Management im Wandel
Commerzbank-Studie untersucht Digitalisierung in der mittelständischen Chemie- und Pharmaindustrie
Wie ist es aktuell im Mittelstand um die Zukunftsorientierung und die Offenheit gegenüber neuen digitalen Technologien bestellt? Wie schätzen die Manager die Herausforderungen und Chancen ein, die mit den digitalen Veränderungen der Wirtschaft einhergehen? Und wie unterscheiden sich die Einschätzungen, die Einstellung und die Strategie der digitalen Vorreiter von denen der breiten Masse? Zu diesem Thema wurden über 4.000 Unternehmer - darunter 168 aus der Chemie- und Pharmaindustrie - im Rahmen der 15. Studie der Mittelstandsinitiative Unternehmerperspektiven befragt.
Zwei Drittel der Unternehmen agieren in engen Märkten mit ausgereiften Produkten, einem starken Verdrängungswettbewerb und beschleunigten Produktzyklen (Grafik 1). In dieser Lage zählt Effizienz: Die Branche sieht in der Steigerung ihrer Produktivität und in der Reduktion von Kosten besonders häufig zentrale Herausforderungen. Die Chemie- und Pharmaunternehmen treten gleichzeitig die „Flucht nach vorn" an und setzen insbesondere auf Innovation, aber auch auf Expansion. Dabei blickt die Branche vorsichtig optimistisch in die Zukunft: Über die Hälfte der Unternehmen (58 %) rechnet mit substanziellem Wachstum in den nächsten fünf Jahren. 34 % wollen mittelfristig ihr aktuelles Niveau halten, lediglich 6 % erwarten rückläufige Umsätze. Die Zukunftsaussichten der Branche fallen damit vergleichsweise positiv aus (Grafik 2).
Unternehmen sehen die Potenziale digitaler Technologien
Es gibt erste Anzeichen für einen digitalen Wandel in der chemischen und pharmazeutischen Industrie, auch wenn sich die Branche derzeit vergleichsweise selten davon betroffen fühlt. 23 % der Chemie- und Pharmaunternehmen (Gesamtwirtschaft 33 %) berichtet, dass sich Schlüsseltechnologien im Umbruch befinden. Jedes sechste Unternehmen (15 %, Gesamtwirtschaft: 26 %) gibt an, dass bisherige Geschäftsmodelle durch die aktuelle digitale Entwicklung in Frage gestellt werden.
Neue digitale Technologien werden eher als zukünftiges Potenzial betrachtet. Die Unternehmen optimieren heute vor allem ihre administrativen Abläufe, z.B. durch flexiblere Arbeitsformen oder Online-Wartung und -Services. Neue Produktionsformen sowie die Vernetzung der Wertschöpfungskette (vom Lieferanten bis zum Kunden) befinden sich meist noch nicht in der Umsetzung, sind aber vielversprechend. Die Steigerung der Energieeffizienz ist für die energieintensive Branche ein weiteres wichtiges künftiges Anwendungsfeld für Digitalisierung. Disruptive Innovationen (neue Geschäftsmodelle und neue Produkte) sind grundsätzlich denkbar.
„Die Unternehmer sehen die Potenziale, die mitder Digitalisierung einhergehen, für viele sind sie aber noch Zukunftsmusik. In Deutschland wird eher evolutionär perfektioniert, als dass Unternehmen über Nacht ganz neue Geschäftsmodelle an den Start bringen. Genau genommen ist Digitalisierung hierzulande keine Revolution, sondern eine Evolution", kommentiert Markus Beumer, Mitglied des Vorstands der Commerzbank, die Ergebnisse der Studie.
Vorreiter ziehen heute schon großen Nutzen aus Digitalisierung
8 % der Chemie- und Pharmaunternehmen ziehen heute schon stärkeren Nutzen aus digitalen Trends; die Branche hat damit einen vergleichsweise geringen Anteil digitaler Vorreiter (Grafik 3). Diese setzen in fast allen Handlungsfeldern besonders häufig neue digitale Technologien ein, z.B. um ihre Wertschöpfungsketten zu vernetzen, um Produkte zu individualisieren oder um neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Digitale Innovatoren reagieren auf enge Märkte und neue Nischenanbieter durch ein klares Bekenntnis zu Innovation. Auf dieser Basis entwickeln sie überdurchschnittlich häufig eine klare Wachstumsstrategie.
