Reaktive Trennverfahren in der Bioraffinerie
Isolierung niederer Fettsäuren durch Reaktivdestillation
Im Central Lab „Biobased Products" des NAWI Graz wird unter anderem an reaktiven Trennkonzepten zur stofflichen Verwertung von Rest- und Abfallströmen geforscht.
Der Vision einer biobasierten Zukunft folgend ist derzeit ein gesellschaftlicher Wandel in Richtung Nachhaltigkeit zu verzeichnen. Vorrangiges Ziel ist es, biogenen Kohlenstoff stofflich zu nutzen. In Summe wird eine effiziente, möglichst vollständige Verwertung von Biomasse verschiedenster Art angestrebt. Die Schwachstelle vieler biobasierter Prozesse liegt momentan noch in deren mangelnder Wettbewerbsfähigkeit. Diese ist unter anderem auf ein oft aufwändiges Downstreamprocessing wässriger Multikomponentenlösungen zurückzuführen. Um dem Ziel nach einer nachhaltigen, biobasierten Industrie gerecht zu werden, sollte neben der Identifizierung neuer Einsatzmaterialien und der Optimierung bestehender Produktionsprozesse das Augenmerk zukünftig vermehrt auch auf die stoffliche Verwertung von Rest- und Abfallströmen mit Hilfe eines effizienten Downstreamprocessings gelegt werden.
In Bioraffinerien fallen wertvolle Bulkchemikalien selten in einfach trennbaren Mischungen mit geeigneter Zusammensetzung an. Oft liegen Wertstoffe in wässrigen Lösungen, die als Abwässer betrachtet werden, vor und werden aufgrund ihrer niedrigen Wertstoffkonzentration und der vermeintlich komplexen Trennaufgabe keiner stofflichen Verwertung zugeführt.
Verwertung von Restströmen
Die als Black Liquor bezeichnete Ablauge aus dem Papier- und Zellstoffprozess ist ein repräsentatives Beispiel dafür. Sie enthält im Wesentlichen Lignin, Anteile von Hemicellulosen sowie verschiedenste Abbauprodukte. Zu Letzteren gehören unter anderem die niederen Fettsäuren Ameisensäure und Essigsäure, die interessante Produkte und Ausgangsstoffe für die chemische Industrie darstellen. Derzeit wird die Schwarzlauge in der Regel jedoch nicht stofflich verwertet, sondern lediglich zur Deckung des Energiebedarfs in den Zellstoffwerken verbrannt. Die Isolierung und/oder stoffliche Verwertung dieser beiden Fettsäuren eröffnet den Zugang zu einer weiteren ergiebigen und vor allem nachhaltigen Rohstoffquelle.
Warum eine großtechnische Isolierung von Essigsäure und Ameisensäure aus den Kondensaten der Ablaugeeindampfung zurzeit noch nicht realisiert wird, ist nicht verwunderlich; stellt das ternäre System Essigsäure-Ameisensäure-Wasser doch ein eindrucksvolles Beispiel für Stoffgemische dar, die mit konventionellen Trennverfahren nahezu untrennbar sind. Das System weist nicht nur ein binäres Hochsiedeazeotrop zwischen Ameisensäure und Wasser, sondern auch ein ternäres Sattelpunktazeotrop auf. Die Auftrennung von azeotropen Mischungen in ihre Reinstoffe ist nur unter erheblichem (energetischem) Aufwand möglich. Eine einfache destillative Trennung ist nicht möglich, da Dampf und Flüssigkeit im azeotropen Punkt dieselbe Zusammensetzung haben.
Reaktive Trennverfahren, bei denen konventionelle Trennoperationen mit chemischen Reaktionen überlagert werden, bieten Zugang zu einer Vielzahl an vielversprechenden Prozesskonzepten, die effektive Produktisolierung aus komplexen Mischungen mit thermodynamischen Limitierungen, wie Azeotropen, ermöglichen. Durch die chemische Reaktion können Stoffeigenschaften gezielt verändert und dadurch die Voraussetzungen für die Auftrennung von komplexen Gemischen geschaffen werden. Durch die Integration von chemischer Reaktion und Stofftrennung in einem Apparat können Synergien genutzt und Energiekosten gesenkt werden.
Das ternäre System
Die Kombination von chemischer Reaktion und Destillation (Reaktivdestillation) eröffnet neue Perspektiven zur Auftrennung von wässrigen Fettsäuregemischen und damit der Nutzbarmachung und Verwertung von Abwässern biobasierter Prozesse. Dies wird exemplarisch anhand der Trennung des ternären Stoffgemisches Essigsäure-Ameisensäure-Wasser erläutert.
