Energiewende: Preise steigen, Märkte wachsen
Die energieintensiven Industrien profitieren von der Energiewende – wenn sie zu wettbewerbsfähigen Preisen produzieren können
Die Energiewende birgt für die energieintensiven Industrien wie die Chemie- und die Glasindustrie Risiken durch mögliche höhere Kosten und instabile Stromlieferungen. Gleichzeitig eröffnet sie große Chancen: Der Markt für Isolierverglasung, neue Werkstoffe für Fotovoltaik und Windkraftwerke sowie für Dämmstoffe wird nachhaltig wachsen.
Vor einem Dreivierteljahr beschloss die Bundesregierung die sogenannte Energiewende. Acht Atomkraftwerke wurden vom Netz genommen, für die verbleibenden sind Restlaufzeiten bis 2022 vorgesehen, dann muss Deutschland ohne Atomkraft auskommen - ein Beschluss mit vielerlei Konsequenzen.
Sicher ist, dass Energie teurer werden wird. Der Ausbau der erneuerbaren Energien und die Schaffung neuer Kraftwerkskapazitäten sind nicht zum Nulltarif zu haben, gleichzeitig steigen die Preise für Öl und Erdgas. Die energieintensiven Industrien, wie etwa die Grundstoff-, die Chemie- und die Glasindustrie, sind von einer Verteuerung der Energie besonders betroffen. Für sie sind die aktuellen Entwicklungen in der der Klimaschutz- und Energiepolitik existenziell, denn sie haben in technischer wie auch wirtschaftlicher Hinsicht große Auswirkungen.
Belastungsprobe in der Kälteperiode
Viele Prozesse der Grundstoff- und Chemieindustrie sind auf zuverlässige und regelmäßige Stromlieferungen angewiesen. Diesen Strom liefern bislang vor allem Atomkraftwerke, die ausgesprochene Grundlastwerke sind, während etwa Gas- und Windkraftwerke eher die Mittellast und die Spitzen abdecken, die zum Beispiel entstehen, wenn morgens in vielen Betrieben die Maschinen angefahren werden und gleichzeitig in den Haushalten die Waschmaschinen laufen. „Woher soll im zukünftigen Energiemix der Grundlaststrom kommen?", fragt Dr. Jörg Rothermel, Geschäftsführer der Verbandes „Energieintensive Industrien in Deutschland". Erneuerbare Energien seien nicht grundlastfähig. Durch den zunehmenden Anteil an erneuerbaren Energien, so die Befürchtung, wird die Stromversorgung unsicherer. Die starke Kälteperiode in diesem Winter war eine erste Belastungsprobe nach der Energiewende. Um Blackouts vorzubeugen, hatte das Bundeswirtschaftsministerium die Netzbetreiber sogar ermächtigt, Industriebetrieben den Strom abzuklemmen. Die Firmen sollten dafür eine Entschädigung von bis zu 60.000 € erhalten. Dazu ist es laut Netzbetreibern und Bundesnetzagentur aber nicht gekommen - die Belastungsprobe wurde bestanden, Reservekraftwerke nicht hochgefahren, Deutschland exportierte sogar Strom nach Frankreich.
Schwankende Gasqualität
Dennoch sagt Stephan Engel, Leiter der Energiewirtschaft für die deutschen Standorte von Dow Chemical: „Die Netzinstabilität macht nervös." Es habe in diesem Winter deutlich mehr kritische Netzzustände gegeben als in den Jahren zuvor.
Auch beim Gas machen sich die veränderten Bedingungen bemerkbar. Uwe Naumann, Werkleiter des Glasherstellers Saint Gobain in Torgau, stellt fest, dass die Qualität des gelieferten Erdgases stärker schwankt als früher, was nach Auskunft des Gaslieferanten am zunehmenden Biogasanteil liegt. In einem Prozess wie der Herstellung von Flachglas, der enge Temperaturfenster bei gleichzeitig sehr hohen Temperaturniveaus erfordert, kann dies zu Problemen im Produktionsprozess führen. Gerade die Glasherstellung ist auf äußerst stabile Bedingungen angewiesen: Die Produktion muss möglichst über rund 16 Jahre lang ununterbrochen laufen, ein An- und Abfahren der Anlage wäre mit enormen Kosten verbunden. Schwankungen im Heizwert des Verbrennungsgases wirken sich negativ auf die Glasqualität aus und bedeuten im Umkehrschluss höhere Energieverbräuche bei der Produktion, da der Gasverbrauch je erzeugte Tonne verkaufbares Glas steigt.
Rechtliche Änderungen ab 2013
Unsicherheiten sehen die Vertreter der energieintensiven Industrien nicht nur durch technische Änderungen, sondern auch durch die sich ändernden rechtlichen Rahmenbedingungen und ihre Auswirkungen auf die Wirtschaftlichkeit der Produktion.
Zu einer deutlichen Steigerung der Energiekosten wird voraussichtlich eine Änderung der EU-Emissionshandelsrichtlinie führen: Ab 2013 werden die Zertifikate auch für die Energieversorger kostenpflichtig, das heißt, sie müssen sie beim Staat ersteigern oder anderweitig am Markt erwerben. Diese Kosten werden sie in ihre Produkte einpreisen. Die Richtlinie ermöglicht den Mitgliedstaaten jedoch, diese Kosten zu kompensieren. Die Bundesregierung, die die Bedenken der energieintensiven Industrien durchaus sieht, vertritt bislang die Vollkompensation - ob diese tatsächlich kommen wird, ist jedoch nicht sicher.
Weitere Unsicherheitsfaktoren sind die Stromsteuer und die Umlage nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), von denen bislang die meisten energieintensiven Unternehmen zumindest teilweise befreit sind. Ob dies so bleibt, ist unklar. Der EID-Verband hat als „Best Case" eine Zunahme der Gesamtbelastung durch die Stromsteuer, EEG-Umlage und den Emissionshandel von 2,5 Mrd. € (2011) auf 3,6 Mrd. € (2013) errechnet. Im schlechtesten Fall hingegen würde sie auf 6,7 Mrd. € ansteigen.
Bundesnetzagentur überfordert
Ebenso wenig kalkulierbar ist die mögliche Kosteneinsparung durch eine Befreiung von den Netznutzungsentgelten, die besonders energieintensive Unternehmen seit letztem Jahr bei der Bundesnetzagentur beantragen können. Die Agentur ist allerdings mit der Fülle der Anträge überlastet: „Die Beschlusskammer ist bemüht, die Antragsteller und Beteiligten möglichst zeitnah über den Antragseingang und den weiteren Verfahrensvorgang zu informieren.
Kontakt
Die Energieintensiven Industrien in Deutschland (EID)
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