Logistik & Supply Chain

Flexibilität in der Pharmalogistik - auch eine Frage der Wirtschaftlichkeit?

28.04.2015 -

Die Pharmaindustrie befindet sich derzeit in einer Situation, in der langjährig geschützte Patente auslaufen und deshalb Umsatzrückgänge einhergehend mit Verschlechterungen der Ertragslage zu erwarten sind. Da diese Patentlücken nicht immer durch Neuheiten aus eigenen Forschungs- und Entwicklungsabteilungen ersetzt werden können, ist am Markt zu beobachten, dass die Pharmaindustrie zum einen versucht, die auslaufenden Patente anschließend als Generika selbst herzustellen, um ein Medikament auf bekannten Vertriebswegen zu vermarkten. Zum anderen wird das Heil in Zukäufen und Fusionen gesucht, um Umsatzrückgänge zu stoppen und die Ertragslage zu verbessern.

Im Weiteren liegt der Fokus  auf einer Restrukturierung der Geschäftsprozesse und der Produktionsstandorte. Dadurch ergeben sich immer schnellere Veränderungen der Prozessabläufe, womit der Anspruch nach hoher Flexibilität einhergeht. Am Markt ist zu erkennen, dass die Folgen für die Produktionsstandorte nicht unerheblich sind, denn diese müssen kurzfristige Veränderungen des Produktportfolios direkt in den Wertschöpfungsprozessen umsetzen. Neue Produkte sind schnell in die Prozesslandkarten zu integrieren. Darüber hinaus treten bei internationalen Konzernen oft die einzelnen Standorte in einen internen Wettbewerb um neue Produkte ein, so dass neben Flexibilität auch Kosteneffizienz gefragt ist.

Die Nachfrage nach Logistikdienstleistungen für einen Pharmaproduktionsstandort bezieht sich insbesondere auf die Bereiche Wareneingang mit pharmazeutischen Sonderabwicklungen, Lagerung und Bemusterung sowie Fertigwarenversand mit Übernahme von Dispositionsaufgaben. Somit sind die in die Inbound- und Outbound-Prozesse eingebundenen Logistikdienstleister mit besonderen Herausforderungen konfrontiert. Unweigerlich kollidiert die bislang verbreitete Forderung nach eingespielten, erprobten und hoch-standardisierten Prozessabläufen mit den neuen Anforderungen nach großer Flexibilität im Umgang mit kurzfristigen Variationen des Produktportfolios, einer hohen Artikelvielfalt und ausgeprägten marktbedingten Mengenschwankungen.

Denn der in den etwa letzten zwei Jahren dominante Fokus auf Transport und Distribution der Arzneimittel unter GDP-Bedingungen hat dazu geführt, dass die Logistikdienstleister entsprechende Investitionen in Assets (z.B. Fahrzeuge oder Distributionszentren) getätigt haben. Mit zertifizierten Pharmatrailern haben etwa die Fahrzeughersteller auf diese geänderte Nachfrage reagiert. Die Logistikdienstleister erfüllen somit nach und nach die Anforderung der Pharmaindustrie und erhalten hierfür auch eine entsprechende Vergütung, der in der Regel eine spezielle Qualitätsvereinbarung zugrunde liegt.

Balance zwischen Kapitalbindung und Flexibilität

Nun gilt es, eine neue Balance zwischen jüngst getätigten Investitionen und der damit einhergehenden Kapitalbindung einerseits sowie der Forderung nach hoher Flexibilität andererseits zu finden. Wenn man Flexibilität nicht durch den Einsatz von Subunternehmern erreichen will, die oftmals weder über geeignetes Equipment noch über qualifiziertes Personal verfügen, verbleiben für die Pharmalogistiker folgende Stellhebel:

- Personalressourcen

- Technisches Equipment

- Information and communication technology - ICT

- Transportleistungen

- Vertragliche Regelungen

Personalressourcen

Ein Logistikdienstleister ist gefordert, eine permanente und gezielte Personalentwicklung zu betreiben, um dadurch ein hohes Fachwissen mit pharmaspezifischen Inhalten bei den Mitarbeitenden sicherzustellen. Dies beginnt bereits in der Berufsausbildung. Während der Ausbildung zur Fachkraft für Lagerlogistik bis hin zum betriebswirtschaftlichen Studium gibt es vereinzelt Schwerpunkte, die für die Pharmalogistik das notwendige Branchen Know-how bündeln. Allerdings sehen übliche Aus- und Weiterbildungspfade in der Logistik keinen solch spezifischen Branchenbezug vor, so dass auch kleine und mittlere Logistikdienstleister „learning on the job" initiieren müssen. Nur die geforderten Fähigkeiten und Kenntnisse der Mitarbeitenden stellen sicher, dass das eingeführte Qualitätssystem, die mit dem Kunden vereinbarten Standard Operations Procedures (SOP) sowie die spezifischen Service-Level Agreements (SLA) eingehalten werden.

Flexibilität setzt in der Regel variable Arbeitszeitmodelle in Arbeitsverträgen voraus. Die Entlohnung von Logistikmitarbeitern orientiert sich jedoch nach wie vor am Tarifvertrag der Logistikbranche unter entsprechender Berücksichtigung des Fachwissens. Ein Logistikdienstleister muss demnach für seine Pharmakunden dauerhaft geeignetes Personal vorhalten, obwohl Auftragsschwankungen eigentlich eine „atmende Belegschaft" - beispielsweise gestützt auf Zeitarbeitskräfte - erfordern würden. Hier stehen variable Arbeitszeitmodelle mit den spezifischen Fachanforderungen der Pharmakunden in einem gewissen Spannungsfeld.

