Anlagenbau & Prozesstechnik

Zunehmende Konkurrenz im Großanlagenbau

Potenziale von Industrie 4.0 zur Stärkung der Wettbewerbsposition nutzen

19.01.2016 - Der Wettbewerbsdruck im Großanlagenbau hat in den vergangenen drei Jahren erheblich zugenommen. Zu dieser Einschätzung kommt einer aktuelle Umfrage unter Top-Managern des deutschen Großanlagenbaus: 89 Prozent der Befragten sagen, der Konkurrenzdruck habe sich seit 2014 spürbar verstärkt. In den kommenden drei Jahren erwarten sogar mehr als 90 Prozent eine nochmalige Verschärfung.

Die VDMA Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau (AGAB) und die Unternehmensberatung Maexpartners haben in einer Gemeinschaftsstudie einen zunehmenden Wettbewerbsdruck in der Branche festgestellt. Anbieter aus Asien gewinnen Marktanteile im Großanlagenbau, und auch aus den USA ist ein verstärkter Wettbewerb festzustellen. Die Risiken durch neue Wettbewerber und Geschäftsmodelle dürfen nicht unterschätzt werden. Lösungen bietet die mit Industrie 4.0 verbundene Technologie, die auch im Großanlagenbau das Potenzial hat, Prozesse im Engineering, in der Logistik und auf der Baustelle nachhaltig zu verbessern.

Hoher Konkurrenzdruck aus Asien

Wie in anderen Industrien nimmt auch im Großanlagenbau die Zahl der Marktteilnehmer aus Schwellenländern beständig zu. Vor allem Anbieter aus Asien heizen den Kampf um Marktanteile an. Dabei werden die Chinesen als weltweit stärkste Herausforderer wahrgenommen. Ferner konnte die japanische Anlagenbauindustrie verlorenes Terrain wettmachen und ihre Marktposition in Europa stärken und auch die Wettbewerber aus Korea haben wieder Fuß gefasst. Auch die Konkurrenz aus Indien tritt zunehmend international in Erscheinung, derzeit vor allem in Nachbarländern und in einigen Regionen Afrikas. Stark aufgeholt haben auch die Anlagenbauer aus den USA, die global wieder verstärkt als Wettbewerber wahrgenommen werden.

Effizienzpotenzial durch Industrie 4.0

Der im VDMA organisierte Großanlagenbau reagiert auf die gewachsenen Herausforderungen umfassend. Branchenübergreifende Trends sind dabei der Ausbau der internationalen Präsenz, die Erweiterung des Serviceportfolios sowie vor allem Schritte zur Kostensenkung. „Wie die Studie belegt, sieht der Großanlagenbau im Einsatz von Industrie 4.0-Technologien einen wichtigen Hebel, um die Effizienz seiner Prozesse zu steigern“, erläutert Dr. Rainer Hauenschild, Sprecher der AGAB und Chief Executive Officer der Siemens Energy Solutions. „Besonders groß ist das Potenzial nach Ansicht der Befragten in der Logistik, auf der Baustelle und im Engineering.“

Dr. Sven Haverkamp, Industrie-4.0-Experte bei Maexpartners, erläutert weitere Details: „Zwei Drittel der Befragten erwarten in den kommenden fünf Jahren spürbare Kostensenkungen durch den Einsatz von Industrie 4.0-Technologien im Engineering.“ Noch höher seien die Potenziale im Logistik- und Baustellenmanagement, wo sich jeweils rund 90 Prozent der Studienteilnehmer eine größere Effizienz erhoffen. Auf der Baustelle zeige sich der Nutzen von Industrie 4.0 konkret in verbesserten Steuerungsmöglichkeiten und einer genaueren Dokumentation des Ist-Zustands. Haverkamp: „Mit einer echtzeitnahen Statusermittlung können Anlagenbauer auf Baustellenstörungen unverzüglich reagieren oder sie im Idealfall sogar ganz vermeiden. Dadurch wird die Termintreue deutlich steigen.“

