Steuerung eines mobilen Reinraums
25.10.2017 -
In der Pharmaproduktion werden Medikamente unter sterilen Bedingungen hergestellt. Entsprechend hoch sind die Anforderungen an reinraumtaugliche Technik. Mit seinem neuen Automatisierungsbaukasten MOVI-C erfüllt SEW-Eurodrive diese Kundenforderungen – eine technologisch führende Lösung mit Software, Steuerung, Antriebstechnik und Energieübertragung aus einer Hand.
Die Herstellung von Medikamenten muss hohen Standards genügen, die durch strenge Richtlinien der EU-Kommission oder der FDA in den USA geregelt sind. Ein Pharmaunternehmen in Belgien produziert Medikamente für Herz- und Krebstherapien. Zur Einhaltung des hohen Qualitätsstandards dieser Medikamente musste es nach einer FDA-Richtlinie auf eine komplett maschinelle Produktion umstellen, um den Faktor Mensch als unsterile Quelle auszuschließen.
Anspruchsvolle Prozesslösung mit leistungsfähiger Technik
Die Lösung dieser Aufgabenstellung stammt von den Experten der Firma GEA Lyophil. Diese Firma aus Hürth bei Köln liefert weltweit Anlagen zur Herstellung pharmazeutischer Produkte. Das international tätige Technologieunternehmen GEA konzentriert sich auf Prozesstechnik und Komponenten für anspruchsvolle Produktionsverfahren in unterschiedlichen Endmärkten. Es beschäftigt weltweit rund 17.000 Mitarbeiter und erwirtschaftete 2016 einen Konzernumsatz von rund 4,5 Mrd. Euro.
Die Aufgabenstellung an die GEA-Experten lautete: „Wie können die Prozessschritte einer bestehenden Anlage so erweitert und integriert werden, dass sie für die nächsten 10 bis 20 Jahre den Standort sichert?“ Michael Groth, Team Leader Electric Engineering, und seine Mitarbeiter kamen recht schnell zu der Erkenntnis, dass es bei den geforderten Randbedingungen keine kontaktbehaftete Energieversorgung im Reinraum geben kann. „Die Energieversorgung muss berührungslos sein“, so Groth, „eine kontaktbehaftete ist mit Verschleiß verbunden“. Das Expertenteam sah sich dann am Markt nach Lieferanten um, die hierfür Komplettlösungen anbieten können.
Lieferung aus einer Hand
Dabei waren zwei Rahmenbedingungen zu erfüllen: „Zum einen muss alles aus einer Hand kommen – Software, Steuerung, Antriebssystem und Energieübertragung. Dieses Prinzip war den GEA-Experten sehr wichtig. „Damit konnten wir die Komplexität aus dem Projekt nehmen und wir waren nicht in der Vermittlerrolle zwischen unterschiedlichen Lieferanten“, erläutert Michael Groth. Zum anderen durfte die Lösung nur einen sehr geringen Platzbedarf haben. Daher mussten vor allem die Steuerung und die Umrichter sehr kompakt sein“, erläutert Anne Gerlach, Electrical Engineer bei GEA Lyophil. Unter diesen Randbedingungen fiel dann die Wahl auf den neuen Automatisierungsbaukasten MOVI-C von SEW-Eurodrive. Hiermit war es möglich, alle benötigten Funktionen und Leistungen in dem geringen, zur Verfügung stehenden Bauraum unterzubringen. „Das war auch für uns die einzige Lösung auf dem Markt, die alle genannten Forderungen erfüllte“, so Gerlach.
Umfassende Kundenorientierung
Mit dem Außendienst von SEW-Eurodrive im Drive Technology Center Langenfeld stand dann auch ein engagierter Ansprechpartner zur Verfügung, der sämtliche Anfragen koordinierte. Er organisierte für die GEA-Spezialisten auch einen Besuch bei Lieferanten in Bruchsal, zusammen mit dem Endkunden. „Das war echt klasse und für uns alle hilfreich. So konnten wir uns sowie unser Endkunde sich von der Funktionsweise der Lösung überzeugen. Wir alle waren von der Technologie begeistert“, erinnert sich Anne Gerlach. Daher fiel die Entscheidung für die neue Lösung sehr leicht. Installation und Inbetriebnahme bei GEA wie auch beim Endkunden in Belgien konnten problemlos organisiert und erbracht werden.
