Pharmazeutische Fertigungsprozesse beschleunigen
Die Auftragsproduzenten Rentschler und Vetter kooperieren und versprechen Biotech- und Pharmafirmen eine schnellere Time-to-market
Die Kunden sollen davon durch eine schnellere Markteinführung profitieren. Und die beiden baden-württembergischen Traditionsunternehmen, die ihre Hauptsitze in den nur durch eine knappe Autostunde getrennten Städten Laupheim bzw. Ravensburg in Oberschwaben haben, versprechen sich davon neue Auftraggeber. Wie das Modell in der Praxis aussehen soll, erläutern Frank Mathias, Vorstandsvorsitzender der Rentschler Biopharma, und Vetter-Geschäftsführer Peter Sölkner im Gespräch mit CHEManager.
CHEManager: Herr Mathias, Herr Sölkner, Rentschler entwickelt und produziert im Auftrag von Biotech- und Pharmakunden Wirkstoffe, Vetter füllt diese in Injektionssysteme ab. Wo liegt die Schnittstelle für eine Zusammenarbeit, wie Sie sie kürzlich eingegangen sind?
Frank Mathias: Ein Biopharmazeutikum ist im Grunde erst fertig, wenn der Wirkstoff in eine Form gebracht ist, die dem Patienten verabreicht werden kann. Den Prozess dahin teilen sich unsere beiden Unternehmen mit ihren jeweiligen Kernkompetenzen auf. Wir bei Rentschler sind für die frühe Phase zuständig. Das heißt, wir entwickeln den Fertigungsprozess, um die Wirkstoffe anschließend herzustellen und zu formulieren. Dabei haben wir bereits erste wichtige Schnittstellen mit Vetter für den Bereich der klinischen Produktion. Nach der Marktzulassung erfolgt die kommerzielle Abfüllung. Am Ende dieses Prozesses steht schließlich ein fertiges Arzneimittel.
Peter Sölkner: Unsere Kunden suchen nach kompetenten Partnern, die qualitativ hochwertige Wirkstoffe herstellen können und außerdem etwas von Formulierung verstehen. In Kombination mit dem Knowhow in der Abfüllung, dem Fill & Finish, wollen sie Prozesse in der klinischen Entwicklung beschleunigen. Daher ist es für uns bei Vetter und Rentschler entscheidend, dass wir uns gut abstimmen und ein einheitliches Projektmanagement für jeden Kunden und eine übereinstimmende Vorstellung von der Wertschöpfungskette haben.
Was braucht es für diese Kooperation?
P. Sölkner: Dafür ist ein gemeinsames Verständnis notwendig, wie im Kundenprojektmanagement eigentlich ein Meilenstein definiert ist: Wann haben wir den erreicht? Wie sehen bestimmte Analysezertifikate von Arzneimittelwirkstoffen aus? All das müssen wir unseren Kunden mitgeben. Sie erwarten von uns eine abgefüllte Ware mit den nötigen Dokumentationen, die sie für die klinische Phase oder später in der Kommerzialisierung brauchen.
F. Mathias: Unsere Kooperation basiert auf einem tiefen Verständnis beider Unternehmen von ihrem jeweiligen Tätigkeitsbereich. Damit haben sowohl Vetter als auch Rentschler Biopharma für sich bereits in der Champions League gespielt. Gemeinsam wollen wir noch besser werden und für unsere Kunden die Zeit bis zum Markteintritt verkürzen.
Sie wollen mit der Zusammenarbeit Services erweitern und komplementäre Fähigkeiten und Expertise entlang der Wertschöpfungskette anbieten. Was genau ist damit gemeint?
P. Sölkner: Nehmen Sie die Lieferkette. Für den Kunden ist eine Vorausschau wichtig, wann er nach Herstellung und Abfüllung sein finales Produkt erhält. Wir arbeiten gerade daran, diesen Prozess zu beschleunigen. Wann also muss bei Rentschler in Laupheim der Bioreaktor angeworfen werden, damit bei Vetter in Ravensburg die Spritzen in der Zeitschiene, die sich der Kunde vorstellt, produziert werden können? In enger Absprache mit dem Kunden geht es darum, Liegezeiten zu vermeiden. Das wird flankiert von chemisch-analytischen Themen. Rentschler ist eines der Powerhäuser auf dem Gebiet der Wirkstoffanalytik und Formulierung.