Digitaler Fortschritt wird als entscheidender Wettbewerbsvorteil erkannt
Auf volkswirtschaftlicher Ebene sehen die Unternehmen die zunehmende Digitalisierung als große Chance für den Standort Deutschland (Grafik 4). Sie gehen mehrheitlich von positiven Beschäftigungseffekten aus. Gleichzeitig stellt die große Mehrheit der Befragten selbstkritisch fest, dass der Mittelstand den digitalen Wandel derzeit eher vernachlässigt und nicht hinreichend auf der Agenda hat. Es besteht daher die Gefahr, dass neue Wettbewerber den Markt machen. Immerhin ein Viertel der Unternehmen aus dem Bereich Chemie und Pharma muss sich heute schon gegen innovative Nischenanbieter behaupten, bei 17 % drängen branchenfremde Anbieter in den Markt.
In der Breite abwartender Umgang mit neuen digitalen Schlüsseltechnologien
Etablierten digitalen Technologien schreiben die Unternehmen der chemischen und pharmazeutischen Industrie eine durchaus hohe Bedeutung zu (Grafik 5). Sie sehen viele Chancen im Online-Marketing, im mobilen Internet, bei digitalen Dienstleistungen oder im E-Commerce. Die neuen und zukunftsweisenden Themen wie Industrie 4.0, Big Data oder Cloud-Computing halten sie dagegen deutlich seltener für relevant; man fühlt sich aber auch nicht davon bedroht. Insgesamt herrscht viel Unsicherheit bezüglich des digitalen Wandels. Besonders schwer einschätzbar sind Industrie 4.0, Internet der Dinge und Social Media. Neue Fertigungsverfahren wie 3D-Druck gelten am häufigsten als Chance, weil sie der Branche neue Absatzmärkte eröffnen können.
Digitalisierung erfordert Entscheidungen trotz hoher Unsicherheit
Komplexität ist für den gesamten Mittelstand die zentrale Barriere bei der Gestaltung des digitalen Wandels; in der chemischen und pharmazeutischen Industrie sind die Bedenken besonders groß. Die technische Entwicklung schreitet schnell voran, bringt viele Sicherheitsrisiken mit sich und erfordert hohe Investitionen bei wenig verlässlichen Standards.
„Bisweilen braucht es einen langen Atem bei der Umsetzung digitaler Projekte. Aber gerade darin ist der deutsche Mittelstand sehr gut. Wer in ein neues Geschäftsfeld oder gar Geschäftsmodell investiert, wird nicht immer gleich schon morgen Rendite erwirtschaften", sagt Beumer.
Der Vergleich mit digitalen Innovatoren zeigt, dass sich Komplexität in der digitalen Transformation nicht auflöst, sondern umgekehrt eher noch zunimmt. Es stellt offenbar keine Lösung dar, auf neue Standards zu warten. Digitalisierung bedeutet vielmehr Management von Komplexität! „ Und die Komplexität der Digitalisierung nicht ab, wenn man sich mit ihr beschäftigt. Aber die Gewissheit wächst, dass Projekte gelingen und neue Wachstumschancen entstehen", so Beumer.
Strategien des Mittelstands im digitalen Wandel
Viele Chemie- und Pharmaunternehmen beobachten zunächst die digitalen Entwicklungen in der eigenen Branche, bleiben im Dialog und reagieren ggf. ad hoc auf Kundenanforderungen und Trends. Die forschungsintensive Branche setzt im digitalen Wandel außerdem stark auf Wissensgenerierung: durch die Einstellung von technischen Spezialisten und durch die Kooperation mit Forschungseinrichtungen.
Digitale Innovatoren initiieren deutlich häufiger Pilotprojekte, schaffen kreative Freiräume und definieren Meilensteine. Dies zeigt, dass der digitale Wandel durch Wissen und Beobachtung allein nicht zu bewältigen ist: Es geht darum, frühzeitig eigene Erfahrungen zu machen, um digitale Potenziale prüfen und zum eigenen Vorteil nutzen zu können.
Digitaler Wandel stellt hohe Anforderungen an das Management
Die Anforderungen an das Management mittelständischer Unternehmen bei der digitalen Transformation sind hoch (Grafik 6) - entsprechen groß ist auch bei den Chemie- und Pharmaunternehmen der Respekt vor der Digitalisierung. Dabei geht es nicht nur um das Verständnis der technischen Entwicklungen, sondern um Komplexität und Beschleunigung: Es gilt, eine Fülle von Informationen zu filtern und gleichzeitig möglichst schnell zukunftsweisende Entscheidungen zu treffen. Die Notwendigkeit eines Blicks „über den Tellerrand" wird dabei unterschätzt: Digitale Innovatoren interessieren sich sehr viel häufiger für branchenfremde Entwicklungen und auch für die Lebenswelt von jungen Menschen und Trendsettern. (ag)
Mehr zum Einfluss der Digitalisierung auf das Management der mittelständischen Chemie- und Pharmaindustrie lesen Sie in der ausführlichen Branchenauswertung der 15. Unternehmerperspektiven-Studie „Management im Wandel - digitaler, effizienter, flexibler! exklusiv bei CHEManager "
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