Lean Roadmap zur Prozessverbesserung in der Pharmalogistik
Fraunhofer IML unterstützt Entwicklung einer effektiven und nachhaltigen Lean Strategie
Hohe Prozessqualität oder das Null-Fehler-Prinzip sind nur einige der Themengebiete, mit denen sich Unternehmen der Pharmaindustrie heutzutage verstärkt auseinandersetzen müssen. Der Vertrieb von lebenswichtigen Produkten setzt eine hohe Lieferqualität und -treue voraus. Strenge gesetzliche Vorschriften zum Versand von Betäubungsmitteln oder verderblichen Produkten erfordern gerade in der Logistik aufwendige Handhabungs- und Kontrollprozesse. Viele Unternehmen der Pharma- und Chemiebranche begeben sich mit den Prinzipien des Lean Managements auf den Weg zu einem kontinuierlichen Verbesserungsprozess.
In der Pharmaindustrie gelten üblicherweise strenge Vorschriften bezüglich Qualität und Kontrolle. Anders als bei herkömmlichen Verbrauchsgütern können Fehler, gerade bei der Belieferung von Endkunden, fatale Folgen haben. Eine Falschlieferung oder eine verspätete Lieferung kann Menschenleben gefährden. Bei der Belieferung von Krankenhäusern durch den pharmazeutischen Großhandel sind unterschiedliche Produkte wie Kanülen oder Katheter in den logistischen Prozessen kaum voneinander zu unterscheiden.
Lean Methoden wie „5S“ werden mittlerweile von vielen Unternehmen der Pharmabranche angewendet, um Ordnung und Sauberkeit im Lager zu schaffen. Durch Visualisierungen wird die Verwechslungsgefahr ähnlich aussehender Produkte reduziert und viele weitere Lean Methoden unterstützen dabei, die Prozesse insgesamt effizienter zu gestalten.
Die Abteilung Intralogistik und -IT Planung am Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik IML beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema Lean Warehousing, der Anwendung von Lean Management im Lager. Dabei steht nicht die reine Kostenreduktion im Vordergrund. Vielmehr geht es um einen Kulturwandel des gesamten Unternehmens, bei dem die Eliminierung von Verschwendungen, die Erhöhung der wertschöpfenden Tätigkeiten und die kontinuierliche Verbesserung verinnerlicht werden. Doch wie können Unternehmen es schaffen, diesen Wandel zu gestalten?
Die Reise zum Nordstern
Die Intralogistik birgt in vielen Unternehmen ein enormes Verbesserungspotenzial. Nachhaltige Prozessverbesserungen erfordern jedoch ein Umdenken auf allen Ebenen. Lean Management benötigt Führungskräfte, die Verbesserungsprozesse gestalten, Verantwortung abgeben sowie Mitarbeiter zum Mitwirken befähigen. Gleichermaßen müssen Mitarbeiter ihren eigenen Handlungsspielraum erkennen und nutzen lernen.
Wer dann die Potenziale des Lean Managements erkennt und diese zu nutzen beginnt, begibt sich auf eine lange Reise voller Höhen und Tiefen. Zu Beginn dieser Reise bedarf es einer Vision, die das langfristige Zukunftsbild des Unternehmens darstellt. Nach dieser Leitidee wird sämtliches Tun und Handeln im Unternehmen ausgerichtet. Dem Mitarbeiter dient diese Vision zur Orientierung und zur Identifikation mit dem Unternehmen. Im Lean Management wird die Vision durch den Nordstern dargestellt. Er steht für einen Zielzustand, der die perfekte Ausrichtung der Prozesse vorgibt. Bei Pharmaunternehmen ist dies häufig eine Null-Fehler-Quote oder eine hundertprozentige Liefertreue und -qualität.
Dieser übergeordnete Zielzustand wird in lang-, mittel- und kurzfristige Ziele heruntergebrochen, die als Meilensteine im Zielentfaltungsprozess dienen.