F. Mathias: Unser gemeinsamer Anknüpfungspunkt war der Bedarf auf Seiten unserer Kunden, den wir in zahlreichen Gesprächen identifiziert haben. In unserer immer komplexer werdenden Welt wäre es demnach das Beste, wenn die benötigten Dienstleistungen aus einer Hand kämen. Wir sind zwar zwei Unternehmen, tun aber alles, damit der Kunde den Eindruck hat, sein Produkt würde aus einer Firma kommen. Wir haben die Schnittstellen, die Prozesse und die Kommunikation optimiert. Damit können wir für den Kunden das gesamte Vorgehen vereinfachen und Zeit gewinnen.
Also Rentschler und Vetter als eine Art One-Stop-Shop?
P. Sölkner: Ja, durchaus.
Heißt das für den Kunden, dass er damit nur noch einen Ansprechpartner hat?
P. Sölkner: Wir wollen das schon so halten, dass Vertreter von beiden Unternehmen mit den Kunden sprechen, bei allseitiger Vertraulichkeit. In interdisziplinären Teams kommen dazu immer wieder Experten hinzu. Das ist beispielsweise nötig, wenn Fragen auftauchen, die sich tiefgehend mit dem Wirkstoff und der Prozessentwicklung für die klinische Abfüllung befassen. Auf der anderen Seite muss natürlich jede Firma für sich eine gewisse Haftung abbilden. Das heißt, beim Vertragswerk sind beide mit im Boot.
F. Mathias: In einem üblichen Prozess würde der Kunde erst mit uns sprechen, und dann mit jemandem von Vetter. In unserem Fall spricht er zeitgleich mit beiden Projektleitern, die aufeinander abgestimmt sind.
Wieviel schneller werden die Prozesse durch die Kooperation, wieviel Zeit kann dabei gewonnen werden?
P. Sölkner: Wir gehen davon aus, dass wir je nach Kundenstrategie dadurch 25 bis 30 % schneller werden können.
F. Mathias: Dazu kommen die weichen Faktoren. Wir sind zwei deutsche Familien- und Traditionsunternehmen, wir sprechen die gleiche Sprache, wir haben die gleiche DNA. Unsere Firmensitze liegen gerade mal 60 km auseinander. Das sind erhebliche Vorteile für die Kunden.
Gewinnen Sie durch die Zeitersparnis in den Prozessen auch Kapazitäten bei sich, die Sie wiederum mit zusätzlichen Aufträgen auffüllen können?
P. Sölkner: Natürlich können wir auf diese Weise etwas besser planen. Aber die Prozesse im Bioreaktor lassen sich dadurch nicht beschleunigen. Wir werden damit auch nicht 100.000 Spritzen mehr abfüllen. Aber wir vermeiden Reibungsverluste und die ein oder andere Arbeitsstunde.
Hat der Zeitgewinn für die Kunden auch finanzielle Vorteile?
P. Sölkner: Nein, denn sie haben ja keinen zeitlichen Gewinn bei der eigentlichen Produktion oder der Abfüllung. Ein positiver Effekt ist allerdings, dass man mit diesem Programm nicht immer wieder alles neu erfinden muss, sondern im Sinne einer Plattform bestimmte Inhalte auf neue Projekte eines Kunden übertragen kann. Und wenn ein Kunde schneller zum Markt kommt, ist das ein Riesenvorteil. Viel besser wird es nicht!
F. Mathias: Genau! Wenn der Kunde mit seiner klinischen Studie drei Monate früher anfangen kann – wo time-to-market das entscheidende Kriterium ist –, ist das letztlich sein Geldvorteil.
Wie viele Kunden haben Sie bisher für das Programm gewonnen?
P. Sölkner: Aktuell befinden wir uns mit sieben Kunden in unterschiedlichen Stadien. Mit etwa zehn weiteren sind wir im Gespräch.
F. Mathias: Die Resonanz der Kunden ist sehr positiv. Wir erhalten viele Anfragen. Das zeigt, dass wir den Nerv getroffen haben, dass das etwas ist, was am Markt verlangt wird.
Verstehe ich richtig, dass Sie mit diesem Programm gegenseitig neue Kunden gewinnen?
P. Sölkner: Das ist korrekt. Das hilft uns bei der Neukundenakquise. Allerdings geht es nicht darum, um jeden Preis neue Kunden zu gewinnen. Der Markt für hochwertige Biopharmazeutika mit einer hohen Komplexität ist ein Nischengeschäft. Die Herausforderungen ergeben sich von alleine. Denken Sie nur an die dritte Welle Biotech: Monoklonale Antikörper waren gestern. Jetzt geht es um Messenger RNA. Wir unterhalten uns über virale Vektoren und Stammzelltherapien. Da werden noch einige spannende Themen auf beide Unternehmen zukommen, wo wir uns fragen werden: was können wir tun, um den Kunden einen Vorteil zu verschaffen?
