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Hightech „made in China“ - ein Praxisbericht

Wie sinnvoll ist es für westliche OEMs, im Reich der Mitte zu produzieren?

01.08.2019 -

Die Nutzung chinesischer Fertigungsanlagen wird für viele westliche OEMs immer interessanter. Sie lohnt sich für spezialisierte Fertiger bei einem relativ hohen Produktmix schon in einem mittleren Stückzahlenbereich, für den die Vollautomatisierung in den USA oder Europa nicht als ökonomisch angesehen wird. Auch Prototypenhersteller eignen sich nicht als Alternative, da sie meist nicht über genügend Kapazitäten verfügen, um den notwendigen Output zu kompetitiven Preisen zu erreichen. Hier bietet sich die Gründung einer Niederlassung oder die Beauftragung von in China angesiedelten Lohnfertigern an – ein Vorgehen, das zum Teil jedoch sehr kontrovers diskutiert wird. Seine China-Erfahrungen teilt hier Flexan, ein US-amerikanischer Auftragsfertiger. Das Unternehmen produziert seit 2004 in China. In der Fabrik in Suzhou werden hochvolumige Elastomer-Formteile hergestellt sowie unterschiedlichste Silikon-Formteile im Reinraum.

Zweifellos sind die geringeren Arbeitskosten im Reich der Mitte für viele Unternehmen nach wie vor ein Kriterium. Zusammen mit dem großen Angebot an Personal, das lange Arbeitszeiten in Fertigungsanlagen in Kauf nahm, waren sie anfangs der Hauptgrund vieler westlicher Hersteller, ihre Produktion nach China outzusourcen. Doch das Bild wandelt sich: Aufgrund des schnellen Aufstiegs der Mittelklasse sind immer weniger Menschen bereit, für niedrige Löhne zu arbeiten. Seit 2004 steigen die Mindestlöhne nun jedes Jahr, mit dem Effekt, dass sie laut China Labour Bulletin zumindest in den Küstenstädten den Durchschnittswert der Löhne in Asien erreicht haben. Unternehmen aus unterschiedlichen Industriezweigen sind daher schon in Länder mit noch niedrigeren Lohnkosten abgewandert, bspw. nach Vietnam.
Im Bereich medizintechnische Fertigung dürfte die Entwicklung des Lohnniveaus jedoch aktuell keinen Anlass bieten, um auf die Gründung einer Niederlassung in China zu verzichten oder abzuwandern. Für Flexan bspw. war schon 2004 ein anderer Faktor wesentlich entscheidender: Anstoß für den Aufbau des Standorts in Suzhou war damals die Tatsache, dass viele Teilkomponenten in China assembliert bzw. zu Instrumenten und Geräten zusammengesetzt werden. Aus Sicht der Auftraggeber war es daher wünschenswert, dass die Lohnfertigung der betreffenden Teile direkt in Asien erfolgt. Dadurch müssen die Komponenten nicht aus den USA oder Europa nach China verschickt werden, sondern nur von einem chinesischen Standort zum anderen. Durch die kürzeren Transportwege ergibt sich eine deutliche Kosteneinsparung.

Erleichterte Gründung von WFOE als Vorteil?
Als ein weiteres Argument für die Fertigung in China wird häufig angeführt, dass das Land nun auch Unternehmen zulässt, die in ausländischem Besitz sind. Um höhere Investitionen durch ausländische Unternehmen anzuregen, hat die Volksrepublik in der Tat eine spezielle Form der Gesellschaft mit beschränkter Haftung eingeführt – das sogenannte Wholly Foreign Owned Enterprise (WFOE). Laut Path to China – ein Unternehmen, das Kunden bei der Bildung von WFOEs unterstützt – hat diese Geschäftsstruktur unter anderem folgende Vorteile:

  • WFOE sind unabhängig und frei bei der Umsetzung der weltweiten Strategien der Muttergesellschaft, ohne die Beteiligung eines chinesischen Partners in Betracht ziehen zu müssen.
  • Sie sind in der Lage, formell Geschäfte zu machen, anstatt nur als Repräsentanzbüro zu fungieren und können Rechnungen an Kunden in RMB (Chinesischer Yuan) ausstellen sowie Einnahmen in RMB erhalten.
  • Geistiges Know-how und Technologie sind geschützt.
  • Für WFOE im Bereich Fertigung gibt es keine besonderen Anforderungen für eine Import /Export-Lizenz für die eigenen Produkte.
  • Sie haben volle Kontrolle über die Humanressourcen und
  • Sie sind effizienter hinsichtlich Betrieb, Management und zukünftiger Entwicklung.