Durch Zusatz eines kurzkettigen Alkohols, wie beispielweise Methanol, zum wässrigen Fettsäuregemisch werden die beiden hochsiedenden Säuren Essigsäure und Ameisensäure in ihre leicht flüchtigen Methylester (Methylacetat und Methylformiat) überführt und so aus der wässrigen Einsatzlösung über das Destillat abgetrennt. Mit Hilfe der Veresterungsreaktion werden die Stoffeigenschaften so modifiziert, dass eine destillative Auftrennung möglich wird. Die im Vergleich zum wässrigen Fettsäuregemisch deutlich niedrigeren Siedetemperaturen von Methanol und den Estern Methylacetat und Methylformiat erlauben es weiters, auf einem deutlich reduzierten Temperaturniveau zu arbeiten. Beide Veresterungsreaktionen sind schwach exotherme Reaktionen. Durch die Kombination von Reaktion und Destillation in einem Apparat kann die Reaktionswärme in situ zur Stofftrennung und zur Verringerung der Heizleistung genutzt werden.
Die Methylester werden als Tiefsieder des Systems mit einem Teil des im Überschuss eingesetzten Methanols im Destillat abgetrennt. Durch die ständige Entfernung der gebildeten Methylester wird das Gleichgewicht der Veresterungsreaktionen beeinflusst und in Richtung vollständigen Säureumsatzes verschoben.
Auffallend ist, dass kein Wasser im Destillat gefunden wird, obwohl das System Methylacetat-Wasser ein binäres Tiefsiedeazeotrop aufweist. Dies führt zur Annahme, dass Methylformiat in Kombination mit Methanol als Schleppmittel für Methylacetat wirkt, um das Azeotrop zu brechen.
Die Veresterung kann katalytisch beschleunigt werden, läuft bei Anwesenheit von Ameisensäure im Gemisch aber auch ohne Zugabe starker Mineralsäuren mit ausreichender Geschwindigkeit ab. Das Vorliegen von Ameisensäure wirkt sich katalytisch auf die Veresterung schwächerer Fettsäuren, wie der Essigsäure, aus. Dies unterstreicht die positive Rolle von Ameisensäure in diesem Prozess. Die Möglichkeit der Umsetzung ohne zusätzlichen Katalysator stellt einen weiteren wesentlichen Vorteil des Verfahrens dar, reduzieren sich doch die Kosten und es entfällt eine möglicherweise aufwändige Katalysatorhandhabung.
Das Destillat, das sich aus den beiden Methylestern und überschüssigem Methanol zusammensetzt, kann in darauffolgenden Trennschritten in seine Reinstoffe zerlegt werden. Dafür bietet sich folgende Vorgehensweise bestehend aus dem Membrantrennverfahren Pervaporation und einer nachgeschalteten Rektifikation an: Im ersten Schritt wird unter Verwendung von Membranen mit hydrophilen Oberflächeneigenschaften das überschüssige Methanol pervaporativ abgetrennt und in den Prozess rückgeführt. Methylformiat und Methylacetat werden im Retentat zurückgehalten und können danach destillativ voneinander getrennt werden. Dies erfolgt in einer einfachen Destillation, da die Methylester eine hohe relative Flüchtigkeit aufweisen.
Methylformiat und Methylacetat können entweder direkt in Form der Ester zum Einsatz kommen oder werden im Anschluss wieder zu den freien Fettsäuren hydrolysiert. Im Falle der Esterhydrolyse wird das freigesetzte Methanol wieder zur Reaktivdestillation rückgeführt. Sowohl die Methylester als auch die Fettsäuren stellen wichtige Bulkchemikalien mit breitem Anwendungsspektrum dar.
Mit dem skizzierten Prozess können wässrige Abfall- und Nebenströme, die niedere Fettsäuren auch in geringen Konzentrationen enthalten, einer stofflichen Verwertung zugänglich gemacht werden. Das Verfahren zeichnet sich durch hohe Effektivität und Effizienz aus und vereint neben der stofflichen Nutzung von Abfall- und Nebenströmen die Intensivierung von aufwändigen Prozessen und zeigt erhebliches Potential zur Energieeinsparung. Es erschließt sich eine neue, nachhaltige Rohstoffquelle. Die Isolierung von Wertstoffen aus wässrigen Abfall- und Nebenströmen biobasierter Prozesse kann in Zukunft wesentlich zur Wertschöpfungskette beitragen und hat großes Potential deren Wettbewerbsfähigkeit nachhaltig zu erhöhen. In Hinblick auf zukünftiges Ressourcenmanagement und dringend notwendige Energieeinsparungen in allen Industriezweigen kommt prozessintensivierenden Technologien wie reaktiven Trennverfahren eine tragende Rolle zu.
Im Central Lab „Biobased Products" des NAWI Graz wird unter anderem an reaktiven Trennkonzepten geforscht. Der Forschungsschwerpunkt liegt auf der Entwicklung neuer Technologien, mit denen biologische Rohstoffe vollständig für die Herstellung und Isolierung von Naturstoffen, Wirkstoffen und Grundchemikalien genutzt werden können.
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