Spezialisierung: Kommoditisierung erfordert neue Geschäftsmodelle
10.12.2012 -
Spezialisierung: Kommoditisierung erfordert neue Geschäftsmodelle
Lange Zeit galt die Spezialchemie als margenträchtiges Geschäft mit hohem Technologievorsprung. Schlüsselakquisitionen in den vergangenen 5 bis 6 Jahren haben zu einer Restrukturierung und Konsolidierung des Industriesegments beigetragen. Spätestens aber mit dem Einbruch der Chemiekonjunktur 2001/2002 hat sich dieses Bild geändert. Heute sehen sich die Spezialchemiehersteller zunehmend mit der Tatsache konfrontiert, dass nicht all ihre Produkte Spezialitäten sind, sondern die Kommoditisierung vor ihrem Portfolio nicht Halt macht.
Der verstärkte Wettbewerb aus Asien, insbesondere China, wächst mehr und mehr über die Produktion von Grundchemikalien hinaus und drängt in das Spezialchemie-Segment. Längst unterscheidet sich dieses in den traditionellen Charakteristika nicht mehr von der Grundstoffchemie. Vor diesem Hintergrund müssen sich die Spezialchemiehersteller neuen strategischen Herausforderungen stellen: Die differenzierte Abbildung ihres Produktportfolios durch geeignete Geschäftsmodelle und der verstärkte Fokus auf Innovation.
Traditionelle Charakteristika nicht mehr gültig
Die traditionellen Charakteristika, die bislang zur Unterscheidung von Spezialchemie und Grundstoffchemie angewandt wurden, sind heute nicht mehr gültig.
Die durchschnittlichen Wachstumsraten der Spezialchemie-Produktsegmente liegen nur noch selten über dem allgemeinen Wirtschaftswachstum. Nur etwa 17 % der Spezialchemikalien bedienen Märkte mit einem Wachstum von über 5%, darunter zum Beispiel Active Pharmaceutical Ingredients und Nanotechnologie. Der weit größere Teil, 62 %, erreicht lediglich ein Wachstum von 3% und weniger.
Auch in der Profitabilität haben die Commodity-Hersteller die Spezialchemiefirmen bereits überholt. Eine Analyse von 33 Chemiefirmen weltweit durch Accenture Research zeigt, dass die EBIT-Marge in der Spezialchemie im Jahr 2005 bei durchschnittlich 7% lag, während die Grundstoffhersteller im gleichen Zeitraum 8 bis 9% Marge erzielten. Die gleiche Analyse zeigt den Trend bei den Forschungs- und Entwicklungsaufwendungen. Eigentlich eine Kernaktivität der Spezialchemiehersteller, sind ihre F&E Investitionen seit Jahren rückläufig und liegen 2005 mit 3,4% des Umsatzes im Schnitt nur wenig über den 3,1% der Commodity-Industrie.
Kritisch wird es nicht zuletzt bei den Preisen. Ebenso wie viele Chemieunternehmen hatten im vergangenen Jahr auch die Spezialchemiehersteller große Probleme, die steigenden und höchst volatilen Rohstoffkosten an die Kunden weiterzugeben. Die 2005 durchgesetzten Preissteigerungen zeigen, wie schwer es fällt, mehr Wert durch den Mehrwert in der Spezialchemie zu erzielen – selbst in einer Phase wirtschaftlichen Aufschwungs.
Das Geschäftsmodell rückt in den Vordergrund
Die Spezialchemie muss sich heute vor allem von der Einstellung trennen, dass alle Produkte ihres Portfolios Spezialitäten mit starker Marge und Differenzierungseffekt sind. Ohne diese Einsicht und ohne klare Segmentierung des Portfolios in Special Commodities und Innovative Specialties sowie einer klaren Servicestrategie werden kostenintensive Leistungen im Gießkannenprinzip verteilt, statt dort eingesetzt zu werden, wo sie auch einen honorierten Kundennutzen oder optimalen Wertbeitrag erzielen.
Die Trennung zwischen Special Commodities und Innovative Specialties führt daher zu einer differenzierten Neuausrichtung auf die drei Geschäftsmodelle: Scale Driven Operators, Differentiate Operators und Solutions Providers.
Dabei gelten für die Spezialchemieunternehmen mit voran schreitender Kommoditisierung eines Produktes die gleichen Gesetzmäßigkeiten wie für die Scale Driven Operators der Grundstoffindustrie: Effiziente Produktionsprozesse und eine schlanke Lieferkette werden zu zentralen Erfolgsfaktoren. Wird die Wirtschaftlichkeitsgrenze mangels Größe nicht erreicht, bleibt der Ausstieg. So geschehen in diesem Jahr bei Degussa, mit dem Verkauf der Bereiche Water Treatment und Food Additives.
In ihrer Gesamtbewertung fallen derzeit die meisten Spezialchemiefirmen in die Kategorie Differentiated Operator. Ihre Chemie ist kundenfokussiert. Die Produktionsprozesse sind an die unterschiedlichen Kundenanforderungen angepasst, wobei das Produkt möglichst nicht austauschbar sein sollte.