Auch Flexan hat die gebotene Chance ergriffen und die Unternehmensform des WFOE für die eigene Niederlassung gewählt.

Birgt der Standort China Risiken?
Trotz solch positiver Entwicklungen wird eine Produktion in China oder vergleichbaren Schwellenmärkten im Vergleich mit Europa oder den USA mit diversen Risiken in Verbindung gebracht: Unterbrechungen in der Lieferkette seien – so das Argument – aufgrund einer unsicheren Infrastruktur deutlich wahrscheinlicher. Auf Basis eines einzigen Unternehmens aus einer bestimmten Branche kann natürlich nicht generalisiert werden, doch Flexan Suzhou hatte mit derartigen Problemen bisher nicht zu kämpfen, denn die 100 km westlich von Shanghai gelegene Millionenstadt Suzhou, in der viele internationale Unternehmen verschiedener Branchen wie Samsung, Phillips oder Robert Bosch fertigen, verfügt über hervorragende logistische Anbindungen. Die kleinen und leichten Teile, die Flexan herstellt, können problemlos über Nacht versendet werden.
Doch nicht nur die Gefahr eine Lieferkettenunterbrechung wird häufig beschworen. In Bezug auf die Volksrepublik gibt es immer wieder negative Berichte über die Qualität von Produkten dortiger Hersteller und Lieferanten sowie über Korruption in der Regierung. So wird etwa auch im Bereich Medizintechnik davor gewarnt, dass chinesische Zulieferer es nicht besonders genau nehmen und sogar giftige Materialien in ihren Produkten einsetzen. Gerade Hersteller von Medizinprodukten sind jedoch auf eine zuverlässige Versorgung mit einwandfreien Materialien angewiesen, die nachweislich ihren hohen Qualitätsvorgaben entsprechen. Für in China tätige Hersteller von Medizinprodukten könne es daher sehr aufwändig werden, vertrauenswürdige Lieferanten zu finden, so die Warnung. Im Bereich der medizintechnischen Fertigung für den westlichen Markt ist dieses Argument jedoch realitätsfern. Wie alle anderen Flexan-Standorte verwendet auch die chinesische Tochter ausschließlich die Rohmaterialien, die von den Kunden vorgegeben werden. Sie werden nur bei den Originalherstellern oder deren qualifizierten, geprüften und zugelassenen Distributoren oder Partnern bezogen.
Die EN ISO 13485, die die Herstellung und das Inverkehrbringen von Medizinprodukten regelt, ließe ein anderes Vorgehen gar nicht zu. Die benannte Stelle, z. B. DEKRA oder TÜV, prüft regelmäßig in ihren Audits nach, ob die Einhaltung dieses Punktes – der Bezug von Original-Rohstoffen – nachgewiesen werden kann. Abweichungen würden sofort angezeigt und bei Nichtbeachtung den Verlust der Qualifizierung nach sich ziehen. Außerdem führen die Kunden regelmäßig Audits durch, um nachzuweisen, dass die Produkte ihren Spezifikationen in vollem Umfang entsprechen.

Zusatzkosten und Urheberrechts­verletzungen doch vermeidbar?
Von den Gegnern einer Fertigung in China wird außerdem angeführt, dass bei einer Vergabe an dortige Firmen oder dem Aufbau einer eigenen Produktionsstätte viele Zusatzkosten entstehen können. Diese würden bspw. verursacht durch:

  • Aufbau der finanziellen, rechtlichen und physischen Betriebsstrukturen,
  • Bereitstellung von zuverlässigem Management im Ausland und damit verbundene Reisekosten sowie
  • Identifizierung vertrauenswürdiger Lieferanten sowie deren Anpassung an die eigenen Unternehmensstandards,
  • Bewältigung von Qualitätsproblemen und die Vermeidung von Materialsubstitution,
  • Verlust der Kontrolle über den Herstellungsprozess und das Risiko für die Markenreputation, wenn Produktprobleme auftauchen.

