Anlagenbau & Prozesstechnik

Prozesssynthese: AixCape entwickelt Softwareplattform

27.09.2011 -

CITplus - Eine Software-Plattform zur Prozesssynthese hat die Aachener Organisation AixCape in einem Forschungstransferprojekt in Kooperation mit verschiedenen Universitäten und Industrieunternehmen entwickelt. Synergien verschiedener Synthese-Verfahren können hierbei über eine einheitliche Plattform namens Insynto effizient genutzt werden. Die aktuell in Insynto integrierten Shortcut-Verfahren liefern schnell Aussagen über die Machbarkeit und den Mindestenergiebedarf von destillativen Trennungen. Durch seinen modularen Aufbau kann Insynto mit weiteren Plugins in Zukunft zu einer umfassenden Synthese-Plattform, beispielsweise in Form des an der RWTH Aachen entwickelten Prozesssynthese-Rahmenwerks [3], erweitert werden.

Zur Kosten- und Zeiteinsparung beim verfahrenstechnischen Entwurf chemischer Anlagen müssen bereits in der frühen Planungsphase geeignete Methoden zur Machbarkeitsuntersuchung und zur Abschätzung der Gesamtkosten zur Verfügung stehen. Rigorose Simulatoren benötigen aber bereits für übliche Grundoperationen wie etwa die Destillation eine große Menge detaillierter Informationen, die der Nutzer zu beschaffen und einzugeben hat. Dieser Aufwand erhöht sich signifikant, wenn verschiedene Prozessalternativen untersucht werden sollen. Hinzu kommen häufig Konvergenzprobleme der mathematischen Lösungsverfahren.
Shortcut-Verfahren versprechen in diesen Punkten Abhilfe. Diese Verfahren kommen mit erheblich weniger Spezifikationen aus, sind in der Regel robuster und bieten bessere Konvergenzeigenschaften. Diese Eigenschaften machen Shortcut-Verfahren zu geeigneten Screening-Werkzeugen, um beispielsweise schnell die Machbarkeit einer destillativen Trennung zu bestimmen und die Gesamtkosten anhand der minimal benötigten Energie abzuschätzen.

Von der Forschung in die Praxis
Um unter anderem das Potential von Shortcut-Verfahren in der industriellen Praxis nutzbar zu machen, wurde 2008 das Insynto-Projekt (Integrated Synthesis Toolbox) ins Leben gerufen, in welchem sich AixCAPE e. V., eine gemeinnützige Organisation für Forschungstransfer, sowie Partner aus der Industrie und Universitäten zusammengeschlossen haben, um gemeinsam eine Softwareplattform zur Prozesssynthese zu schaffen.
In enger Kooperation mit BASF SE, Bayer Technology Services GmbH, Evonik Industries AG und Lanxess Deutschland GmbH konnten beispielhaft zwei Shortcut-Verfahren in die Plattform integriert werden. Die an der Universität Kaiserslautern entwickelte rechnergestützte ∞/∞-Analyse [1] geht bei der Destillation von der idealisierten Annahme eines unendlichen Rücklaufs und einer unendlichen Stufenzahl aus. Dadurch kann die Machbarkeit einer Trennung auf der Basis von Rückstandslinien und De­stillationsgrenzen analysiert werden. Für die mittels ∞/∞-Analyse als machbar identifizierte Trennung kann mit Insynto auch der Mindestenergiebedarf durch die Rektifikationskörper-Methode (RBM) [2] bestimmt werden, welche an der RWTH Aachen entwickelt wurde. Dieses Pinch-basierte Shortcut-Verfahren ermöglicht die Berücksichtigung von nicht-idealem Gemischverhalten und Azeotropen, wobei verschiedene GE-Modelle und Zustandsgleichungen zur Berechnung des Dampf-Flüssig-Gleichgewichts zur Auswahl stehen. Gemeinsam ermöglichen es diese beiden Shortcut-Verfahren, mit dem Software-Werkzeug Insynto einfach und schnell die Machbarkeit einer destillativen Trennung zu bewerten und den Mindestenergiebedarf zu bestimmen. Die Informationen, welche durch den Einsatz dieser Shortcut-Verfahren gewonnen werden, können in einem nächsten Schritt für eine rigorose Optimierung oder Simulation genutzt werden.

