Management von Forschung und Entwicklung – Grundprinzipien und „Best Practices“
Innovation benötigt Freiräume, will aber aktiv „gemanagt“ werden
Kontinuierliche Innovation ist für alle Unternehmen der chemisch-pharmazeutischen Industrie nicht bloß ein Schlagwort, sie ist - dies belegen zahlreiche Beispiele aus der Vergangenheit - der entscheidende Schlüssel für den zukünftigen unternehmerischen Erfolg. Nun wird der Begriff Innovation zwar gemeinhin und durchaus berechtigterweise mit Kreativität verbunden und für ihr Gelingen sind - gerade in ihrer frühen (explorativen) Phase - Freiräume unabdingbar. Diese alleine sind zwar notwendig, aber nicht hinreichend. Denn Innovation endet nicht bloß bei der puren Erfindung, der Invention, sondern umfasst auch die erfolgreiche Einführung auf dem Markt.
Innovation beansprucht knappe Ressourcen des Unternehmens, birgt Risiken und schafft zukünftige Potentiale. Innovation will also aktiv „gemanagt" werden. So sind eine stringente Planung, Organisation und Kontrolle aller unter dem Begriff Innovation zusammengefassten Aktivitäten und Projekte unabdingbar für ihren unternehmerischen Erfolg.
Innovationsmanagement im erweiterten Sinne des Begriffes Innovation („Von der Idee bis zum Produkt") beschränkt sich nicht bloß auf das Management von Forschung und Entwicklung (F&E), sondern umfasst auch die Bereiche Technologiebeschaffung (bis hin zu Allianzen und Akquisitionen) und Markteinführung und hat zudem auch Aspekte wie etwa ihre innnerbetriebliche Organisation (etwa: „zentral oder dezentral") oder die Schaffung einer „Innovationskultur" zum Gegenstand.
Grundprinzipien des FuE Managements in zwei Dimensionen: Operativ und strategisch
Der traditionelle Kernbereich des Innovationsmanagements für forschende Unternehmen der chemisch-pharmazeutischen Industrie ist das Management von Forschung und Entwicklung. Dieses sollte zwei Dimensionen gleichermaßen adressieren: die operative (vornehmlich: „Projektmanagement") und die strategische (vornehmlich: „Portfoliomanagement").
Projektmanagement wird in der chemischen Industrie zur Projektabwicklung seit Jahren mit Erfolg eingesetzt. Projektmanagementsysteme wurden dann zu Stage-Gate-Prozesse weiterentwickelt und verfeinert. Stage-Gate-Prozesse zeichnen sich insbesondere durch die konsequente Handhabung der Projekt-Meilensteine aus. Diesen Meilensteilen - als Checkpunkten nach Abschluss jeder Projektphase - wird in der Philosophie des Stage-Gate-Prozesses eine zentrale Rolle als Steuerungselement zum Risiko-Management von Projekten nicht bloß formell zuerkannt, sondern diese Rolle wird auch wirklich in der Organisation gelebt. Dies bedeutet vor allem, dass man die Bereitschaft zeigt, ein offenkundig zum Scheitern verurteiltes Projekt vorzeitig einzustellen. Eine weitere zentrale Funktion dieser Stage-Gate-Prozesse ist die erfolgreiche Etablierung von stringenten Bewertungssystemen zur Beurteilung des Projektfortschritts.
Zentraler Ansatzpunkt für das strategische F&E-Management hingegen ist vor allem das aktive F&E-Portfoliomanagements. Zum einen verfolgt dieses das Ziel der Maximierung des ökonomischen Wertes des gesamten Portfolios aller Forschungsprojekte. Zum anderen wird das Ziel verfolgt, ein ausbalanciertes" Projektportfolio zu erhalten, wobei „Balance" in verschiedenen Dimensionen angestrebt werden kann, z.B. hinsichtlich einer ausgewogenen Mischung von langfristigen und kurzfristigen Projekten, riskanten oder weniger riskanten Projekten oder einer angemessenen Verteilung der Projekte auf verschiedene Produktkategorien oder Märkte.
