Wirksamkeit von Medikamenten gefährdet
EIPL-Temperaturstudie zum Versandweg der Online-Apotheken über Paketdienste
Im schlimmsten Fall können Medikamente sonst ihre Wirksamkeit verlieren. In einer Feldstudie hat das EIPL European Institute for Pharma Logistics getestet, ob der von Online-Apotheken gewählte Versandweg über herkömmliche Paketdienste den GDP-Vorgaben entspricht.
Im Januar/Februar 2017 bestellte EIPL verschiedene Medikamente online. Gleichzeitig versandte das Institut 100 Test-Päckchen mit Temperatursensoren, verteilt auf die fünf von Online-Apotheken standardmäßig gewählten Paketdienstleister. Aufgrund der bewusst falsch angegebenen Empfänger wurden die Pakete als unzustellbar zurück an EIPL gesendet. Auf diese Weise konnten die Temperaturbedingungen beim Transport über die Paketdienste nachvollzogen werden.
Temperaturstudie bringt Missstände an den Tag
Die Ergebnisse der Temperaturstudie sind alarmierend: Erstens zeigte sich, dass die Online-Apotheken auch temperatursensible Medikamente nur in normalen Versandkartons lieferten – und damit unzureichend geschützt vor zu tiefen oder zu hohen Temperaturen. Zweitens verdeutlicht die Daten-Auswertung der mit Sensoren bestückten Päckchen, dass die Temperaturbedingungen in vielen Fällen nicht eingehalten werden können.
Am Beispiel des Paracetamol-Saftes von Stada wird dies deutlich: Laut Beipackzettel ist dieses Produkt nicht unter +8°C zu lagern und dementsprechend damit zu transportieren. Die zeitgleich mit demselben Dienstleister versandten Test-Päckchen mit den Temperatursensoren zeigen, dass die Pakete während der Auslieferung Temperaturen von bis zu minus 12°C ausgesetzt waren – und das in bis zu 48 Stunden Versandzeit.
„Vom Hersteller haben wir die klare Aussage erhalten, dass dieses Produkt in solch einem Fall keinesfalls mehr verwendet werden soll“, sagt EIPL-Geschäftsführer Christian Specht. „Denn laut Hersteller kann die Wirksamkeit dann nicht mehr garantiert werden.“
Die Messungen lassen zudem darauf schließen, dass die eigentlich temperiert zu transportierenden Medikamente in herkömmlichen Fahrzeugen ohne aktive Temperaturführung befördert wurden. Hinzu kommt, dass der temperatursensible Paracetamol-Saft in einem Fall sogar mit kühlpflichtigen Medikamenten geliefert wurde – zusammen mit einem Kühl-Akku in der Verpackung.
Forderung: GDP-Konformität für Versandweg der Online-Apotheken
„Die zitierten Fallbeispiele sind lediglich ein Ergebnis unserer unabhängigen Studie, die viele weitere Schwachstellen aufgedeckt hat“, so Specht. Das Institut hat laut eigener Aussage bewusst die Transportqualität untersucht, die in der öffentlichen Diskussion oft zu wenig beleuchtet werde, weil laut EIPL meist der Kostenaspekt im Vordergrund steht. Specht warnt: „Aus unserer Sicht zeigt der Feldtest deutlich auf, dass das Konzept der Online-Versandapotheken nicht aufgeht. Denn beim jetzigen Versandweg über die herkömmlichen Paketdienstleister bleiben die Transportqualität und damit die Patientensicherheit ganz klar auf der Strecke.“
„Es kann nicht sein, dass wegen einer Ersparnis von wenigen Cent bis Euro die Gesundheit riskiert wird – im Paracetamol-Beispiel sprechen wir über 0,16 bis 1,78 Euro Ersparnis gegenüber der unverbindlichen Preisempfehlung“, so Specht. „Deshalb sagen wir ganz klar, dass auch der Versandweg der Online-Apotheken GDP-Kriterien genügen muss. Wir fordern den Gesetzgeber auf, diese Schwachstelle zu beheben und eine klare Regelung bezüglich der Distribution der Online-Apotheken zu erlassen.“
Informationen zu den Studienergebnissen bei EIPL auf Anfrage
Geht nicht: hohe Qualität zu niedrigsten Kosten
Die von EIPL durchgeführte Feldstudie bei Online-Apotheken hat große Mängel aufgedeckt. Dr. Sonja Andres, CHEManager, sprach mit Christian Specht, dem Geschäftsführer EIPL European Institute for Pharma Logistics, über Hintergründe zur und Erkenntnisse durch die Studie.
CHEManager: In der Pharmalogistik wird zunehmend und verstärkt auf die letzte Meile, also die Belieferung der Apotheken und letztlich der Patienten, geblickt. Weshalb?
T. Specht: Seit 2013 gibt es Bewegung in diesem Thema und die großen Logistiker bzw. Transportunternehmen haben sich zum Großteil schon gut aufgestellt. Die letzte Meile wurde bisher eigentlich weniger begutachtet. Bei der letzten Meile muss man unterscheiden zwischen dem Großhandel, der die Apotheken beliefert, den Apotheken vor Ort und den Versandapotheken. So wehrt sich beispielweise der Apothekengroßhandel teils noch sehr stark gegen die GDP und zeigt auf die Apotheken und Versandhandelsapotheken, die wiederum erklären, dass sie der Apothekenverordnung unterliegen, die GDP für sie nicht verpflichtend sei und der Großhandel diese auch nicht richtig umsetze.