Datenaustausch und digitale Integration

Um diese ehrgeizigen Ziele tatsächlich zu erreichen, wird die Einführung von Industrie 4.0 auch Anpassungen in der Organisation der Unternehmen sowie in den Geschäftsprozessen erfordern. Die Studie zeigt, dass vor allem im Engineering-Prozess sowie in der Zusammenarbeit mit Kunden und Lieferanten Änderungen erwartet werden. Der Datenaustausch zwischen Anlagenbauern, Lieferanten und Betreibern wird sich in den kommenden Jahren deutlich intensivieren. Damit werden neben der Datensicherheit auch Haftungsfragen sowie die Frage der Eigentums- und Nutzungsrechte an den Daten stärker in den Blickpunkt rücken.

Ferner wird die digitale Integration der Lieferanten nach Ansicht der Befragten weiter voranschreiten. Aus der Sicht der Studienteilnehmer wird die Mehrheit der globalen Lieferanten bis 2020 für eine digitale Zusammenarbeit aber noch nicht ausreichend qualifiziert sein. Dies könnte ein Wettbewerbsvorteil für Zulieferer aus Industrieländern werden, die mit ihrer technologischen Vorreiterrolle besser auf die anstehenden Veränderungen eingestellt sind als Lieferanten aus Schwellenländern. Mittelfristig könnte dadurch das heute im Großanlagenbau vorherrschende Best-Cost-Country-Sourcing von einem Leading-Technology-Country-Sourcing abgelöst werden.

Die Studie zeigt, dass insbesondere ein intensiver Austausch zwischen Betreibern und Anlagenbauern über die Nutzung der Daten aus dem Betrieb der Anlage wichtig sein wird. Die Daten werden bislang nur in seltenen Fällen herausgegeben. Hier liegt bislang ein erhebliches Optimierungspotenzial in der Anlagenweiterentwicklung brach. Umso wichtiger ist es, verbindliche Normen und Standards zum automatisierten Datenaustausch sowie zur Kommunikation mit intelligenter Ausrüstung zu entwickeln und festzulegen.

Aus- und Weiterbildung im Fokus

Neben den genannten Handlungsfeldern muss der Großanlagenbau die Aus- und Weiterbildung von Fachkräften für die Erfordernisse von Industrie 4.0 im Blick haben. „Unternehmen und Hochschulen könnten hierzu gemeinsam Konzepte entwickeln, um die Fortbildung der bestehenden Belegschaft, aber auch die Ausbildung und Rekrutierung neuer Mitarbeiter sicherzustellen. Den Bedürfnissen der Unternehmen angepasste oder neu geschaffene Studien-Programme und Organisationskonzepte sind dafür dringend erforderlich“, so das Fazit von AGAB-Sprecher Hauenschild.

Ebenso wichtig wird es sein, Wege zu finden, qualifizierte Mitarbeiter für eine Betätigung im Anlagenbau zu gewinnen. Hier gilt es, Modelle zu entwickeln, die mit der Dynamik anderer Branchen mithalten können. Beispiele sind Venture-Capital-Konzepte oder der Aufbau eigener Sparten, in denen geeignete qualifizierte Mitarbeiter zusammengezogen werden und die weitreichende Freiheiten gegenüber dem klassischen Anlagenbau genießen.

Chancen und Risiken für den Anlagenbau

Die Risiken für den deutschen Anlagenbau durch neue Wettbewerber und Geschäftsmodelle dürfen nicht unterschätzt werden – insbesondere auch nicht das Risiko einer Disruption bestehender Geschäftsmodelle. Eine wesentliche Erkenntnis der Umfrage ist, dass Industrie 4.0 dem Großanlagenbau erhebliches Potenzial zur Steigerung seiner Wettbewerbsfähigkeit bietet. Zugleich können neue Wettbewerber und Geschäftsmodelle aus Branchen mit deutlich schnelleren Innovationszyklen den Großanlagenbau schon bald vor so nicht erwartete Herausforderungen stellen.