Mängel klar erkennbar
Bei einem Mangel an operativem und strategischem F&E-Management krankt die Pipeline. Diese Krankheit manifestiert sich in der Regel an folgenden Symptomen: Zu viele Projekte werden - oft ohne klaren Fokus - gestartet und man ist zögerlich, diese dann zu beenden. Die Projekte ringen dann miteinander um die knappen personellen und finanziellen Ressourcen, was sich letztendlich in hohen Fehlerraten sowie langen Entwicklungszeiten äußert. Speziell das Fehlen klarer Selektionskriterien für die Projektauswahl - sowie von Entscheidungskriterien für Projektfortführung oder -abbruch haben fatale Folgen: Falsche (oder eine Vielzahl mittelmäßiger) Projekte werden initiiert und dann durch die Pipeline durchgeschleppt. Fehlt es dann noch an der Ausarbeitung einer fokussierten Forschungsstrategie als Grundlage der Projektauswahl, so vollzieht sich die Produktentwicklung zerfleddert und abgekoppelt von der Geschäftsstrategie; sie ist dann nicht in der Lage, ihren Beitrag zur Unternehmensentwicklung zu leisten.
Zu befolgende Grundregeln
Durch die Befolgung einiger weniger „Best Practices" können derartige Missstände vermeiden werden. In der Folge seien exemplarisch einige in der Praxis bewährte Grundsätze des Innovationsmanagements für ausgewählte Handlungsfelder, angefangen von „Entwicklung der F&E Strategie" bis hin zu „Human Resources", aufgeführt:
- Entwicklung der F&E-Strategie
Es existiert eine klar definierte und klar kommunizierte Unternehmens- bzw. Geschäftsbereichs-Strategie. Die F&E-Strategie leitet sich dann aus der Unternehms- bzw. Geschäftsbereichsstrategie ab. Das Management bzw. die Geschäftsleitung wirkt bei der Formulierung der F&E-Strategie mit und umgekehrt nimmt der Leiter des Bereichs F&E an der Formulierung und Modifikation der Unternehmensstrategie teil.
- Beobachtung & Open Innovation
Wettbewerber, Märkte, gesellschaftliche Trends und Technologien werden
systematisch beobachtet und bewertet. Dies erfolgt unter Heranziehung einer Vielzahl von Quellen (Kunden, Lieferanten, Forschungsinstitute...) und organisatorischen Ansätzen (Beteiligungen in Start-ups, Kooperation mit anderen Unternehmen über die Wertschöpfungskette, Öffentlich geförderte Projekte usw.). Hierbei sind dezidierte Kräfte in F&E damit beauftragt, relevante Technologien zu identifizieren und zu monitoren. Wissen wird intern über die Hierarchieebenen hinweg (upstream & downstream) geteilt und verbreitet.
- Technologiebeschaffung/-verwertung
Die zunehmende Bedeutung der externen Beschaffung von Technologien wird angemessen anerkannt hinreichend berücksichtigt - „not invented here" ist (im übertragenen Sinne) kein Fremdwort. Es existiert ein strategischer Plan, der klare Aussagen darüber trifft, welche Technologien eingekauft, selbst entwickelt oder verkauft werden sollen. Innovationen, die keinen Bezug zum strategischen Fokus haben, sind offensiv zu vermarkten und zu verkaufen.
- Projektauswahl
Zur Projektauswahl, Projektbewertung und Balancierung der F&E-Portfolios werden
analytische Werkzeuge wie F&E-Portfoliobewertung und NPV-Berechnungen in überschaubarer Anzahl genutzt ... aber noch höher wiegt das Vertrauen in das „Professional Judgement". Projektauswahl, Projektbewertung und Balancierung werden unter Einbeziehung anderer Funktionen (Marketing, Vertrieb, Produktion) vorgenommen. Die Ressourcenallokation basiert auf dem Ausbalancieren von Attraktivität/Risiko oder Kosten/Nutzen unter Berücksichtigung der strategischen Ziele.