Technisches Equipment

Vor allem kurzfristige Umstellungen an den Produktionsstandorten führen zu einer flexiblen Nachfrage nach geeigneten Lagerkapazitäten. Die Qualitätsanforderungen an Klimatisierung, Luftfeuchtigkeit und Sicherheit erfordern ein teilweise erhebliches Investitionsvolumen für den Logistikdienstleister. Oftmals werden spezielle Kühllager oder sogar Betäubungsmittellager mit einer variablen Belegung, ohne Auslastungsgarantie, verlangt. Hier kann sehr schnell eine Herausforderung für den Logistikdienstleister entstehen: gewünschte Flexibilität der Pharmaindustrie versus Investitionssicherheit.

Seit den 90er Jahren betreibt die Barth Logistikgruppe verschiedene pharmazeutische Logistikzentren. Das im Jahr 2008 in Betrieb genommene Pharmalogistikzentrum in Freiburg/Umkirch mit einer Kapazität von 12.000 Paletten wird in 2015 um weitere 6.000 Palettenstellplätze sowie ein BTM-Lager und zusätzliche Kühllagerbereiche für Lagerungen von 4-8 C° erweitert. Damit entsteht ein Geschäftsmodell, das sich an einer pharmazeutischen Multi-User-Anlage orientiert. Mehrere Pharmakunden mit unterschiedlichen Mengenanforderungen werden hier zusammen bewirtschaftet. Es wird ein Lagerbereich (Korridor) geschaffen, der variabel und kurzzeitig von den Kunden genutzt werden kann. Auf Basis einer wöchentlichen Abstimmung mit den Pharmakunden sind die notwendige Mitarbeiter- und Platzkapazität entsprechend zu planen. Insbesondere die hohe Nachfrage nach solch flexiblen Lagerkapazitäten sowie nach der Lagerqualität eines BTM-Lagers, hat die Entscheidung zur Schaffung dieser Kapazität für den Markt zwischen Süd- und Nordbaden und angrenzender Schweiz begründet.

Information and communication technology - ICT

Flexibilität in der ICT bedeutet, auf geänderte Lagermengen und Prozessabläufe kurzfristig in der Planung und Steuerung der Logistikprozesse reagieren zu können. Es gilt, beispielsweise die Lagerplatzzuordnung, die Verpackungsschemen oder die Regaleinteilung anzupassen. Die kurzfristige Verfügbarkeit von ICT-Spezialisten garantiert beim Logistikdienstleister eine schnelle Bedienung seiner Kunden.

Im Bereich der ICT-Systeme sind eine klare Schnittstellendefinition sowie den Aufbau einer Datenkommunikation sicherzustellen, damit in einem permanenten Update sowohl der Logistikdienstleister als auch der Pharmakunde über die einzelnen Prozessschritte Sicherheit und Überprüfbarkeit erhält. Dies muss einen Schwerpunkt beim Aufbau der Zusammenarbeit - nicht zuletzt mit Blick auf die Qualitätssicherung - bilden.

Transportleistungen

Der Werksverkehr ist für einen pharmazeutischen Produktionsstandort in Kombination mit einem vor- bzw. nachgelagerten externen Pharmalager ebenfalls von entscheidender Bedeutung im Hinblick auf flexible Kapazitäten und Einsatzzeiten. Leistungsfähige Transporte können Produktionsschwankungen, die durch Anstieg der Umrüstprozesse oder Produktionszeiten entstehen, abfedern. Die Transportpläne werden kurzfristig miteinander abgestimmt. Mit der Bereitstellung von Pharma-zertifiziertem Fahrzeugequipment kann der Dienstleister diese Flexibilität mit der Einrichtung eines Traileryards erreichen, der als Puffer vor und nach den Lagerprozessen dient.

Vertragliche Regelungen

Die geforderte Flexibilität muss sich in den Verträgen derart widerspiegeln, dass sich sowohl Auftraggeber als auch Pharmalogistikdienstleister darin wiederfinden, ohne zu große einseitige Abhängigkeiten entstehen zu lassen. Neben den klassischen Vertragsbestandteilen wie Laufzeit, Haftung und Preise sollten die Regeln für die Veränderung der bestellten Kapazitäten und Prozesse im Vertrag festgelegt sein. Geeignet sind Optionen, die der Pharmakunde mit entsprechend zeitlich definiertem Vorlauf bestellen kann, ohne dass das gesamte Vertragswerk jeweils gekündigt werden muss. Selbstverständlich sind flexible Lagerkapazitäten, Personalressourcen und Transportbedarfe mit einer Absicherung über eine längere Vertragslaufzeit, etwa 3-5 Jahre, und einer entsprechenden Preisvereinbarung mit geregelten Anpassungsindikationen vertraglich zu definieren.

Die sich im Change-Prozess befindliche Pharmaindustrie schafft neue Möglichkeiten für den auf Pharmalogistikdienstleistungen spezialisierten Logistiker. Das Spannungsfeld zwischen geforderter Flexibilität einerseits und geeigneter Absicherung der notwendigen Investitionen sowie der entwickelten Personalressourcen andererseits lässt sich lösen, sofern für beide Seiten die Flexibilitätsregeln im Vorfeld klar definiert sind. Es ist und bleibt eine spannende und herausfordernde Aufgabe, die von Logistikdienstleistern nur mit großem Branchen-Know-how bewerkstelligt werden kann.

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