Wertschöpfungskette unter der Lupe
Wie Boehringer Ingelheim mit einer neuen Lieferkettenstrategie 100 Millionen Euro einspart
Die sterilen Labore sind in gelbes Licht getaucht, um die UV-Strahlen abzuhalten. Schleusen und Lüftungsanlagen sorgen dafür, dass sich kein Staubkorn in die Reinräume verirrt. Die Mitarbeiter tragen weiße Schutzanzüge, Haarnetze, Masken und Handschuhe. In den verglasten Produktionshallen im Obergeschoss produzieren die Maschinen im 45-Sekunden-Takt neue Inhalator-Bauteile.
Auf den ersten Blick hat die Herstellung der superfeinen Medikamentenzerstäuber für Asthmapatienten bei Boehringer Ingelheim MicroParts in Dortmund wenig gemein mit der Produktion eines Sportwagens. Dennoch fragten die Pharmaspezialisten Porsche Consulting um Rat, wie sich ihre Fertigung mit möglichst geringen Investitionen erweitern ließe, ohne die Herstellkosten, Qualität oder den Lieferservice zu belasten.
Produktionserweiterung ohne Flächenwachstum
Weltweit leiden schätzungsweise 44 Millionen Patienten an Atemnot durch dauerhaft verengte Bronchien. Was im Fachjargon chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD) heißt, kennt der Volksmund als Raucherlunge. Fast 15 % der Deutschen über 40 Jahre leiden daran, bei den über 70-Jährigen sind es knapp 30 %. In über zehn Jahren Forschung und Entwicklung hat Boehringer Ingelheim den Tascheninhalator Respimat Soft Inhaler entwickelt, der ohne Treibgas eine langsame, feine Sprühwolke abgibt. Die Wirkstofflösung wird in feine Tröpfchen mit einem Durchmesser von rund fünf Mikrometern zerstäubt und in dieser Größe besonders gut von der Lunge aufgenommen. In rund 50 Ländern ist der Inhalator verfügbar, die Zulassung für die USA steht bevor. Angesichts der stark gestiegenen Nachfrage dürfte die Produktionsanlage bald aus allen Nähten platzen. Bis 2015 soll sich die Kapazität auf jährlich 44 Millionen Geräte mehr als verdoppeln.
„Wir wollten die Produktion erweitern, ohne einfach mehr Fläche anzubauen", sagt Dr. Heiko Rengel, Geschäftsführer von Boehringer Ingelheim MicroParts. Da zum Zeitpunkt der Investition in Gebäude und Spezialmaschinen noch nicht klar ist, ob das Produkt die Zulassung in den angestrebten Märkten auch erhält, spart jeder Monat des Hinauszögerns bares Geld. Allerdings darf die Investitionsentscheidung nur so weit aufgeschoben werden, dass die Lieferfähigkeit zum Zulassungstermin dennoch gewährleistet ist. Eine Gratwanderung. Dass es sich lohnt, dazu die Lieferkettenstrategie unter die Lupe zu nehmen und strukturiert zu planen, wissen die Berater von Porsche Consulting aus Erfahrung im eigenen Haus nur zu gut.
Kernkompetenzen müssen im Unternehmen bleiben
„Die Pharmabranche kann von der Automobilindustrie einiges lernen", sagt Rengel. Zum Beispiel, dass man nicht alles selber machen muss. Fast 60 % der Wertschöpfung hat Boehringer bereits an Zulieferer ausgelagert. Viel, dachten sie in Dortmund. Wenig, sagten die Berater von Porsche. Dass der Sportwagenhersteller rund 80 % der Fertigung an Zulieferer vergibt - sogar die Produktion der Keramikbremse, eines der Herzstücke der Sportwagen - sorgte für erstaunte Gesichter. Nur die enge Zusammenarbeit mit den Kooperationspartnern garantiert eine hohe Qualität und reißfeste Lieferkette. „Wichtig ist, dass die Kernkompetenzen im Unternehmen bleiben", sagt Dirk Pfitzer, Partner bei Porsche Consulting. Bei Porsche sind das die Gestaltung des Fahrzeugkonzepts sowie das Entwickeln und Steuern des Lieferantennetzwerkes.
Im Hause Boehringer Ingelheim MicroParts gab es zu Beginn des Projektes ein intensives Ringen darum, was genau ihre Kernkompetenzen seien. Zweifellos fiel der Uniblock, ein stecknadelkopfgroßer, geätzter Siliziumchip aus Filtern und Zerstäuberdüse darunter. „Das ist der Stolz unserer Ingenieure", sagt Thomas Mehlhorn aus dem Boehringer-Projektteam. Auch der Präzisionsspritzguss fiel in diese Kategorie; Teile der Kartuschenverpackung, der Kunststoffverschluss oder bestimmte Reinigungsvorgänge hingegen nicht.
Die ideale Wertschöpfungskette
Darauf aufbauend entwickelte das Projektteam zunächst die ideale Wertschöpfungskette - ohne Restriktionen. „Es öffnet den Horizont, anzunehmen, wir könnten bei null anfangen", erläutert Pfitzer. Der Weg zu möglichen Szenarien war anschließend mit vielen Fragen gepflastert: Sind vorhandene Gebäude anders nutzbar? Können Maschinen ausgelagert werden? Wo auf der Welt sollten Teile der Lieferkette angesiedelt werden? Die drei erfolgversprechendsten Szenarien wurden einer strengen Bewertung nach Maßstäben wie Flexibilität, Produktionskosten, Einmalinvestition und Qualität unterzogen. Das beste Konzept wurde anschließend bis ins Detail „feingeplant". Ein lohnendes Gedankenspiel:
Mit der letztlich ausgewählten Vorgehensweise investieren die Dortmunder - bezogen auf die Stückzahl - nicht einmal halb so viel wie geplant. Zusätzlich sinken die Herstellkosten pro Produkt. Konkret heißt das: Dank einer späteren Investition, der schrittweisen Auslagerung an Lieferanten und neuen Synergien mit der bestehenden Produktion spart Boehringer Ingelheim während fünf Jahren mehr als 100 Mio. € ein. „Solche Ergebnisse lassen sich nur erreichen, wenn man die existierende Lieferkette grundsätzlich infrage stellt und strukturiert plant", sagt Pfitzer. „Dass wir die Kapazität so erweitern können, ohne ein neues Gebäude zu bauen, hätten wir nicht für möglich gehalten", gibt Rengel zu.
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