- Projektmanagement
Projekte werden periodisch einem Review unterzogen und hieraus korrigierende
Maßnahmen in Form von Priorisierung und Selektion abgeleitet. Gemeinsam vereinbarte Projektziele führen zu einem gemeinsamen Verständnis vom Projektrisiko. Dies führt zu einer gemeinsam getragenen Verantwortung für das Projekt und befreit so von der Angst vor Fehlschlägen. Der Projektfortschritt ist durch Meilensteine „getrieben". Es existiert ein disziplinierter Prozess für die Einstellung von Projekten. Für verschiedene Projekttypen werden unterschiedliche, (angepasste) Management-Prozeduren verwendet, um zu vermeiden, dass mit großen Projekt-Management-Kanonen auf kleine Projekt-Spatzen geschossen wird.
- Messung der Effektivität von F&E
Zur Messung der Effektivität von F&E wird eine überschaubare Zahl an einfachen output-bezogenen Indikatoren verwendet - trotz aller Fragwürdigkeit dieser Kennzahlen). Solche primären Messkriterien für die Effektivität von F&E erfassen vornehmlich den Technologietransfer (im Sinne von „Umsetzung von Wissen in Geschäft"). Einfache Kenngrößen wie etwa „Umsatzerlöse mit neuen Produkten pro Ausgaben für F&E" oder „Umsatzanteil der neuen Produkte, die innerhalb der letzten fünf Jahre eingeführt wurden" werden genutzt.
- Struktur der F&E Organisation
Die Struktur sollte so flexibel gewählt sein, das Entrepreneurship und Initiative nicht unterdrückt werden. Grundlagenforschung profitiert hierbei in der Regel eher von Strukturen, die kritische Masse gewährleisten. Ist der angestrebte Innovationsgrad der Forschung hoch und der Zeithorizont somit eher langfristig, so empfiehlt sich eine zentrale, von den Geschäftsbereichen unabhängige, Kontrolle und Ressourcenausstattung („Schutzzaun"). Inkrementelle F&E profitiert hingegen von dezentralen Strukturen und Marktnähe.
- Human Resources
Die Rekrutierung des wissenschaftlichen Nachwuchses bedient sich eines breiten Spektrums an Universitäten (Vermeidung von „Inzest"). Ein maßgebliches Kriterium
zur Bewertung eines Managers in F&E ist sein Erfolg bei der Rekrutierung & Entwicklung seiner Mitarbeiter. Mitarbeiter „rotieren" auch in F&E „hinein" - nicht nur aus F&E „heraus". Es existiert ein Anreiz-System für unternehmerisches Handeln, welches eine individuelle und eine Team-Komponente hat.
Eine Warnung zum Schluss: Best Practices nicht unreflektiert übernehmen
Innovation ist nicht gleich Innovation. Die Suche nach Gesetzmäßigkeiten (etwa niedergeschrieben in Form von „Best Practices") für erfolgreiche Innovationen hat nur begrenzten Erfolg. Jede Innovation verläuft anders, sonst ist sie keine.
Gerade das Management von F&E ist von meist inhärenten Zielkonflikten geprägt (etwa: Schnelligkeit versus Risiko). Methoden & Prozesse (Tools) können diese Zielkonflikte nicht auflösen, sie jedoch transparenter machen. Der Einsatz solcher „Tools" kann und sollte jedoch dazu führen, dass alle am Innovationsprozess Beteiligten eine gemeinsame Sprache sprechen. Es geht hierbei weder um die Erringung des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften noch um die Auszeichnung für den besten Artikel im Harvard Business Review. So lautet denn auch der Ratschlag hinsichtlich der Implementierung: Zunächst sollte unter Einbeziehung aller „Betroffenen" die Konzeptionierung der „Tools" für das F&E-Management erfolgen. Dann sollten diese in einer Pilotphase auf ihre Praxistauglichkeit geprüft werden. Nach der Implementierung sollte man die Methoden und Prozesse nur dann ändern, wenn signifikante Gründe dafür sprechen.