Chemische Grundstoffe vom Bauernhof
Mit Bioraffinerien werden Landwirte zu Produzenten von Ethylencarbonat und Acrylsäure
Anstatt Kartoffeln oder Getreide für den Wochenmarkt anzubauen, sollen Landwirte in Zukunft Stoffe für die chemische Industrie produzieren. Das Neue daran: Die Industrie holt bereits raffinerte Chemikalien vom Vertragsbauern ab. Die Umsetzung vom biogenen Rohstoff Pflanze zur industriell nutzbaren Chemikalie geschieht auf dem Bauernhof selbst. Für die Umsetzung soll eine speziell entwickelte „Hof-Bioraffinerie" sorgen. Die technischen und wirtschaftlichen Details hierfür beschreibt eine Studie, die vom Bayerischen Staatsministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten in Auftrag gegeben worden war.
Die Idee für das Projekt gab Anlass für eine intensive Zusammenarbeit unterschiedlicher Forschungseinrichtungen am Kompetenzzentrum für nachwachsende Rohstoffe in Straubing. Für das Projekt untersuchten Wissenschaftler mehrerer Fachgebiete Möglichkeiten zur Bereitstellung und Lagerung von pflanzlichen Rohstoffen, errechneten die Wirtschaftlichkeit einer Hof-Bioraffinerie, konzipierten technische und logistische Details und erfragten die Akzeptanz der Landwirte in Bayern und der chemischen Industrie in Deutschland.
Die pflanzlichen Ausgangsstoffe
Drei pflanzliche Ausgangsstoffe wurden für die Herstellung von industriell nutzbaren Chemikalien in die engere Wahl genommen: Zuckerrüben, Roggen und Grasschnitt. Mit dieser Auswahl reagierten die Projektpartner auf Anfragen der Landwirte, die Alternativen zur Verwertung dieser Feldfrüchte suchten. „Auf keinen Fall soll die Hof-Bioraffinerie mit der Bereitstellung von Futter- und Nahrungsmitteln konkurrieren", betont Dr. Karen Zeise vom Technologie- und Förderzentrum in Straubing. „Die Versorgung von Vieh und Mensch hat Vorrang."
Die Logistik
Um eine Hof-Bioraffinerie rentabel zu betreiben, muss sichergestellt werden, dass die pflanzlichen Rohstoffe in ausreichender Menge sommers wie winters bereitgestellt werden können. Am wenigsten problematisch ist die kontinuierliche Bereitstellung von Getreide. Getrocknet lassen sich die Körner gut in Hochsilos lagern. „Die Lagertechniken für Ausgangsstoffe mit hohem Wasseranteil hingegen - wie Grasschnitt oder Zuckerrüben - müssten für das Projekt optimiert werden", urteilt Christian Leuchtweis, stellvertretender Geschäftsführer des „Centralen Agrar- Rohstoff- Marketing- und Entwicklungsnetzwerk (C.A.R.M.E.N)".
Ebenso spannend wie die Bereitstellung des Pflanzenmaterials gestalten sich Lagerung und Abtransport der chemischen Substanzen. Vorteilhaft für den Landwirt ist es, wenn die chemischen Produkte nur für kurze Zeit auf dem landwirtschaftlichen Betrieb lagern. Dabei könnten spezielle Transporter mehrere Hofraffinerien nacheinander anfahren und die Chemikalien in kleineren Mengen zum chemischen Verarbeitungsbetreib abtransportieren. Dass Produkte mehrerer Höfe miteinander beim Transport gemischt werden, sehen Vertreter der chemischen Industrie jedoch problematisch. „Die chemische Industrie muss sicherstellen, dass jede Charge der eingespeisten Chemikalien von gleicher Qualität und Reinheit ist", erklärt Dr. Jochen Schmid, Koordinator der Studie und Mitarbeiter am Lehrstuhl für Chemie biogener Rohstoffe der TU München am Wissenschaftszentrum Straubing. Darum müsse vor dem Abfüllen der Chemikalien eine Qualitätskontrolle durchgeführt werden, so Schmid.
