Chemiekonjunktur – US-Chemiegeschäft nach Coronaschock im Erholungsmodus
Die Chemieumsätze in den USA sanken im zweiten Quartal um rund 7 %
Die Wirtschaft der Vereinigten Staaten ist in den vergangenen Jahren kräftig gewachsen. Steuersenkungen und Investitionsanreize befeuerten während der Trump Administration das Wachstum. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) hat seit 2016 um 2,5 % pro Jahr zulegt (Grafik 1).
Die Weltwirtschaftskrise im Zuge der weltweiten Covid-19-Pandemie führte auch in den USA zu einem kräftigen Einbruch. Bereits Anfang des Jahres zeigten sich erste Bremspuren. Im zweiten Quartal brach das BIP dann um 9 % ein. Damit fand der seit zehn Jahren andauernde Aufschwung der US-Wirtschaft ein jähes Ende. Um die Verbreitung des Virus zu stoppen und ein Zusammenbrechen der Gesundheitsversorgung zu verhindern, waren nahezu alle Länder der Welt gezwungen Ausgangsverbote und Kontaktsperren zu verhängen. Schulen, Kindergärten, Hotels, Gaststätten und Geschäfte wurden geschlossen sowie grenzüberschreitende Reisen eingeschränkt. Der Lockdown setzte zeitversetzt rund um den Globus ein: zunächst in Asien, dann folgte Europa und ab März die USA und viele Schwellenländern.
„Von der Erholung im dritten Quartal
konnten vor allem die Petrochemie
und die Konsumchemikalien profitieren.“
Die Industrie entwickelte sich ähnlich wie die Gesamtwirtschaft. Die vergangenen Jahre waren durch moderates, aber stetiges Wachstum geprägt. In der Industrie ließ die Nachfrage allerdings schon in der zweiten Halbjahr 2019 nach. Denn Handelsstreitigkeiten und Protektionismus dämpften zunehmend die wirtschaftliche Expansion im industriellen Sektor. Anfang 2020 beschleunigte sich der Rückgang. Im zweiten Quartal 2020 stürzte die US-Industrie bedingt durch den coronabedingten Shutdown regelrecht ab. Das Produktionsniveau lag um knapp 16 % unter dem Niveau des Vorjahres.
Schwierige Lage im Chemiegeschäft
In der US-Chemie hatte es lange gedauert, bis die Investitionen, die durch die günstigen Gas- und Schieferölvorkommen ausgelöst wurden, zündeten. Nach einigen Jahren rückläufiger Produktion erlebte das Chemiegeschäft (ohne Pharma) ab 2016 einen kräftigen Boom, der allerdings im Jahresverlauf 2019 zum Erliegen kam. Anfang 2020 folgte dann der coronabedingte Absturz. Die industrielle Nachfrage kam teilweise vollständig zum Erliegen. Die Chemieproduktion (ohne Pharma) brach daher im zweiten Quartal kräftig ein (- 6,9 % ggü. Vj.). Entsprechend niedrig war die Kapazitätsauslastung. Sie erreichte nur noch einen Wert von 74,4 % und lag damit rund acht Prozentpunkte unter dem langjährigen Durchschnitt. Für die Gesamtchemie lief es nicht deutlich besser. Allerdings setzte in den Folgemonaten eine rasche Erholung sein, so dass im dritten Quartal die Produktion nur noch rund 4,5 % unter dem Vorjahr lag (Grafik 2). Deutlich positiver entwickelten sich die Umsätze. Diese erreichten zuletzt fast das Vorkrisenniveau. Hier dürften Verknappungen einzelner Produkte und entsprechende Preissteigerungen in einzelnen Segmenten eine Rolle gespielt haben.
Spezialchemie von Coronakrise stark betroffen
Im Zuge der Coronakrise rutschen alle Sparten – teils kräftig – ins Minus (Grafik 3). Mit einem Rückgang von 16,1 % traf es die industrienahen Fein- und Spezialchemikalien besonders hart. Weite Teile der produzierenden Industrie standen still und fragten keine Chemieprodukte nach. Von der Erholung im dritten Quartal konnten vor allem die Petrochemie und die Konsumchemikalien profitieren.
„Mit einem Rückgang von 16,1 %
traf es die industrienahen
Fein- und Spezialchemikalien besonders hart.“
Beide Sparten liegen nur noch knapp unter dem Vorkrisenniveau von Ende 2019. Auch die Pharmaindustrie erholte sich im dritten Quartal deutlich. Nach wie vor schwierig ist die Lage bei den Fein- und Spezialchemikalien. Die kräftige Erholung in der Industrie spiegelte sich bislang nicht in der Nachfrage wider: Die Produktion in dieser Sparte lag im dritten Quartal fast 17 % unter dem Niveau des Vorjahres.