„Monoklonale Antikörper waren gestern. Jetzt geht es um Messenger RNA. Da werden noch einige spannende Themen auf beide Unternehmen zukommen.“
- Peter Sölkner, Geschäftsführer, Vetter
F. Mathias: Das ist auch gut für die Region. Baden-Württemberg kann sich damit als ein wichtiger Standort für biopharmazeutische Produktion in der Welt etablieren. Wir haben hier Boehringer, Teva, CureVac, Vetter, Rentschler… Hier entsteht ein Hub für Biopharmazeutika.
Sie agieren hier gemeinsam als deutsche Unternehmen. Haben Sie Pläne, das Programm über die Grenzen hinaus auszuweiten?
P. Sölkner: Wir wollen erst einmal laufen, bevor wir das Rennen starten. Aber natürlich sehen wir in der Kooperation Ausbaupotenzial in Richtung der bestehenden US-Standorte von Rentschler und Vetter.
F. Mathias: Viele Pharmafirmen überdenken derzeit ihre Lieferketten. Ich glaube, die Coronakrise beschleunigt diesen Prozess. Wir sehen derzeit einen zunehmenden Fokus auf Europa. Man entfernt sich etwas aus Asien, auch Amerika steht nicht mehr so im Zentrum. Davon könnten wir und die Region profitieren.
„Viele Pharmafirmen überdenken derzeit ihre Lieferketten. Ich glaube, die Coronakrise beschleunigt diesen Prozess. Wir sehen derzeit einen zunehmenden Fokus auf Europa.“
- Frank Mathias, Vorstandsvorsitzender, Rentschler Biopharma
Wie werden Sie nach einem Jahr den Erfolg Ihrer Zusammenarbeit messen?
P. Sölkner: Hoffentlich mit einigen zufriedenen Kunden. Wir haben uns nicht auf die Fahnen geschrieben, dass wir X Millionen Umsatz miteinander machen müssen, oder es soundsoviel Projekte sein müssen, damit das Ganze erfolgreich ist.
F. Mathias: Unsere Teams sprechen schon jetzt mit einer Sprache und die Kultur ist sehr ähnlich. Was wir messen wollen ist jedoch die Kundenzufriedenheit. Wenn diese positiv ist, haben wir alle gewonnen.
Zur Person
Frank Mathias ist seit April 2016 Vorstandsvorsitzender der Rentschler Biopharma. Zudem ist er Vorsitzender des Vorstands von VFA Bio. Von Mai 2009 bis Januar 2016 war Mathias Vorstandsvorsitzender von Medigene. Er studierte Pharmazie an der Paris VI Universität, wo er 1991 im Bereich Immunologie promovierte.
Rentschler Biopharma
Rentschler Biopharma mit Sitz im oberschwäbischen Laupheim ist eine Contract Development and Manufacturing Organization (CDMO). Als Full Service-Dienstleistungsunternehmen sieht sich Rentschler als Partner für die Prozessentwicklung und Wirkstoffproduktion. Zu den weltweit über 100 Kunden zählen Pharma- und Biotechunternehmen. Rentschler ist seit der Unternehmensgründung 1927 ein unabhängiges Familienunternehmen.
Zur Person
Peter Sölkner ist seit Juni 2008 Geschäftsführer der Vetter Pharma-Fertigung. Seit 2009 ist Sölkner zusätzlich Geschäftsführer der Vetter Pharma International, der Vertriebs- und Marketingtochter des Unternehmens. Er schloss 1992 sein Studium des Chemieingenieurwesens an der Technischen Universität Dortmund ab und graduierte 2001 an der Columbia-Universität in New York als MBA.
Vetter
Vetter hat seinen Hauptsitz in Ravensburg am Bodensee und ist ein internationaler Spezialist in der Fertigung von aseptisch vorgefüllten Injektionssystemen wie Spritzen, Karpulen und Vials. Kunden aus der Biotech- und Pharmaindustrie bietet Vetter Know-how und Fertigungsanlagen für die frühen Phasen der klinischen Entwicklung bis hin zur behördlichen Zulassung und Markteinführung. Das 1950 gegründete Familienunternehmen beschäftigt weltweit rund 5.000 Mitarbeiter.