Was den Aufbau der Betriebsstrukturen betrifft, so sind dies Kosten, die auch in einem anderen Land in vergleichbarem Maße anfallen würden. Der Standort China wirkt sich hier kaum aus. Beim Thema Reisekosten konnte Flexan dagegen eine positive Entwicklung verzeichnen: Natürlich würden die Reisekosten hoch ausfallen, wenn häufig Managementpersonal von den westlichen Standorten nach China reisen müsste. Doch das ist nicht der Fall, da in dem Tochterunternehmen zuverlässige chinesische Mitarbeiter beschäftigt und moderne Kommunikationstechnologien genutzt werden. Zudem ist es kostengünstiger, Kunden in Asien zu betreuen, wenn man aus China anreisen kann anstatt aus den USA oder Europa. Zusatzkosten durch Probleme mit Lieferanten oder der Qualität von Rohstoffen sowie in Bezug auf Prozesskontrolle und Markenreputation seien dagegen im Bereich Medizinprodukte durch die notwendige Konformität aller Prozessteilnehmer und Produkte mit der EN ISO 13485 unwahrscheinlich.
Zu guter Letzt äußern Medizinprodukte-­OEMs und andere Hightech-Hersteller häufig Bedenken über den Schutz ihrer Patente und ihres geistigen Eigentums, wenn sie in China produzieren – insbesondere wenn sie an einen chinesischen Fertiger outsourcen. Diese Befürchtungen sind laut des Berichts „Outsourcing to China“ nicht unbegründet: „Der Schutz des geistigen Eigentums ist schwach bis gar nicht vorhanden. Auch wenn China der WTO beigetreten ist und zustimmt, sich an alle rechtlichen Regeln der Welthandelsorganisation zu halten, werden in der Realität viele Gesetze verletzt. Insbesondere das Urheberrecht wird nicht durchgesetzt und die Piraterie von Markenartikeln sowie urheberrechtlich geschützten Waren ist allgegenwärtig.“
Auch dieses Risiko ist für die Produktion von Flexan in China kaum relevant: Da der Lohnfertiger kein chinesisches, sondern ein amerikanisches Unternehmen ist, gelten für die Tochter in China dieselben firmenweiten Anforderungen wie für alle anderen Niederlassungen. Außerdem werden nur Teile geliefert, die später zu Produkten assembliert werden, aber keine ganzen Produkte. Einfach ausgedrückt: Wer weiß, wie eine Radmutter für ein deutsches Markenfahrzeug aussieht, ist noch lange nicht in der Lage, dieses Auto zu kopieren.

China: Für Flexan der richtige Schritt
Was die Vor- und Nachteile einer Produktion in China betrifft, kann es natürlich von Branche zu Branche und von Unternehmen zu Unternehmen große Unterschiede geben. Für die Tätigkeit von Flexan Suzhou sind einige der häufig in der Diskussion um die Fertigung in China angeführten Vorteile nicht relevant, dafür kamen und kommen aber auch viele der vermeintlichen Nachteile nicht zum Tragen. Die individuelle Situation eines Unternehmens – sei dies ein OEM oder ein Auftragsfertiger – sollte daher genau analysiert werden, bevor eine Entscheidung für oder gegen China getroffen wird. Flexan jedenfalls hat den Schritt, eine chinesische Tochter zu gründen, bisher nicht bereut. Die Produktion in Suzhou ist seit Anfang der 2000er Jahre kontinuierlich gestiegen: Das Unternehmen startete mit einer einzigen Presse und hat seinen Maschinenpark nun auf etwa 70 Pressen, 10 LSR-Maschinen sowie automatische Verpackungsmaschinen, diverse Walzwerke und Entgratungsmaschinen erweitert. Der Output ist ebenfalls kontinuierlich angewachsen; im ersten Jahr lag er bei 500.000 Teilen und hat mittlerweile die 100-Mio.-Marke überschritten. Seit 2005 ist der Betrieb nach ISO 9001 zertifiziert, verfügt seit 2010 über einen Reinraum und ist seitdem auch nach dem medizinischen Standard der ISO 13485 qualifiziert.

Checkliste: Zehn Qualifikationen für einen Lieferanten in China

  1. Art der Organisationsstruktur: Chinesische Eigentümer, Joint Venture oder WFOE
  2. Englischsprachiges Management und qualifizierte Arbeitskräfte
  3.  Infrastruktur für Produktion und Versand in der Region
  4. Verpflichtung zu globalen Qualitätsstandards und -Kontrollen
  5. Ein guter Ruf und ein zuverlässiges Lieferantennetzwerk
  6. Erfahrung mit chinesischen Vorschriften und Exporten
  7. Standort, Lagerverwaltung und Logistik
  8. Gemeinsame Werte
  9. Sicherheit des geistigen Eigentums
  10. Duale Fertigung im Westen

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