Der verschärfte Blick auf die letzte Meile erklärt sich daraus, dass der Hersteller sprich Verlader sehr großen Aufwand betreibt, um die geforderten Qualitätsanforderungen zu erfüllen. Man sollte sich nun schon bewusst machen, dass dieser hohe Qualitätsaufwand am Anfang nur Sinn macht, wenn er über die ganze Kette dann auch bis zum Endverbraucher sprich Patienten praktiziert und verfolgt wird. Denn der ganze Prozess ist nur so gut wie das schwächste Glied in der Kette.
Was waren die Beweggründe für Ihre „Feldstudie“ gerade bei Online-Apotheken und deren KEP-Dienstleistern?
T. Specht: Einer der Hauptgründe, der mich an der Situation gestört hat, war, dass hier nur über Kosten argumentiert wird. Doch hohe Qualität bei niedrigsten Kosten funktioniert einfach nicht. Das Argument, ich mache dies nicht, weil es zu teuer ist, führt genau zu der nun vorliegenden Situation, dass der Endverbraucher ein schlechtes Produkt erhält. Hier gilt: schlechte Dienstleistung bedeutet schlechtes Produkt.
Ein weiterer Punkt für die Studie war der Versandhandel von Rx-Medikamenten und die Diskussion über das Versandverbot verschreibungspflichtiger Arzneimittel. Hier führen die Versandapotheken ins Feld, dass der Medikamentenversand die Versorgung der Bevölkerung eher gewährleistet, gerade auch im ländlichen Raum. Und dies bei niedrigeren Kosten und gleicher Qualität. Wir wollten uns diese Qualität einmal genauer ansehen – auch unter dem Gesichtspunkt der Kosten – denn darüber redet bislang keiner.
Worauf wurde besonders geachtet?
T. Specht: Einer der wichtigsten Punkte bei dieser Untersuchung war für uns: Was geschieht beim Transport mit den Temperaturen? Üblicherweise wird nur über die Kühlung gesprochen, aber so gut wie nie über Erwärmung oder Aufheizung und Kühlware wurde trotz extrem niedriger Außentemperaturen weiter gekühlt. Hierbei muss erwähnt werden, dass die meisten Produkte gegen kurzfristig höhere Temperaturen durchaus stabil sind. Für zu tiefe Temperaturen liegen jedoch keine Daten vor und es können keine definitiven Aussagen über deren Auswirkungen gemacht werden.
Welche Ergebnisse der Studie haben Sie positiv, welche negativ überrascht?
T. Specht: Positiv überrascht hat mich leider nichts, denn die bei der Studie ermittelte Ausfallquote lässt leider nichts Positives erkennen. Erschreckend fanden wir, dass vonseiten der Versandapotheken bereits völlig falsch gepackt wird. So hat beispielsweise der Versender Medikamente, die nicht unter 10°C gelagert werden dürfen, zusammen mit Kühlakkus und kühlpflichtiger Ware in ein Paket gepackt. Als Verpackungsmaterial in Paketen wurden verdreckte Zeitungen und Verpackungsmüll verwendet.
Bei den KEP-Dienstleistern gab es auch zahlreiche negative Überraschungen: Ware wurde über Stunden im Freien abgelegt oder personalisierte Ware einfach irgendwo abgegeben. Am erschreckendsten waren aber die massiven Temperaturüber- und unterschreitungen.
Welche Schlüsse und Konsequenzen sollten Pharmahersteller aus den Resultaten ziehen?
T. Specht: Ganz wichtig ist hierbei eine prozessorientierte Auditierung der gesamten Lieferkette. Letztendlich muss der Versender, das Pharmaunternehmen, sicherstellen, dass die Temperaturen eingehalten werden, indem beispielsweise entsprechende Transportboxen zur Verfügung gestellt werden. Er muss aber auch sicherstellen, dass die Ware nicht über Stunden irgendwo abgestellt wird.
Da dies in der Praxis schwer umzusetzen sein wird, muss er Dienstleister einsetzen, mit denen diese Lieferkette funktioniert.
Können Sie Herstellern und dem Gesetzgeber Empfehlungen zur Nachbesserung und Korrektur der GDP-Regelungen zu Abläufen, Prozeduren und Kontrollen geben?
T. Specht: An der GDP muss nach meiner Ansicht nichts geändert werden, denn sie lässt auch sehr viel Spielraum an der Stelle. So kann man mit Risikoanalysen oder Risikobewertungen oder ähnlichem arbeiten. Der Gesetzgeber muss aber dafür Sorge tragen, dass Anforderungen umgesetzt werden. Als Teil der Transportkette gehört auch die Versandapotheke der GDP-Regelung unterworfen und durch Inspektoren entsprechend überwacht.
So wie der Hersteller im Rahmen der Herstellererlaubnis, der Großhändler durch die Großhandelserlaubnis überwacht wird, gehört auch die Versandapotheke überwacht. Gleiches gilt in diesem Zusammenhang auch für die Apotheken vor Ort und deren Kühlkette. Dies wäre am Ende eine konsequente Umsetzung der GDP-Regelung. An vielen Stellen muss das Verständnis für den Nutzen und die Sinnhaftigkeit der GDP noch wachsen.
Es sollen hier Versandapotheken nicht generell an den Pranger gestellt werden, denn auch hier gibt es gute, aber leider auch sehr viele schwarze Schafe.
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