Ein Reinraum ist nicht genug
Gegenwärtig erfolgt die Inbetriebnahme des neuen Reinraumbereichs in dem Pharma-Produktionswerk. Nur ein Reinraum? Nein, vielmehr handelt es sich hier um bis zu vier verfahrbare Reinräume innerhalb des neuen Reinraumareals. Die Lösung: Künftig übernehmen zwei, später sogar bis zu vier mobile Reinräume vollautomatisch das Handling der gefertigten Chargen zwischen Trocknung, Abfüllung und Weiterverarbeitung. Dabei legen sie zwischen Reinraum, Dekontaminationsraum und Wartungsbereich eine Strecke von ca. 150 Metern zurück. Durch die Automatisierung wird der Mensch als unsterile Quelle hierbei vollständig ausgeschlossen.
Innerhalb der jeweils 9,5 t schweren, mobilen Reinräume werden die Trocknungsanlagen vollautomatisch entladen und der Transfer Table mit den Phiolen (Glasgefäßen) an das versetzte Förderband zur Etikettierung und Kartonierung übergeben. Dabei können die mobilen Reinräume in X- und Y-Richtung verfahren und – in einem späteren Projetschritt – flexibel erweitert werden. Die Energieversorgung erfolgt komplett induktiv für alle Systeme im fahrbaren Reinraum. Auch wenn alle vier mobilen Reinräume in Betrieb sind, bleibt die Infrastruktur (Schienen, Einspeisungen) immer gleich.
Berührungslose Energieversorgung
Ein 10-kW-Versorgungsmodul speist den Mehrachsumrichter Movidrive modular, der Bestandteil des Automatisierungsbaukastens MOVI-C ist. An seiner DC-Verschienung ist das berührungslose Energieübertragungssystem Movitrans angeschlossen, das den Transferwagen über Linienleiter im Boden versorgt. Pro Fahrrichtung und Fahrzeug nehmen zehn flache Übertragerköpfe des Typs THM10E die Energie auf und versorgen über fünf Anpass-Steller TPM12B den mobilen Reinraum. Das Mehrachssystem Movidrive modular benötigt sehr wenig Platz. Zusätzlich befinden sich sechs Antriebe eines Spezialanbieters für den Luftstrom im mobilen Reinraum. Sie wurden in das Automatisierungssystem integriert und werden über Movitrans dauerhaft mit etwa 7 kW versorgt.
Ein MOVI-C Controller power UHX85A-R steuert die beiden Fahrantriebe sowie die Hub- und Hilfsantriebe der Lastaufnahmemittel. Sechs Doppelachs- und ein Einachsmodul regeln insgesamt 13 Achsen des Fahrzeugs. Ein Doppelachsmodul MDD90A treibt den Hauptantrieb und den Antrieb für die Querbewegung an. Das Einachsmodul MDA90A ist für den Hubantrieb des Fachzeugs zuständig. Und ein weiteres Doppelachsmodul MDD90A bewegt den Transfer Table im Fahrzeug.
Antriebstechnik für Fahrt und Hub
Über das Doppelachsmodul für den Hauptantrieb wird ein Servo-Flachgetriebemotor FA57BCMPZ71S mit 2 kW Antriebsleistung angetrieben. Der für die Querfahrt zuständige Servo-Kegelradgetriebemotor KA57BCMPZ71S wird ebenfalls mit 2 kW versorgt. Die Antriebe verfahren den mobilen Reinraum mit einer Geschwindigkeit von 450 mm/s und beschleunigen dabei 0,25 m/s2.
Das Einachsmodul für die Hubfunktion treibt einen Servo-Flachgetriebemotor FA37BCMP63M an. Dieser bewegt das 9,5 t schwere Fahrzeug mit 10 mm/s. Der Transfer Table wird über vier Servo-Kegelradgetriebemotoren KA19CMP50S verfahren und dabei ebenfalls sehr sanft bewegt, damit den Phiolen auf dem Table nichts passiert. Bei einer bewegten Masse von maximal 650 kg beträgt seine Verfahrgeschwindigkeit 1.000 mm in 20 s, bei einer Beschleunigung von 0,1 m/s2.
Technologie + Service = Kundenzufriedenheit
Schon in der Installations- und Inbetriebnahmephase zeigen sich für GEA und seinen Pharmakunden die Vorteile des Automatisierungsbaukastens MOVI-C. Auf Basis dieser Technologieplattform und des guten Supports durch SEW-Eurodrive im Engineeringprozess und vor Ort wurde der Grundstein für die nun folgende Serienfertigung der Fahrzeuge gelegt. MOVI-C stellte bereits in der Pilotphase seine Vorteile unter Beweis. „Wir sind rundum zufrieden, sowohl mit der Technologie als auch mit der kompetenten Betreuung“, resümiert Team Leader Michael Groth.