Kunststoffe sind omnipräsent
Nicht nur bei der Fußball-WM können Kunststoffe die Bandbreite ihrer Eigenschaften und Vorteile zeigen
Die Fußball-WM in Brasilien läuft. An der Veranstaltung sind mehr Kunststoffe beteiligt als man denkt, denn Kunststoff steckt nicht nur in Fußbällen, sondern auch in vielen anderen Anwendungen auf und rund um das Spielfeld. CHEManager sprach mit Dr. Rüdiger Baunemann, Hauptgeschäftsführer des Branchenverbands PlasticsEurope Deutschland (ehemals Verband der Kunststoff erzeugenden Industrie, VKE), über die vielfältigen Einsatzbereiche von Polymeren im Sport und die Öffentlichkeitswirkung von Sportgroßereignissen.
CHEManager: Sport und Freizeit ohne Kunststoff, das ist kaum vorstellbar. Wo sehen Sie die besonderen Stärken des Werkstoffs im Sportbereich?
R. Baunemann: Kunststoff ist heute im Sport fast omnipräsent - sei es bei der Bekleidung, den Geräten oder den Sportstätten. Der große Vorteil des Werkstoffs ist sicherlich, dass er vielfältige und teils widersprüchliche Anforderungen gleichermaßen erfüllt. Ein Beispiel: Beim Stabhochsprung muss der Stab besonders biegsam und leicht sein, andererseits aber auch sehr stabil und belastbar. Das geht nur mit Kunststoff. Verbundstoffe bieten passgenaue Lösungen für echte Höhenflüge. Auch Sportschuhe, egal ob für den Olympiastarter oder den Freizeitläufer, müssen jeweils spezifischen Erwartungen entsprechen. Die Schuhe müssen etwa Erschütterungen dämpfen, leicht, elastisch und vielleicht sogar noch wasserdicht sein und beim Hobbyathleten gleichzeitig auch noch „trendy" aussehen. Leichtathletik, Ski, Kanus, Segelboote oder Formel-1-Boliden - Kunststoffe haben den Sport revolutioniert. Jüngstes Beispiel ist der aktuelle WM-Spielball. Viele dachten, hier sei nicht mehr viel Innovation zu erwarten - und sehen nun einen Ball, der dank Kunststoff und nur noch sechs miteinander verklebter Panels der rundeste Ball der Fußballhistorie ist.
Wie bedeutend ist dieses Marktsegment für die Mitgliedsunternehmen von PlasticsEurope? Und strahlen positive Eigenschaften von Kunststoff im Sport auf andere Bereiche ab?
R. Baunemann: Größtes Anwendungssegment für Kunststoff ist mit fast 35 % der insgesamt verarbeiteten Menge der Verpackungssektor, gefolgt vom Bau mit etwa 23 %. Die Zahlen von PlasticsEurope zeigen, dass lediglich vier bis fünf Prozent der Kunststoffe in den Sport fließen. Der Sportbereich ist aber, gemeinsam mit der Medizintechnik, sicher das Anwendungsgebiet mit der höchsten Akzeptanz. Das wissen wir, und im Rahmen unserer Sponsoringinitiative „Team Kunststoff" nutzen wir dies seit vielen Jahren. Die Kombination aus Mensch und Material lässt sich interessant, spannend und positiv vermitteln. Dies hilft, die vielfältigen Vorteile von Kunststoffen auch in anderen Anwendungen zu kommunizieren, sei es in Verpackungen, im Baubereich, beim Automobilbau oder in der Elektro- und Elektronikbranche.
Schon immer war es auch und gerade der Hochleistungssport, der Technologie- und Materialentwicklungen im Kunststoffbereich herausforderte. Nachdem sich neue Technologien dann im Profibereich bewährt hatten, hielten sie Einzug bei Amateuren und im Alltag. Denken Sie an Radsporttrikots, denken Sie an Sportschuhe, oder denken Sie eben auch an den WM-Ball: Seit 1986 kicken die Profis mit Kunststoffkugeln, und seit geraumer Zeit spielen auch viele Schulkinder längst mit einem Kunststoffball - auch wenn viele - vom Bub bis zum Sportreporter - immer noch glauben, ihr Ball sei aus Leder, was mich immer wieder schmunzeln lässt. Denken Sie auch an ganz andere Anwendungen: Unsere Kanuten etwa schätzen den Leichtbau mit Hilfe von Carbonfasern schon seit der Jahrtausendwende - und die ersten Serien-PKW, die auf einer ganz ähnlichen Technologie basieren, rollen derzeit vom Band. Auch hier hat der Sport wichtige Anstöße geliefert.
Sowohl beim Stadionbau als auch bei der Durchführung der WM ermöglicht Kunststoff mehr Nachhaltigkeit. Denken Sie, dass die hier ausgearbeiteten Prinzipien und Maßnahmen auch weltweit dem Kunststoffimage zugute kommen?
R. Baunemann: Das wäre schön, aber das ist zu einfach gedacht. Eine Fußball-WM ist sicherlich ein ganz besonderes Ereignis, auf das buchstäblich die ganze Welt blickt. Zunehmend werden solche Großveranstaltungen auch genutzt, um die Idee der Nachhaltigkeit zu promovieren. Das finde ich sehr positiv, und die Voraussetzungen dafür sind, auch dank Kunststoff, geschaffen. Das fängt bei der Mobilität der Fans und der Stars an. Brasilien wird die WM der großen Entfernungen. Kunststoffe helfen, moderne Verkehrsmittel leichter, schneller und effizienter zu machen. Ein effizientes Abfallmanagement an den Spielorten reduziert das Müllaufkommen.
Die Zuschauer sitzen in den modernen Stadien bei Regen im Trockenen, ohne dass dem Naturrasen in den Arenen das UV-Licht fehlt und er mit großem Ressourcenaufwand künstlich beleuchtet werden müsste. Im Estádio Maracanã in Rio de Janeiro z.B. sorgt ein Kunststoff-Drainage-System dafür, dass auf dem Dach gesammeltes Regenwasser für die sanitären Anlagen genutzt werden kann. So wird wertvolles Trinkwasser gespart. Auf dem Arenadach montierte Photovoltaikzellen wandeln Sonnenlicht in elektrische Energie um.
Aber all das wird am Ende wohl nicht den Kunststoffen auf die Habenseite gebucht. Das ist leider so, und das ist kurzfristig leider auch nicht zu ändern. Hier sind wir alle gefordert. Wir müssen den Menschen wieder und wieder erklären, worin die Leistung der Kunststoffe besteht.
Besonderes Augenmerk wird auf das Thema Recycling gelegt. Ein ernsthafter Beitrag zur Nachhaltigkeit oder eine Marketingmaßnahme?
R. Baunemann: Vielleicht beides. Trikots aus verwerteten PET-Flaschen sind kein ganz neuer Trend. Schon bei vorangegangenen Fußballturnieren gab es Mannschaften, die mit Trikots aus solchem Material gespielt haben. Die Trikots sind ein eindrucksvoller Beleg dafür, dass Kunststoffrecycling auf höchstem Niveau möglich ist und mehr liefert als Blumentöpfe und Parkbänke. Indem über solche Aspekte bei einem Großereignis berichtet wird, wird natürlich auch Werbung für die heutigen Möglichkeiten des Kunststoffrecyclings gemacht. Großereignisse wie eine Fußball-WM oder Olympische Spiele haben eine hohe Öffentlichkeitswirkung, die viele nutzen wollen. Das sollten wir auch tun.