Besonderheiten der Sicherheitsdatenblätter im US-Rechtssystem
Export nach Amerika – Kann das denn so schwer sein?
Diese Anforderungen unterscheiden sich trotzdem manchmal merklich und es gibt einige, die für Neuankömmlinge aus der EU Schwierigkeiten mit sich bringen können.
Stellen Sie sich Folgendes vor: Die Produktentwicklung ist abgeschlossen und die Werbekampagne läuft bereits. Die Nachfrage aus den USA steigt, und Sie wollen sich diesen Markt auch erschließen. Jetzt fragt der Kunde nach einem amerikanischen Sicherheitsdatenblatt (SDB). Sie gehen davon aus, dass ein SDB in englischer Sprache gemeint ist, das Sie selbstverständlich zur Verfügung stellen können. Der Kunde jedoch fordert ein SDB nach amerikanischem Recht. Genau hier fangen die Probleme an.
Besonderheiten im US-Rechtssystem
In Europa können wir froh sein, dass unsere Gesetzgebung relativ übersichtlich ist. Ein REACh- und CLP-konformes SDB wird fast überall akzeptiert, abgesehen von Anpassungen an einige nationale Anforderungen wie die dänischen MAL-Codes oder die deutsche Wassergefährdungsklasse.
In den USA ist es auf den ersten Blick so ähnlich. Es gibt ein Gesetz für SDBs (Hazard Communication Standard (HCS) 2012), das Etiketten gleich mit abdeckt. Auch einige Ausnahmen sind ähnlich. Ganz anders sieht es in Anhang D aus, in dem es heißt: „Die OSHA wird die Informationsanforderungen der Abschnitte 12 bis 15 nicht kontrollieren, da diese Bereiche nicht ihrer Verantwortung unterliegen.“ Die OSHA oder Occupational Safety and Health Administration ist die Behörde, die für US-Sicherheitsdatenblätter verantwortlich ist, aber nur Industrie und Gewerbe abdeckt.
„In Europa können wir froh sein, dass unsere Gesetzgebung relativ übersichtlich ist.“
Die Auswirkungen davon sind nicht ohne. Das sieht man am Beispiel von Reinigungsprodukten. Sind diese auf dem Werksgelände, weil die Kaffeekanne ab und zu gereinigt wird? Dann sind sie Verbraucherprodukte und fallen unter die Zuständigkeit der Consumer Product Safety Commission (CPSC). Werden diese Reinigungsprodukte häufiger verwendet – von Reinigungskräften oder in eigenen Vertriebsprozessen – dann sind sie industrielle bzw. gewerbliche Produkte und fallen unter die OSHA. Die OSHA ist nach dem UN GHS aufgestellt, die CPSC nicht.
Das ist die erste, vielleicht größte Überraschung. Aber was muss noch beachtet werden? Lassen Sie uns eine kleine Tour durch ein amerikanisches SDB machen, um die Abweichungen von CLP anzuschauen:
Abschnitt 1 – Adresse und Notfallnummer
Die OSHA schreibt vor, dass Name, Adresse und Telefonnummer der Hersteller / Importeure / andere verantwortliche Parteien in Abs. 1 des SDBs zusammen mit einer Notfallnummer angegeben werden müssen. Mehr steht nicht drin, aber in einem „Letter of Interpretation“ vom September 2018, erklärte die OSHA, dass es sich um eine US-Adresse und Notfallnummer handeln muss. Eine ausländische Firma darf zusätzlich erwähnt werden, aber es darf den Leser nicht in Verwirrung bringen. Dazu kommt eine Anforderung des Department of Transport (DOT), dass die Notfallnummer – wie in den Begleitpapieren angegeben – immer erreichbar sein muss, wenn die Waren unterwegs sind. Beide Anforderungen sind gültig und gelten gleichzeitig.
Abschnitt 2 – P-Sätze und HNOCs
Wer gewohnt ist, eine Auswahl von passenden P-Sätzen zu machen, hat es hier einfacher – sie müssen alle angegeben werden. Aber auch auf dem Etikett – vielleicht müssen Sie dafür noch ein bisschen mehr Platz schaffen. HNOCs – oder „Hazards not otherwise classified” – sind Gefahren, die gemäß HCS 2012 nicht klassifiziert sind, aber unter bestimmten Bedingungen eine zusätzliche Gefahr bringen. Ein bekanntes Beispiel sind Staubexplosionen („combustible dust“) – andere Möglichkeiten wie Erstickung oder exotherme Polymerisationsreaktionen gibt es auch.
Abschnitt 3 – Inhaltstoffe
Auf dem Papier liest es sich einfach – ein eindeutiger Identifikator des /der gefährlichen Inhaltstoffes/e (Name, CAS Nr. usw.) ist hier anzugeben, es sei denn, die Firma verbirgt die chemische Identität als Trade Secret. Auch die Mengenangaben sind genau anzugeben und Bereichsangaben sind nicht zulässig. Es sei denn, die Firma hat Chargenschwankungen oder deklariert die Mengenangaben als ein Trade Secret. So ist es nicht überraschend, dass Trade Secrets in den USA sehr häufig verwendet werden.
