Pharmaforschung sichert die Gesundheitsversorgung der Zukunft
07.09.2012 -
In den vergangenen 20 Jahren haben die forschenden Pharmaunternehmen in Deutschland mehr als 600 Medikamente mit neuen Wirkstoffen auf den Markt gebracht - und damit zahlreichen Patienten zu einer besseren Behandlung verholfen. Die neuen Arzneimittel bieten vielfach Nutzen über das bisher medizinisch Mögliche hinaus.
Die Hits der 1990er...
In den 1990er Jahre waren Blutdruck- und Cholesterinsenker, Mittel gegen Magengeschwüre und Antibiotika die am meisten nachgefragten Arzneimittel. Natürlich müssen in diesem Zusammenhang auch die blauen Rhomben gegen Erektionsstörung genannt werden, die heute wohl jeder auf diesem Globus kennt. Bahnbrechend war sicherlich die erlösende Arzneimittelkombinationstherapie gegen AIDS. Weltweit wurde der Slogan „dying from HIV" durch den Slogan „living with HIV" ersetzt.
Aus der Forschung kommend wurden erstmals moderne Biopharmazeutika auf den Markt gebracht. Hierzu gehörten die EPO-Präparate gegen die Blutarmut von Dialysepatienten oder die Interferon-Präparate, die den MS-Patienten einen Teil der Krankheitsschübe ersparen. Es war nicht zuletzt der therapeutische Nutzen dieser Mittel, welcher die Sorgen und Ängste vieler Bundesbürger gegenüber gentechnischen Herstellungsverfahren hat schwinden lassen.
Viele Innovationen dieser Dekade waren und sind so erfolgreich, dass etwa Blutdruck- und Cholesterinsenkung, Magengesundheit und Verhütung heute als gut behandelbare medizinische Aufgaben angesehen werden können.
Die exzellenten Behandlungserfolge haben allerdings auch ihre Schattenseiten. So hat der breite Einsatz von Antibiotika auch bei banalen Infektionen dazu geführt, dass vermehrt Resistenzen auftreten. Deshalb konzentriert sich die Forschung heute auf die Fälle von Therapieresistenzen.
... und das Beste von heute
Bereits in den 1990er Jahren wurden die Grundlagen für die Marktausbietung moderner High-Tech-Waffen, den sog. monoklonalen Antikörpern und biotechnologisch hergestellten, zielgerichteten Proteinen geschaffen. Auch die Entschlüsselung des menschlichen Erbgutes vor einer Dekade hat dazu beigetragen, dass wir heute von einem ganz anderen biologischen Verständnis von Krankheiten auf molekularer und genetischer Ebene profitieren. Das zeigt sich auch bei den Arzneimittelentwicklungen. So haben Biopharmazeutika wie keine andere Substanzklasse zuvor den Krankheitsverlauf bei schwerstkranken Rheumatikern verbessert.
Die medikamentöse Krebsmedizin, die noch in den 1990ern nur die Chemo- und die Antihormontherapie kannte, hat aufgrund des zunehmenden Wissens um die Entstehung einzelner Krebserkrankungen heute viel mehr Möglichkeiten, Krebserkrankungen aufzuhalten, und das bei verbesserter Lebensqualität der erkrankten Patienten.
Alte Menschen, die aufgrund einer Makuladegeneration zu erblinden drohen, können wieder sehen.
In diesem Zusammenhang sollte nicht unerwähnt bleiben, dass auch für die „Waisenkinder" der Medizin - die Patienten mit seltenen Erkrankungen - binnen zwölf Jahren mehr als 60 Medikamente, sogenannte „orphan drugs" entwickelt wurden. Fortschritte, auf die wir als forschende Arzneimittelhersteller besonders stolz sind.
Und morgen?
Wir forschen heute bereits an der Medizin für die Dekade ab 2020. Hier stehen neurodegenerative Erkrankungen, wie z.B. Alzheimer, aber auch weiterhin Krebserkrankungen und Erkrankungen des Immunsystems im Zentrum unserer Anstrengungen. Gleichzeitig arbeiten wir daran, zukünftige Therapien effektiver zu machen, z.B. durch personalisierte Medizin. Das bedeutet nicht, individuelle Therapien für jeden Patienten zu entwickeln, sondern Patientengruppen zu identifizieren, die von einer Therapie besonders profitieren oder die auszuschließen, die besonders starke Nebenwirkungen entwickeln. Dies wird auch als „stratifizierende Arzneimitteltherapie" verstanden. Diese stratifizierende Arzneimitteltherapie hat das Ziel, Vorteile für alle Interessengruppen im Gesundheitswesen zu erschließen: höhere Wirksamkeit, bessere Verträglichkeit und den effizienten Einsatz vorhandener Ressourcen.