Das wesentliche unternehmerische Handlungsfeld ist die Erarbeitung neuer Geschäftsmodelle. Heute fehlen dem Anlagenbau noch häufig die Voraussetzungen dafür, neue, datengetriebene Produkte und Dienstleistungen entwickeln und anbieten zu können. Dabei kann Industrie 4.0 gerade für die Anlagenplanung eine große Chance sein, Smart Services anzubieten und vom gesamten digitalen Lebenszyklus der Anlage zu profitieren. Diese Dienstleistungen liefern und nutzen Daten über den Anlagenbetrieb; sie werden nicht um die Anlage herum entwickelt, sondern sind ihr integraler Bestandteil.

Data Analytics für mehr Produktivität

Der überwiegende Teil der durch Industrie 4.0 ermöglichten neuen Dienstleistungen hat das Ziel, Produktionsausfälle zu verhindern. Grundsätzlich dienen diese Dienstleistungen dazu, die zunehmenden Informationsflüsse in und zwischen Anlagen nutzbar zu  machen. An erster Stelle stehen daher Steuerungs- und Regelungs-Dienstleistungen oder reine Informationsdienstleistungen wie Data Analytics. Der Anlagenbau könnte beispielsweise die digitale Plattform zur Verfügung stellen, die von den Betreibern für risikobasierte Inspektionen, Instandhaltung und den Betrieb der Anlage genutzt wird, und für neue oder erweiterte Dienstleistungen die Nutzung dieser Plattform in Rechnung stellen.

Industrie 4.0. und kein Ende

Die Technologien für Industrie 4.0 sind zum großen Teil bereits vorhanden. Die Verbindung dieser Technologien zu einem funktionierenden und gewinnbringenden Ganzen ist die Herausforderung, die der Anlagenbau meistern muss. Industrie 4.0 ist derzeit vor allem ein anbietergetriebenes Thema. Daher ist stets die Frage zu stellen, welche Vorteile die einzelne Industrie-4.0-Anwendung tatsächlich im wertschöpfenden Prozess des Anlagenbaus bieten kann. Jedes Unternehmen ist aufgerufen, für sich selbst in Erfahrung zu bringen, wie es von den neuen Möglichkeiten durch Industrie 4.0 profitieren kann.

Industrie 4.0 wird im Anlagenbau nicht in einem großen Sprung umgesetzt werden. Unternehmen benötigen dafür ein klares Bild ihres Zielzustandes und eine Implementierungsstrategie. Die Einführung sollte in kleinen Schritten stattfinden, die in kurzer Zeit einen Beitrag zur Wertschöpfung leisten (Time-to-Value). Außerdem wird eine erfolgreiche Implementierung von Industrie 4.0 in den Prozessen und Strukturen des Anlagenbaus deutliche Veränderungen sowohl voraussetzen als auch zur Folge haben. Industrie 4.0 im Anlagenbau ist also ein unternehmensweites Veränderungsprojekt und nicht nur die bloße Einführung zusätzlicher IT-Systeme.

Die Arbeitsgemeinschaft Großanlagenbau im VDMA ist die Interessenvertretung Großanlagen bauender Unternehmen in Deutschland. Sie repräsentiert einen jährlichen Auftragseingang von über 20 Milliarden Euro und rund 60.000 Beschäftigte im Inland mit einem Weltmarktanteil von zirka 16 Prozent und 80 Prozent Exportquote.

www.grossanlagenbau.vdma.org .

Maexpartners ist eine auf Industrie und Hochtechnologie fokussierte Unternehmensberatung. Das Serviceangebot reicht von der innovativen Strategie bis zur pragmatischen Umsetzung der entwickelten Lösungen vor Ort. Damit werden die Grenzen traditionellen Consultings überschritten und operative Mitverantwortung übernommen.

www.maex-partners.com

 

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