der Zielsetzungen und das Lösen von Zielkonflikten, die durch den parallelen Fokus auf kurzfristigen Unternehmenserfolg entstehen“, ergänzt Packowski. Mehr als die Hälfte der befragten Chemiemanager (56 %) erwartet, dass der Fokus auf den kurzfristigen Unternehmenserfolg die langfristige Strategie des Green Deals behindern wird.

„Die deutsche chemische Industrie steht dem Green Deal
grundsätzlich positiv gegenüber.“

Josef Packowski, Managing Partner, Camelot Management Consultants

 

Hohes Vertrauen in den Forschungs- und Technologiestandort Deutschland

„Deutlich positivere Umsatz- und Ertragserwartungen setzen Potenziale für die Umsetzung der Green-­Deal-Nachhaltigkeitsziele frei“, sagt Packowski. Trotz dritter Corona­pandemiewelle stieg die Stimmung unter den Chemiemanager im Vergleich zur vorangegangenen CHEMonitor-Befragung: Aktuell bewerten 68 % den Standort Deutschland mit „gut“ oder „sehr gut“, rund fünf Prozentpunkte mehr als noch im Oktober vergangenen Jahres – direkt vor dem zweiten Lockdown. Getragen wurde dieser Trend vor allem durch die Entwicklung beim Standortfaktor Forschung und Entwicklung, der von 97 % der Befragten positiv bewertet wurde. Dabei stieg der Anteil der Nennungen „sehr gut“ um 11 Prozentpunkte auf 50 %, sicherlich eine Folge der erfolgreichen Covid-19-Impfstoffforschung in Deutschland. 

Aber auch die Entwicklungserfolge der chemisch-pharmazeutischen Industrie im Bereich des Klimaschutzes stimmen positiv: So veröffentlichte BASF Ende März 2021 neue, ehrgeizige Klimaziele (vgl. Seite 5). Der Konzern will seine CO2-Emissionen bis 2030 um 25 % reduzieren, 2050 will das Unternehmen klimaneutral sein. Die neuen Ziele seien durch technologische Fortschritte und Verfahrens­entwicklungen möglich geworden. Das Unternehmen könne dadurch Projekte vorziehen, die erst für den Zeitraum nach 2030 geplant waren, erklärte BASF-Vorstandvorsitzender Martin Brudermüller bei einer Konferenz für Investoren. Um die neuen Ziele zu erreichen, will der Konzern bis 2030 4 Mrd. EUR zusätzlich investieren, davon 1 Mrd. EUR bis zum Jahr 2025. Einen Großteil der Pilotprojekte zum Klimaschutz startet BASF an seinem Hauptsitz in Deutschland. 

Nicht nur in Ludwigshafen ist man davon überzeugt, auch bei der aktuellen CHEMonitor-Befragung waren mehr als drei Viertel der Teilnehmer (77 %) der Meinung, die chemische Industrie leiste einen aktiven und überdurchschnittlichen Beitrag zum Green Deal durch Investitionen in neue, umweltfreundliche Technologien. Damit investiert die Branche nicht zuletzt in die eigene Zukunft. „Der Green Deal ist eine historische Chance, in wichtigen Zukunftsfeldern die Technologieführerschaft zu übernehmen. Dazu muss die chemische Industrie ihren Fokus jedoch wesentlich stärker auf die Entwicklung von neuen Verfahren und Modellen zur Kreislaufwirtschaft, Wasserstoffwirtschaft und CO2-neutralen Produktion verlagern, anstatt weiterhin primär auf die Optimierung von Energieeffizienz und bestehenden Verfahren zu setzen“, kommentiert Jörg Schmid, CHEMonitor-Studienleiter bei Camelot, die Umfrageergebnisse.

In der Tat antworteten rund neun von zehn Managern auf die Frage, welche Klimaschutzmaßnahmen sie in ihrem Unternehmen planten, mit Steigerung der Energieeffizienz (87 %) und Optimierung bestehender Produktionsprozesse (86 %). Es folgten die Erhöhung des Anteils an erneuerbaren Energien und der (verstärkte) Einsatz von nachwachsenden Rohstoffen mit 65 % bzw. 51 % der Nennungen. Auf neue Produktionstechnologien (45 %) oder neue Geschäftsmodelle zur Kreislaufwirtschaft (41 %) setzen weniger als die Hälfte der Befragten und in CO2 als Rohstoff sehen lediglich 11 % eine Perspektive für den Klimaschutz.

„Der Green Deal ist eine historische Chance, in wichtigen
Zukunftsfeldern die Technologie­führerschaft zu übernehmen.“

Jörg Schmid, Studienleiter CHEMonitor, Camelot Management Consultants


Zu letzteren gehört Kunststoffhersteller Covestro.  Schon seit 2016 betreibt das Unternehmen eine spezielle Produktion, die CO2 aus Abgasen als Rohstoff für eine neue Form an Polyolen nutzt. Die finden sich als zentrale Bausteine in Polyurethan-Schaumstoffe, z. B. für Matratzen, wieder. Dabei ersetzt CO2 in einer Größenordnung von bis zu 20 % den konventionellen Rohstoff Erdöl (vgl. Seite 32).