Fortschritt - Schritt für Schritt
Von uns, der forschenden Pharmaindustrie werden Behandlungsdurchbrüche erwartet. Aus dem Begriff Fortschritt leitet sich allerdings schon ab, dass es sich immer um Schritte handeln wird. Die Marginalisierung der Schrittgröße ist allerdings irreführend. Wichtig ist, egal wie groß ein Schritt ist, dass unsere Gesellschaft - und damit meine ich natürlich auch die Selbstverwaltung der Krankenkassen und Ärzteschaft - diese Schritte willkommen heißt. Besonders deutlich wird dies in der Onkologie. Gerade hier ist der Erkenntnisgewinn enorm, die Umsetzung aber auch sehr fordernd, da die Schritte aufeinander aufbauen und bei unterschiedlichen Schweregraden der Krankheiten klinisch geprüft werden müssen. Die Erwartungshaltung an den Fortschritt muss sich deshalb auch daran orientieren, welches Potential hinter einem solchen Fortschritt steht. Wird der erste oder zweite Schritt bereits klein geredet, laufen wir Gefahr, dass wir die Fortschrittskette unterbrechen. Das schadet letztlich den Patienten und der Gesellschaft. Das neue Regelwerk AMNOG wird nach heutiger Erfahrung diesem Umstand nicht gerecht.
Arzneimittelforschung ist nicht ohne Risikoinvestitionen zu leisten und die Erlöse der einen Medikamentengeneration müssen die Forschung an der nächsten bezahlen - ein Generationenvertrag. Wir wissen zudem aber, dass die Ausbalancierung der ökonomischen Ressourcen im Gesundheitsmarkt für uns auch Regulierung bedeutet. Dies ist nicht immer unumstritten und wird häufig auch als hinderlich verstanden, weil sie überraschende Einschnitte für die Unternehmen bedeutet. Und nicht zuletzt wird auch die Planungssicherheit für unsere Investitionen in Deutschland davon elementar berührt. Deshalb wünschen wir uns in der Zukunft einen sorgsameren Umgang mit unserer Investitions- und Innovationskraft. Denn sonst wird die Innovationskraft forschender Arzneimittelhersteller nicht erschlossen und wir werden die großen gesellschaftlichen Aufgaben in der Gesundheitsversorgung der nächsten Jahre nicht befriedigend lösen können.
Deutschlands Pharmaforschung ist vital
Die Pharmaindustrie ist nicht nur ein wichtiger Teil des deutschen Sozialsystems, sondern auch ein nicht zu unterschätzender Bestandteil unserer Gesundheitswirtschaft. Unsere Leistungsstärke in Form der Bruttowertschöpfung (Exporte, Investitionen, Arbeitsplätze, Steuern, Löhne und Gehälter etc.) muss auch ökonomisch klar eingeordnet werden. So erwirtschaften wir neben der „ökonomischen" Dividende auch eine „Gesundheitsdividende", indem wir ganz besondere Wirtschaftsgüter erzeugen: High-Tech-Arzneimittel, die mit ihren Chancen zur Heilung, Linderung und Lebensqualitätsverbesserung nicht nur für den Einzelnen, sondern auch für die Volkswirtschaft insgesamt einen erheblichen Beitrag leisten. Unsere Gesellschaft muss angesichts der Herausforderungen, die mit der demografischen Entwicklung einhergehen, eine rundum vitale Gesellschaft bleiben.
Die Frage kann deshalb nicht lauten: Können wir uns den Fortschritt, den Wissenschaft und Industrie generieren, noch leisten? Sondern sie muss heißen: Wie viel Fortschritt müssen wir uns leisten, um in einem kränkelnden Europa und einer zunehmend globalen Welt mit einer „gesunden Gesellschaft" wettbewerbsfähig zu bleiben?
Die Pharmaforschung in Deutschland ist vital und orientiert sich eng an den medizinischen Prioritäten des 21. Jahrhunderts. Ihre wichtigsten Ressourcen sind das große Know-how ihrer Mitarbeiter und die Nähe zu international bedeutenden Grundlagenforschern und Kliniken; ihr Handicap ist ein Gesundheitswesen, das für das, was sie leisten kann, nicht mehr angemessen bezahlen will.
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Dieser Beitrag ist erschienen in der Jubiläumsausgabe "20 Jahre CHEManager" vom 6. September 2012.
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