Neue Plattform für Zell- und Gentherapie
Bayer setzt Transformation seines Pharmageschäfts fort
Das Life-Sciences-Unternehmen Bayer gab Anfang Dezember 2020 den Start einer neuen Plattform für Zell- und Gentherapie innerhalb der Division Pharmaceuticals bekannt. Mit dieser strategischen Plattform möchte das Unternehmen eine führende Position auf diesem Gebiet aufbauen und zugleich die Transformation seines Pharmageschäfts weiter vorantreiben. Wolfram Carius, seit Oktober 2020 Leiter des Bereichs Cell and Genetherapy in der Division Pharmaceuticals von Bayer, erläutert CHEManager, wie das Unternehmen seine Strategie auf diesem Gebiet sowie sein vielversprechendes Entwicklungsportfolio vorantreibt. Die Fragen stellte Ralf Kempf.
CHEManager: Herr Carius, warum nehmen Zell- und Gentherapien eine so hohe strategische Bedeutung als Wachstumstreiber für das Pharmageschäft von Bayer ein?
Wolfram Carius: Unsere Vision bei Bayer ist es, die Gesundheit von Patienten durch bahnbrechende Innovationen zu transformieren, und Zell- und Gentherapien bieten dazu eine beispiellose Gelegenheit. Zum ersten Mal können wir einen Paradigmenwechsel von der Behandlung von Symptomen hin zu potenziell kurativen Ansätzen ermöglichen, und wir wollen uns für diesen Bereich der Innovation einsetzen.
Zell- und Gentherapien machen bereits Hunderte von klinischen Studien aus, und es ist ein schnell wachsender Sektor. Das wissenschaftliche Wissen auf diesem Gebiet wächst exponentiell, und dies ist ein entscheidender Moment für die Industrie. Vor Jahren, als die monoklonalen Antikörper, die heute eine ganz entscheidende Rolle in vielen Therapiegebieten spielen, in die klinische Entwicklung kamen, sahen wir, wie amerikanische Unternehmen diese Chance wirklich ergriffen, während europäische Spieler sie verpassten – zumindest zu einem großen Teil. Das wird jetzt nicht mehr der Fall sein, und wir bei Bayer sind fest entschlossen, bei Zell- und Gentherapien „all in“ zu gehen und ein echter Leader in diesem Bereich zu sein.
Konzentriert sich Bayer auf ausgewählte Bereiche der Zell- und Gentherapien?
W. Carius: Vor über einem Jahr haben wir einen sehr strategischen Blick auf die verschiedenen Technologien geworfen, die auf dem Markt verfügbar sind. Wir haben sorgfältig ausgewählt, worauf wir uns fokussieren, und zwar so, dass sich alle Elemente unserer Strategie ergänzen, aufeinander aufbauen und großes Entwicklungspotenzial für die Zukunft haben.
Strategisch konzentriert sich Bayer auf vier ausgewählte Bereiche von Zell- und Gentherapie: Stammzelltherapien mit Fokus auf induzierte pluripotente Zellen oder iPSCs, Gen-Augmentation, Gen-Editing und allogene Zelltherapien. Diese Bereiche wurden so selektiert, dass jeder Teil der Strategie zum Aufbau einer ganzheitlichen Zell- und Gentherapie-Plattform beiträgt. Es geht um mehr als einzelne Akquisitionen, und der Fokus liegt gleichermaßen darauf, neue Behandlungsoptionen Patienten sicher und schnellstmöglich verfügbar zu machen wie auch nachhaltig Werte für Bayer zu schaffen.
Welche Ziele verfolgen Sie mit der Ende des letzten Jahres neu gestarteten Plattform für Zell- und Gentherapie?
W. Carius: Unser oberstes Ziel ist, innovative Ideen in reale Produkte und greifbare Therapien umzusetzen.
Die Zell- und Gentherapie-Plattform von Bayer umfasst die gesamte Wertschöpfungskette von der Forschung über die Entwicklung und den Markt bis zum Patienten. Und wir verbinden das Beste aus den zwei Welten von Biotech und Pharma: So bleibt zum Beispiel BlueRock Therapeutics oder AskBio darauf fokussiert, bahnbrechende Innovationen auf der Produkt- wie auch der Technologieseite zu generieren und voranzutreiben, während wir die Erfahrung, Expertise und zum Beispiel die globale Reichweite eines Pharmaunternehmens einbringen. Eine gemeinsame Ausrichtung in Strategie und Zielen ist dabei natürlich elementar.
Die im Jahr 2019 und 2020 akquirierten Unternehmen BlueRock Therapeutics und AskBio, die Sie erwähnten, befinden sich vollständig im Besitz von Bayer und sind in die neue Zell- und Gentherapie-Plattform integriert, werden aber unabhängig geführt. Was versprechen Sie sich davon?