So unterschiedliche die Portfolien der Chemieunternehmen, so unterschiedlich sind ihre Wege und Strategien zur Klimaneutralität. Der Duft-, Aromen- und Wirkstoffexperte Symrise, Vorreiter beim Klimaschutz, will bereits im Jahr 2030 „klimapositiv“ sein. Dabei setzt das Unternehmen u.a. auf Defossilierung durch Einsatz nachwachsender Rohstoffe. „Wir investieren nicht mehr in erdölbasierte Chemie“, äußerte sich Heinz-Jürgen Bertram im März dieses Jahres im CHEManager-Interview. In den vergangenen zehn Jahren hat das Unternehmen seinen Anteil fossiler Rohstoffe konsequent von etwa 90 % auf 10 % reduziert. Möglich wurde dies durch innovative Technologien zur Nutzung von Holz aus nachhaltig beforsteten und bewirtschaften Wäldern.

Etwa 70 % der Treibhausgasemissionen der Chemieindustrie entfallen auf die Produktionsprozesse von Basischemikalien – ein wichtiger Ansatzpunkt für den Klimaschutz bei BASF. Zusammen mit SABIC und Linde entwickelt der Konzern derzeit den weltweit ersten elektrisch beheizten Steamcracker-Ofen, der im Vergleich zu herkömmlichen Anlagen die Produktion von Basis­chemikalien nahezu CO2-frei ermöglichen würde. In Abhängigkeit notwendiger Fördergelder soll der Betrieb einer Pilotanlage bereits ab 2023 starten. 

Dieses und viele andere Entwicklungsprojekte machen Europa zum potenziellen künftigen Technologieführer bei grünen Technologien. Die große Mehrheit der befragten Chemiemanager erwartet, dass die Region die führende Rolle bei der Kreislaufwirtschaft (97 %) und CO2-neutralen Produktion (94 %) einnehmen wird. Auch bei der Produktion grünen Wasserstoffs sehen zwei Drittel der Befragten (69 %) Europa ganz vorne. Lediglich bei Stromspeichern und Batterien sehen die Experten China als künftigen Technologieführer. Trotz hoher angekündigter Investitionen wird der Region Nordamerika keine bedeutende Rolle beigemessen. 

Investitionen in erneuerbare Energien erfolgskritisch für den Green Deal

Der Weg zur Klimaneutralität ist für die Chemieindustrie ein Transformationsprojekt gewaltigen Ausmaßes. Trotz der potenziellen Chancen, die der Green Deal für die deutsche Chemie mit sich bringt, zeigt die CHEMonitor-Befragung in Bezug auf die Auswirkungen des Klimaschutzes auf die einzelnen Unternehmen ein ambivalentes Bild: Während 39 % der Befragten davon ausgehen, dass sich die Maßnahmen des Green Deals zum Klimaschutz positiv auf ihr Unternehmen auswirken, geht ein Viertel von einem negativen Einfluss aus. Sorge bereitet den Unternehmen dabei insbesondere die Verfügbarkeit von Strom aus erneuerbaren Energien zu wirtschaftlichen Preisen. Insgesamt halten 86 % der Befragten die Bereitstellung von Mitteln für Forschung und Investitionen als erfolgskritisch für die Umsetzung des Green Deals. 

Darüber hinaus fordern 98 % der Umfrageteilnehmer konkretere Vorgaben zur Umsetzung des Green Deals in vielen Handlungsfeldern. Gerade vor dem Hintergrund der jüngsten Ankündigungen zur Klimaneutralität großer Volkswirtschaften wie China, Japan und Korea müssen sich die europäischen Ambitionen der Klimaziele schnellstmöglich in konkreter Politik widerspiegeln. Viele moderne Industrieanlagen haben eine Lebensdauer von 30 Jahren. Investitionen in die Klimaneutralität 2050 müssen daher bereits in naher Zukunft erfolgen. Um diese marktwirtschaftlich und volkswirtschaftlich effizient zu tätigen, braucht es verlässliche Rahmenbedingungen. 

„Wir sind davon überzeugt, dass am Ende alle Kräfte zusammenwirken werden, um diese Jahrhundert-Transformation wirtschaftlich erfolgreich zu machen. Dafür brauchen wir eine neue Zusammenarbeit zwischen Industrie und Politik, die zu einer positiven, ergebnisorientierten Regulierung führt und unsere internationale Wettbewerbsfähigkeit erhält“, sagt Brudermüller.

Andrea Gruß, CHEManager

 

 

CHEMonitor 01/2021 
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CHEMonitor 01/2021
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