Abschnitt 11 – Toxikologische Information
Die Einstufung eines Stoffes ist firmenabhängig und erfolgt gemäß „dem gesamten Ausmaß der verfügbaren wissenschaftlichen Literatur und anderer Informationen über die potenziellen Gefahren.“ Sie müssen Ihre Einstufungen jedoch belegen können. Tritt der Fall ein, dass eine Behörde eine Einstufung durch z. B. eine schnelle Internetsuche widerlegen kann, werden Sie schnell Probleme bekommen. Interessanterweise ist die ECHA eine anerkannte und sogar empfohlenen Quelle für toxikologische Informationen, was für EU-Mitglieder eine Erleichterung darstellt.
„Nicht zuletzt spielen die gemischten Verantwortungsbereiche der verschiedenen Behörden eine große Rolle…“
Abschnitt 12 – Umwelt-Information
Gemäß OSHA sind die Inhalte von Abschnitt 12-15 freiwillig, da sie nicht unter ihren Zuständigkeitsbereich fallen. Wenn Sie jedoch während des Transports versehentlich unmarkierte Umwelt-Chronisch-1-Stoffe auf der Straße abladen, gibt es zuerst Ärger von der DOT und danach von der Environmental Protection Agency (EPA). Es lohnt sich also, die Informationen parat zu haben.
Abschnitt 14 – Transport
Kommen Sie mit Recommended Quantities (RQ) für den Transport oder mit Marine Pollutants klar? Wenn nicht, empfehlen wir die Dienstleistungen eines US-erfahrenen Gefahrgutbeauftragten. Glücklicherweise gibt es (ausnahmsweise) definierte Stofflisten, die zu betrachten sind.
Abschnitt 15 – Regulatorische Informationen
Auch dieser Abschnitt ist von OSHA nicht gefordert, und wir sind unsere SDB-Tour fast durch. Aber Halt! Sind alle Komponenten TSCA gelistet? Eine Anforderung der EPA, die Toxic-Substances-Control-Act-Liste (TSCA), enthält alle anerkannten Stoffe, die in den USA hergestellt bzw. importiert werden dürfen. Alles, was nicht auf dieser Liste steht, darf nicht importiert werden – weder als solches noch im Gemisch – und Ihr Importeur ist dafür haftbar. Sie können selbstverständlich einen neuen Eintrag beantragen, aber das ist natürlich mit Kosten (Zeit und Geld) verbunden. Diese Liste ist der Grund, warum jeder US-SDB-Ersteller die Übermittlung von 100 % Rezepturen von Ihnen verlangt, oder zumindest eine Bestätigung von Ihnen, dass alle Inhaltsstoffe TSCA-gelistet sind.
Für diesen Abschnitt ist es vielleicht auch nicht verkehrt zu wissen, welche Behörden ihre Produkte ins Visier nehmen könnten. Ist es bspw. ein Autolack, dann müssen Sie wegen der EPA die VOC-Mengen betrachten – die Grenzmengen sollten Sie hier lieber nicht übersteigen. Oder wird Ihr Produkt für die Drogenherstellung verwendet, wie z. B. Aceton? Dann hat die Drug Enforcement Administration (DEA) plötzlich ein Interesse. Sicherlich kennen Ihre Kunden die Anforderungen bereits oder haben sich sogar danach erkundigt – aber eine kleine Erinnerung schadet nie.
Fazit
Wir sind mit unserer kleinen Tour möglicher Überraschungen in einem US-SDB fertig – zumindest, gemäß OSHA. Es gibt noch mehr zu entdecken, wie z. B. die verschiedenen staatlichen Anforderungen, aber das sind Themen für ein anderes Mal. Es wurde gezeigt, dass der Export in die USA mit einigen Spitzfindigkeiten und Abweichungen vom europäischen Recht verbunden ist. Nicht zuletzt spielen die gemischten Verantwortungsbereiche der verschiedenen Behörden eine große Rolle, aber auch die Variationen der relevanten Anforderungen innerhalb von Produkten, Produktarten und der Märkte. Wer unsicher ist, sollte sich etwas Zeit nehmen oder sich Rat holen – es wird sich später lohnen!
ZUR PERSON
Den beruflichen Werdegang von Daniel Rankin bestimmt die Frage, wie Risiken und Regularien innerhalb und zwischen Ländern kommuniziert werden. Neben seiner multinationalen Berufserfahrung verfügt der Chemiker und Außenhandelskaufmann über ein großes Methodenrepertoire, um Sachverhalte aus verschiedensten Blickwinkeln zu betrachten. Seit Februar 2018 arbeitet er bei der UMCO im Bereich Gefahrstoffmanagement und REACh und befasst sich u. a. mit Besonderheiten der US-Anforderungen.