W. Carius: Wir setzen uns zum Ziel, Innovationen zu fördern, deren Umsetzung zu beschleunigen und die Wertschöpfung durch weitgehend eigenständige und voll verantwortliche Einheiten voranzutreiben: Deshalb operieren zum Beispiel BlueRock und AskBio selbstständig, wobei wir da, wo ein Wertbeitrag entsteht, auf Pharma-Seite unterstützen oder weiterführen. Auf diese Weise bringen wir den unternehmerischen, leidenschaftlichen „can do“ Spirit von Biotech und die globale Erfahrung aus Pharma bestmöglich zusammen.
Welche Rolle spielen Akquisitionen und Kooperationen mit anderen Unternehmen generell in der Strategie von Bayer?
W. Carius: Externe Innovation ist ein wichtiger Werttreiber, insbesondere im hochdynamischen und wettbewerbsintensiven Bereich der Zell- und Gentherapien. Kleine, agile Unternehmen treiben die Innovation auf der Grundlage ihrer erstklassigen Technologieführerschaft stark voran, und wir ermutigen diese Teams, weiterhin das zu tun, was sie am besten können. Hier wird die richtige Strategie besonders wichtig: Wir wollen externe Innovationen zusammen mit der Expertise unserer Teams bei Bayer einsetzen, um Produkte so schnell wie möglich auf den Markt zu bringen.
Wie viele Präparate für Zell- und Gentherapien befinden sich bei Bayer in der Entwicklung? Welche Therapiegebiete decken diese Präparate ab?
W. Carius: Unser Entwicklungsportfolio in diesem Bereich umfasst bereits acht fortgeschrittene Präparate in unterschiedlichen Stadien der klinischen Entwicklung. Diese decken mehrere Therapiegebiete mit hohem medizinischem Bedarf ab, beispielsweise neurodegenerative, neuromuskuläre und kardiovaskuläre Indikationen – mit führenden Programmen in den Bereichen Pompe-Krankheit, Parkinson-Krankheit, Hämophilie A und kongestive Herzinsuffizienz. Mit über fünfzehn präklinischen Projekten wird die Pipeline in den kommenden Jahren kontinuierlich ausgebaut werden.
Behandlungen, die auf zell- und gentherapeutischen Ansätzen basieren, sind sehr teuer. Sehen Sie eine Möglichkeit, die Kosten für diese Therapien in Zukunft zu senken oder neue Bezahlmodelle zu finden?
W. Carius: Obwohl Zell- und Gentherapien einen starken Auftritt in den Portfolios von Unternehmen und Aufsichtsbehörden haben, ist es noch zu früh, um sich zu den potenziellen Preisen der neuen Behandlungen zu äußern, und es ist zu erwarten, dass jeder Kandidat individuell betrachtet wird. Unser Marktzugangsansatz wird den potenziellen Wert von Zell- und Gentherapien berücksichtigen, mit dem Ziel, Patienten den Zugang zu den Medikamenten zu ermöglichen, die sie benötigen. Unsere Ambition „Gesundheit für Alle“ ist uns eine Verpflichtung und unsere Technologieplattformen haben hier ohne Zweifel Potenzial.
Innovationen im Bereich digitaler Gesundheitslösungen und integrierter Versorgungsangebote bilden ebenfalls eine neue Säule von Bayers Pharmageschäft. Sind einige dieser Angebote auch Teil der Strategie zum Ausbau der Zell- und Gentherapie?
W. Carius: Wir bei Bayer wollen eine zentrale Rolle im Bereich digitaler Gesundheitslösungen spielen und dabei Lösungen entwickeln, die Patienten und Ärzten besser dienen und die Gesundheitssysteme effizienter machen. Die aktuelle Pandemie hat digitale Gesundheitslösungen vorangetrieben und dieses Interesse wird auch nach der Covid-19-Pandemie anhalten und den Bereich wahrscheinlich noch stärker fördern.
Aber Digitalisierung transformiert bereits heute unser Geschäft. Zum Beispiel verändert künstliche Intelligenz Aspekte davon, wie wir neue biologische Targets identifizieren und Medikamente entwickeln, bis hin zu der Art und Weise, wie wir mit unseren Kunden in Kontakt treten. Wir nutzen künstliche Intelligenz auch, um die Geschwindigkeit und Effizienz von klinischen Studien zu erhöhen.
Das Potenzial ist riesig, und das gilt auch für die Auswirkungen, die digitale Gesundheitslösungen und integrierter Versorgungsangebote auf Patienten haben können. Bayer und One Drop bauen bereits auf ihrer bestehenden Diabetes-Management-Plattform auf, um Lösungen anzubieten, die Patienten in anderen Bereichen unterstützen.
Es geht darum, Patienten auf ihrer Reise zu begleiten und die Vision von einem pathologiezentrierten zu einem personenzentrierten Ansatz zu verschieben. Für die Zell- und Gentherapie ist die Digitalisierung essenziell.