Fahrplan zum Erfolg
Ein wesentlicher Faktor für die erfolgreiche Einführung von Lean Management ist ein strukturiertes Vorgehen. Das Fraunhofer IML unterstützt Unternehmen verschiedener Branchen, wenn es darum geht, mit Lean Warehousing die Basis für effiziente Prozesse in der Logistik zu legen. Eine Roadmap zur Lean Einführung gibt den Mitarbeitern die nötige Orientierung im Veränderungsprozess. In der Roadmap werden Schulungsinhalte und -konzepte, Workshops und impulsgebende Veranstaltungen spezifiziert und mit den Verantwortlichkeiten grob in einen Zeitplan eingeordnet. Dabei sind weder der Zeitplan noch die festgelegten Maßnahmen starr. Auf der Lean Reise gibt es viele Hindernisse und Hürden, die erst im Verlauf der Lean Einführung erkennbar werden und eine Anpassung der Roadmap erfordern.
Die Unterstützung der Lean Philosophie durch Vorstand und Management gilt als Voraussetzung für die erfolgreiche Lean Einführung. Unternehmensstrukturen und Mentalitäten sind sehr unterschiedlich. Die Lean Roadmap muss daher auf jedes Unternehmen individuell angepasst werden.
Getreu dem Motto „Betroffene zu Beteiligten machen“ sollten die treibenden Kräfte bereits frühzeitig involviert werden. In der Regel wird die Roadmap mit Mitarbeitern verschiedener Hierarchieebenen entwickelt bzw. diskutiert. Durch das frühzeitige Einbinden wird die aktive Mitarbeit gefördert und entscheidende Aspekte sowie Herausforderungen, die bei der Lean Einführung auftreten können, werden von verschiedenen Seiten beleuchtet.
Phasen der Einführung von Lean Warehousing
Das Team Lean Warehousing des Fraunhofer IML strukturiert die Lean Einführung in vier Phasen: Bewusstsein, Implementierung, Stabilisierung und Nachhaltigkeit (s. Grafik 1).
Ziel der Phase „Bewusstsein“ ist es, Mitarbeiter und Führungskräfte auf die Lean Reise vorzubereiten. Es muss bewusst sein, dass Lean Management mehr als nur die reine Methodenanwendung ist. Sowohl Mitarbeiter als auch Führungskräfte müssen daher durch aktive Beteiligung von Beginn an motiviert werden, den Unternehmenskulturwandel mitzugestalten. Die Lean Koordinatoren werden in dieser Phase auf den Umgang mit Widerständen sowie die Durchführung interaktiver Workshops vorbereitet.
Während der Implementierung werden Mitarbeiter und Führungskräfte zu Anwendern von Lean Methoden. Oftmals braucht es ein tieferes Verständnis über die methodische Vorgehensweise bzw. über die Rolle, die der Mitarbeiter dabei einnimmt. Das Fraunhofer IML setzt auf die praxisnahe Vermittlung von Lean Prinzipien am eigenen Prozess, aufbereitet in Fallstudien. Auf diese Weise werden die Akzeptanz der Mitarbeiter sowie die Motivation, sich einzubringen, gefördert. Gleichzeitig werden Lösungsansätze für den Unternehmensalltag entwickelt.
In der Stabilisierungsphase gilt es, die erworbenen Kenntnisse über die Lean Philosophie und Methoden zu festigen und die kontinuierliche Verbesserung im Unternehmensalltag zu verankern. Audits stellen sicher, dass Methoden konsequent umgesetzt und verbessert werden. Learning Journeys dienen zur Horizonterweiterung und werden z.B. in Form von Muda-Walks in anderen Bereichen, Standorten oder Unternehmen durchgeführt.
Zur Sicherstellung der Nachhaltigkeit stellt die Lean Reifegradmessung ein Instrument zur Einordnung des Lean Fortschritts bzw. des Lean Potenzials dar. Mit dem vom Team Lean Warehousing entwickelten Reifegradmodell werden Lean Aktivitäten messbar und Handlungsfelder können abgeleitet werden. Unternehmensinterne Benchmarks zeigen auf, welche Bereiche als Best-Practice und damit als „Leuchtturm“ für andere Bereiche dienen können.
Ein strukturiertes Vorgehen im Rahmen der Lean Einführung ist eine wesentliche Voraussetzung für den erfolgreichen Unternehmenskulturwandel. Die Lean Roadmap bietet hierbei eine auf die Anforderungen der Pharmaindustrie anpassbare Möglichkeit, den Wandel zu gestalten und letztendlich Lean Management erfolgreich einzuführen.