Die chemische Umsetzung
Die Hof-Bioraffinerie selbst soll aus sechs bis sieben Containern bestehen, die im Freien aufgestellt werden. Die Elemente sind so miteinander verbunden, dass die jeweiligen Zwischenprodukte zum nächsten Verarbeitungsschritt weitergeleitet werden und ein durchgehender Energie- und Stofffluss entsteht.
Die zerkleinerten Feldfrüchte werden in drei Schritten chemisch umgesetzt. Im ersten Schritt, dem Aufschluss, werden Kohlehydrate aus den Pflanzen freigesetzt. Cellulose und Hemicellulose aus den pflanzlichen Zellwänden sollen hierbei durch eine sog. „Extrusion" zugänglich gemacht werden. Bei diesem Verfahren werden die Pflanzenzellen erwärmt und enzymatisch aufgeschlossen. Das Substrat wird dann unter Einsatz von Enzymen in einfache Zuckerstoffe umgewandelt. Für diese ungefähr fünf Tage dauernde „Verzuckerung" wird ein beheizbarer Container eingerichtet. Ähnlich wie in einem Rindermagen wird das Substrat dort bei der Umsetzung durch fünf verschiedene Behälter geleitet.
Herzstück der Anlage ist der Fermenter. Hier, im zweiten Schritt der Umsetzung, entsteht das zentrale Zwischenprodukt. Mikroorganismen wandeln die bereitgestellten Zuckerstoffe in gasförmiges Ethylen um. Das Gas entweicht dem Fermentationsgemenge und kann in Reinform aufgefangen werden.
Im letzten Reaktionsschritt wird das Ethylen in kleinen Mengen durch einen Mikroreaktor geleitet, wo es zu flüssigem Ethylencarbonat umgewandelt werden kann. „Auch andere Stoffe, die auf Ethylen basieren, wären als Endprodukt denkbar", meint Dr. Tobias Gärtner, Mitarbeiter der Fraunhofer Projektgruppe BioCat, die für die Ausarbeitung des chemischen Prozesses verantwortlich ist.
Klarer Vorteil der Container ist es, dass sie je nach gewähltem Ausgangssubstrat als Module frei zusammengestellt werden können. So kann eine Hof-Bioraffinerie entsprechend der Markt- und Ertragslage individuell eingerichtet werden. Unter Austausch des ersten Moduls kann der Landwirt statt Getreide Grassilage verwerten, wird der Reaktor ausgetauscht, steht der chemischen Industrie statt Ethylencarbonat z. B. Acrylsäure zur Verfügung.
Ökonomie und Ökologie
Prämisse des Projekts ist es, dass die Chemikalien aus der Hof-Bioraffinerie nicht teurer werden als die bislang aus Erdöl gewonnenen chemischen Grundstoffe. Ökonomische Berechnungen, die im Rahmen der Studie durchgeführt wurden, geben Rückenwind: Rentabel wird die Hof-Bioraffinerie durch die „economy of scale". Je mehr Raffinerien gebaut und unterhalten werden, desto günstiger können Anlagen hergestellt werden, desto geringer werden die Kosten für Herstellung und Transport der Chemikalien. Schon in wenigen Jahren könnten die Produkte der Hof-Bioraffinerie günstiger angeboten werden als vergleichbare Produkte aus Erdöl. „Eine Zielgröße von mehreren Tausend Anlagen für Bayern allein scheint realistisch", versichert Volker Sieber, Professor am Lehrstuhl für Chemie Biogener Rohstoffe der TU München am Wissenschaftszentrum Straubing, der die Idee für das Projekt formuliert hatte.
Beim Thema Klimaschutz hat die Hof-Bioraffinerie im Vergleich zur Petrochemie einen klaren Vorteil: Bei der Herstellung chemischer Grundstoffe aus nachwachsenden Rohstoffen wird kein fossiles Kohlendioxid freigesetzt. Da die Pflanzen CO2 aus der Luft binden, sorgt die Hof-Bioraffinerie für eine ausgeglichene Klimabilanz. Und werden die Pflanzen zudem im ökologischen Landbau gewonnen, könnte die chemische Industrie in Zukunft mit der Verwendung von „ökologisch hergestellten Biochemikalien" werben.