Das Geschäftsmodell der Solution Provider lässt mit starkem Fokus auf Service und Gesamtlösungen die Chemie in den Hintergrund treten. So platziert sich beispielsweise Ecolab heute als „Anbieter von Spitzenlösungen im Bereich Reinigung und Desinfektion sowie darüber hinausgehende Serviceleistungen“. Als Chemieunternehmen bzw. Hersteller von Reinigungsmitteln wird das Unternehmen vom Markt schon gar nicht mehr wahrgenommen. Vielmehr liefert Ecolab über die Chemikalien hinaus Services von der Optimierung bis zur Abwicklung spezifischer Produktionsprozesse auf Kundenseite.
Vorsprung in der Innovation besser nutzen
Die zunehmende Kommoditisierung im Bereich Spezialchemie fordert nicht nur eine größere Effektivität und Effizienz in der Produktion, sondern auch in Forschung und Entwicklung. Das heißt nicht unbedingt höhere F&E-Ausgaben. Vielmehr wird es darum gehen, durch gezielte Maßnahmen den Wettbewerbsvorsprung auszubauen und die Profitabilität durch optimierte F&E-Aktivitäten zu steigern.
Wird die Rentabilität einer Innovation gemessen am Umsatz, der durch das neue Produkt entsteht, im Verhältnis zu den F&E-Aufwendungen, so bleiben drei Hebel, um den Return on Innovation zu steigern:
- Innovationszeiten verkürzen
- Innovationskosten senken
- Innovationen besser vermarkten
Innovationszeiten und -kosten lassen sich durch effizientes Innovationsmanagement (z. B. F&E-Portfolio Management) und einen erhöhten Automatisierungsgrad (z. B. High Throughput Screening) optimieren. Der größte Hebel liegt aber in einer besseren Vermarktung der neuen Produkte.
Innovation erfolgreicher vermarkten
Eine wichtige Kennzahl für die Chemiefirmen ist der Umsatzanteil, der durch neue Produkte (nicht älter als 5 Jahre) erzielt wird. Mit einem Wert von über 30 % gehört Dupont dabei zu den führenden Unternehmen. Bayer Materialscience meldet jüngst 20 % Umsatzanteil durch neue Produkte. Ciba Spezialitätenchemie strebt einen Wert von über 30 % an – 2004 erreicht das Unternehmen noch 24 %. Betrachtet man diese Prozentzahlen, lässt sich auch leicht erkennen, welche wertvollen Margenanteile bei der Bepreisung neuer Produkte verloren gehen können.
Für den besseren Vertrieb von Innovationen werden die forschenden Unternehmen allerdings einen fundamentalen Wandel vollziehen müssen: Statt einen Preis pro Kilo Produkt zu erheben, sind sie mehr und mehr gefordert, auf Preis pro generiertem Wert umzustellen. Das kann zum einen mit dem Ausbau der Wertschöpfungsketten erreicht werden: Zum Systemlieferanten hat sich beispielsweise BASF Coatings entwickelt. Seit 2003 werden für VW in Mexiko alle zur Oberflächenbeschichtung benötigten Materialien aus einer Hand zur Verfügung gestellt. Gleichzeitig verantwortet das Unternehmen im Rahmen des Lieferumfangs das Materialmanagement und die Lagerlogistik. Wesentliche Neuerung bei dieser Systempartnerschaft ist die Preisfindung. Der Kunde bezahlt pro makellos lackierter Karosserie, also Preis pro Einheit – nicht pro Menge Lack. Als Systemlieferant ist BASF Coatings auf dieser Basis seit Jahren partnerschaftlich mit zahlreichen Automobilherstellern verbunden.
Ein ganz anderer Ansatz für den Vertrieb neuer Produkte liegt in der Zusammenarbeit mit Dritten. Innovative Start-ups, mit einem professionellen Marketingkonzept, können zum Beispiel als neuer Marktspieler neue Vertriebskanäle und dadurch eher andere Abrechnungsvarianten durchsetzen als ein traditionelles Chemieunternehmen bei langjährigen Kunden. Aber auch die Auslagerung der Produktveredelung kommt in Frage. So wird in Zusammenarbeit mit externen Dienstleistern eine neue Fertigungstiefe geschaffen, die wiederum neue Preisstrategien ermöglicht.
Marktkenntnis bis zum Endkunden erforderlich
Allen Ansätzen aber bleibt eins gemein: Erfolgsentscheidend ist eine tiefe Marktkenntnis, die vor allem die Endmärkte und den Konsumenten mit einschließt. Die Unternehmen müssen durch ihre Innovationen sichtbar den Wert des Produktes beim Endkunden steigern und die Bedürfnisse des Konsumenten treffen. Das bedeutet für die Chemieunternehmen aber auch einen Wechsel in der Marketingausrichtung, der den Fokus verstärkt auf den Nutzen beim Endkunden setzt, um letztendlich auch als Chemieunternehmen vom Wert einer Marke zu profitieren.