Softwareplattform
Insynto bietet eine moderne grafische Oberfläche, in der mittels Drag and Drop die Grundoperatio­nen zu Fließbildern kombiniert werden können. Insynto ist als offene Plattform zur Prozesssynthese entwickelt worden, d. h., sie kann einfach durch Plugins erweitert werden, die beispielsweise zusätzliche Grundoperatio­nen, grafische Elemente, Shortcut-Verfahren oder sonstige Algorithmen enthalten. Plugins können direkt auf die internen verfahrenstechnischen und thermodynamischen Daten und Funktionen von Insynto zugreifen. Durch den modularen Aufbau sind nicht nur Berechnungen zu einzelnen Grundoperationen möglich, sondern es können auch Plugins zur Berechnung ganzer Fließbilder erstellt werden. Innerhalb des mittlerweile abgeschlossenen Insynto-Projektes konnte zum Beispiel eine Routine zur Fließbildoptimierung integriert werden, welche in Zusammenhang mit der rechnergestützten ∞/∞-Analyse an der Universität Kaiserslautern entwickelt wurde.
Zuverlässige thermodynamische Modelle der verwendeten Stoffsysteme sind eine unabdingbare Voraussetzung für die Untersuchung einzelner Grundoperationen und ganzer Fließbilder. Die bislang in Insynto integrierten Shortcut-Verfahren griffen ursprünglich in unterschiedlicher Weise auf solche Modelle zu. Im beschriebenen Projekt wurde eine einheitliche Thermodynamik-Schnittstelle in Insynto realisiert, über die beispielsweise Parameter aus AspenPlus genutzt werden können. Für zukünftige Plugins steht damit eine einheitliche und leicht zu nutzende Schnittstelle für thermodynamische Daten zur Verfügung.

[1] Ryll, O.; Blagov, S.; Hasse, H.: Rechnergestützter konzeptio­neller Entwurf von Destillations- und Reaktionsprozessen, Chemie Ingenieur Technik 2008, Ausgabe 80, Nr. 1-2.
[2] Bausa, R.; v. Watzdorf, R.; Marquardt, W.: Shortcut Methods for Nonideal Multicomponent Distillation: 1. Simple Columns, AIChE Journal, 1998, Ausgabe 44, Nr. 10.
[3] Kossack, S.; Kraemer, K.; Gani, R.; Marquardt, W.: Asystemat­ic synthesis framework for extractive distillation processes, Chemical Engineering Research and Design, 2008, Ausgabe 86 (7), Seite 781-792.

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Firmeninfo
AixCape ist im Jahr 2002 als Ausgründung des Lehrstuhls für Prozesstechnik an der RWTH Aachen (AVT.PT, Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Marquardt) entstanden. Der eingetragene Verein führt in enger Zusammenarbeit mit Hochschulinstituten und seinen Mitgliedern aus der chemischen und petrochemischen Industrie Fallstudien und Forschungsprojekte im Bereich der sogenannten rechnergestützten Prozesstechnik (engl. CAPE: Computer Aided Process Engineering) durch. Diese Projekte dienen dazu, das Potential von neuen und innovativen Methoden bzw. den zugehörigen Software-Prototypen zu identifizieren oder diese so anzupassen und zu erweitern, dass sie in einem industriellen Umfeld eingesetzt werden können. Im Fokus der Aktivitäten liegen dabei Themen von praktischer Relevanz, wie z. B. Prozessdatenanalyse, Modellerstellung und -verwaltung, Verfahrensentwicklung und -optimierung, Prozesssynthese sowie Informationstechnik in der Verfahrenstechnik. 

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Industriepartner von AixCape
Die Entwicklung von Insynto wurde durch praxisnahe Fallstudien begleitet von Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Marquardt und An­dreas Harwardt (RWTH Aachen University, AVT.PT), Prof. Dr.-Ing. Hans Hasse (TU Kaiserslautern), Carsten Buchaly (Bayer Technology Services GmbH), Paris Chasanis (Lanxess Deutschland GmbH), Jörg Schallenberg (Evonik Industries AG) sowie Oliver Ryll (BASF SE).

Kontakt

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