Erzeugerpreise unter Druck
Im vergangenen Jahr stiegen die Preise im Chemiegeschäft noch leicht. Sie konnten im Vorjahresvergleich um 0,6 % zulegen. Im Zuge der Coronakrise brachen die Rohölpreise ein. Der Lockdown in knapp 190 Ländern ließ die Weltwirtschaft und damit die Nachfrage nach Öl drastisch einbrechen. Im April 2020 war die Nachfrage so niedrig wie im Jahr 1995. Hinzu kamen Spekulationen mit Termingeschäften, die die Preise zusätzlich unter Druck setzten. Besonders betroffen vom Preisverfall war die Basischemie. Zuletzt erholten sich die Preise wieder etwas. Aktuell liegen die Erzeugpreise für chemische Produkte (ohne Pharma) knapp 4,5 % unter dem Niveau des Vorjahres. Dank steigender Preise im Pharmageschäft sieht es für die Gesamtchemie etwas besser aus. Hier beträgt das Minus nur noch rund 1,5 %.
Beschäftigung nur leicht rückläufig
In den vergangenen Jahren verzeichnete die US-Chemie einen Beschäftigungsrekord nach dem anderen. Seit dem Jahr 2012 stieg die Beschäftigung konstant an. Ende 2019 arbeiteten knapp 853.000 Menschen in der Branche. Im zweiten Quartal sank diese Zahl auf rund 830.000. Im dritten Quartal setze sich der Abbau nicht fort. Im Gegenteil: Die Unternehmen stellen wieder ein. Damit lag das Beschäftigungsniveau mit 838.000 Personen nur noch rund 1,4 % unter dem Niveau des Vorjahres (Grafik 4). Damit unterscheidet sich die Chemie deutlich von der Gesamtwirtschaft. Dort schoss im Zuge der Krise die Arbeitslosenquote auf 14 %. Selbst in der Finanzkrise lag diese „nur“ bei rund 10 %. Zuletzt erholte sich die Situation allerdings auch in der Gesamtwirtschaft.
Ausblick: Mühselige Erholung mit Risiken
Im Zuge der Lockerungen nach Ende des Shutdowns fährt die Weltwirtschaft ihre Produktion sukzessive wieder hoch. Allerdings wird die Überwindung der Krise und die Rückkehr zur Normalität Zeit brauchen. Solange es gegen das Coronavirus keine wirksame Impfung oder Medikamente gibt, bleiben umfangreiche Hygienemaßnahmen in Kraft. In einigen Branchen, wie z. B. im Flugsektor wird auf absehbare Zeit kein „Normalbetrieb“ möglich sein. Auch in der Industrie werden die Schutzmaßnahmen aufrechterhalten werden und damit das Tempo drosseln. In vielen Ländern werden die Lockerungen bereits wieder zurückgenommen, da eine zweite Infektionswelle anrollt. Auch in den USA befinden sich die Infektionszahlen weiterhin auf sehr hohem Niveau. Von Entwarnung kann daher keine Rede sein.
Darüber hinaus stehen in den USA im November Präsidentschaftswahlen an. Der Wahlkampf ist in vollem Gange. Der Ausgang ist trotz des aktuellen Vorsprungs von Joe Biden unklar. Und dies trotz des seit vielen Dekaden geltenden „Naturgesetzes“, dass ein US-Präsident in einer Rezession nicht wiedergewählt wird. Dafür bieten die komplizierten US-Wahlgesetze zu viele Überraschungen. Eventuell wird die Wahl sogar vor Gerichten entschieden. Präsident Trump hat durchblicken lassen, dass er das Wahlergebnis im Falle einer Niederlage nicht anerkenne. Dies würde zu einer Hängepartie führen, die Gift für die wirtschaftliche Erholung ist. Und nicht zuletzt hat Präsident Trump den Handelskonflikt mit China wieder angeheizt. Insofern sind Aussichten alles andere als gut. Vor diesem Hintergrund rechnet der Verband der Chemischen Industrie im US-Chemiegeschäft nur mit einer zögerlichen Erholung. Das Vorkrisenniveau dürfte frühestens Anfang 2022 wieder erreicht werden.
Autor: Henrik Meincke, Chefvolkswirt, Verband der Chemischen Industrie e.V., Frankfurt am Main
ZUR PERSON
Henrik Meincke ist Chefvolkswirt beim Verband der Chemischen Industrie. Er ist seit dem Jahr 2000 für den Branchenverband tätig. Meincke begann seine berufliche Laufbahn am Freiburger Materialforschungszentrum. Der promovierte Chemiker und Diplom-Volkswirt studierte an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.
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