Herbert Matthys: Quo vadis, Pharmamarkt?
Tour d‘Horizon eines Consulting- und Engineering-Experten
Aus Sicht des „außenstehenden Insiders" ist es faszinierend, wie teilweise völlig widersprüchliche Trends die Entwicklungen im Pharmamarkt prägen. Einerseits sind da die steigenden Entwicklungskosten für immer komplexere Wirkstoffe und Medikamente, mit denen die Konsolidierungen und M&A-Aktivitäten am weiterhin wachsenden Weltmarkt begründet werden. Andererseits verschärfen sich die Regulierungen vonseiten der FDA und Gesundheitsministerien, während sich der Pharmaumsatz bis 2020 verdoppeln soll.
Das typische Pharmagroßunternehmen ist heute global aufgestellt. Es verfügt in der Regel über mehrere Forschungs- und Entwicklungsstandorte und eine Vielzahl an Produktionsstätten. Daher muss es sich mit ungünstigen klimatischen Bedingungen in Niedriglohnländern genauso befassen wie mit der Sicherung seines Know-hows in Staaten, die das Agreement on Trade-Related Aspects of Intellectual Property Rights (TRIPS) zwar unterzeichnet haben, es aber gern großzügiger auslegen als die westliche Welt. Außerdem ist es fortwährend mit logistischen Herausforderungen und Qualitätsproblemen konfrontiert, die Einkauf und Handel von Roh- und Wirkstoffen in einem hochregulierten Markt mit sich bringen. Auseinandersetzen muss es sich unlängst auch mit dem Vorhaben der Behörden, Wettbewerbsverstöße intensiv zu prüfen.
Kein Unternehmen kann heute zudem ernsthaft ausschließen, beispielsweise in Asien zu produzieren oder einzukaufen. Beschafft dieser Pharmakonzern etwa Intermediates und Excipients aus Asien, tut er dies nicht als einziger Marktteilnehmer. Seine Mitbewerber haben die gleiche Strategie. Jedem von ihnen stellt sich die Aufgabe, die Qualität der Lieferanten nicht nur zu überwachen, sondern auch gegenüber den eigenen Kunden zu garantieren. Dieser Compliance-kritische Prozess setzt nicht nur die Kenntnis der aktuellen GxP-Anforderungen, sondern auch das Verständnis für die lokale Kultur voraus. Aus unserer Praxis wissen wir, dass sich die tatsächliche Situation nur durch hartnäckiges Nachfragen und genaues Hinsehen in Erfahrung bringen lässt. Denn Papier ist geduldig, und eine Unterschrift unter einer Compliance-Erklärung in Asien nicht dasselbe wie in Europa. Erfahrene Berater können hier den entscheidenden Beitrag zur Effizienzsteigerung leisten, da oft mehrere Firmen denselben Lieferanten prüfen müssen. Shared Audits heißt die Lösung. Voraussetzung ist, dass mehrere Pharmaunternehmen bereit sind, die geschäftskritischen Erkenntnisse eines neutralen Beraters mit anderen Unternehmen zu teilen. Dafür lassen sich die Kosten für geschulte Audit-Experten effizient aufteilen.
Investitionen zukunftssicher gestalten
Unser Beispielkonzern wird aber auch in Anlagen für neue Wirkstoffe und Darreichungsformen am zentralen Standort oder zumindest in der westlichen Welt investieren. Nur so kann er sein Know-how sichern, die Entwicklung weiter vorantreiben und die stets steigenden Qualitätsanforderungen erreichen. Eine echte Herausforderung ist dabei, dass es von der Investitionsidee bis zum ersten Produkt aus der Anlage mehrere Jahre dauert. Einfluss darauf hat nicht zuletzt die Flut an Compliance-konformen Dokumenten, die Lieferanten und Planer erstellen müssen. Im Idealfall übergibt das Unternehmen diese Aufgaben an Engineering-Profis und Technologieberater. Diese planen, bauen und validieren solche Anlagen aus dem Effeff, seien sie für komplizierte biotechnologisch hergestellte Moleküle oder für die Entwicklung und Lancierung neuer, steriler und hochaktiver Formen, die oft erhöhte Anforderungen an den Personalschutz stellen. Die Aufgabenstellung kann aber auch einfach nur ein Upgrade mit gleichzeitiger Implementierung der neuesten Generation der Prozessautomation nach aktuellen PAT-Standards sein.
Die langen Investitionszeiten bei gleichzeitig rasch voranschreitender Entwicklung von Technik und Geschäftsprozessen im Anlagenbau für die Life Science-Industrien verlangen ein hohes Maß an Flexibilität. Für den Planer und Errichter der Anlage bedeutet dies, dass er bis spät in den Planungsprozess hinein noch nachvollziehbar und sicher Anpassungen am Design machen muss, weil sich beim Kunden noch neue Erkenntnisse aus der Entwicklung ergeben haben. Da erstaunt es, dass viele Kunden derzeit dem Planer eigene, für die Planung oft untaugliche CAD- und CAE-Systeme vorgeben wollen. Richtig wäre es, diese Domäne den Experten zu überlassen und die Anforderungen an die Enddokumentation von Anfang an klar festzulegen. Denn oberste Priorität muss haben, dass trotz aller Flexibilität eine hohe Planungssicherheit garantiert wird. Diese gewährleisten Planer mit Tools und Prozessen, die den Informationsfluss kontinuierlich kontrollieren und auf das Projektziel ausrichten.
Risiken bei Zukäufen minimieren
Der Pharmakonzern plant außerdem, ein kleineres Unternehmen oder eine Produktionsstätte beispielsweise in Osteuropa zu kaufen. Dafür holt er sich renommierte Beraterfirmen, die alle legalen und kommerziellen Risiken durchleuchten. Gern wird dabei vergessen, dass großes finanzielles Risiko im Zustand der zu übernehmenden Anlagen oder der - häufig unvollständigen - Anlagendokumentation steckt. In solchen Fällen liefern so genannte Company Quick Checks oder eine Technical Due Diligence Schlüsselinformationen für die Kaufentscheidung.
Perpektive Mittelstand
Oft fragt man sich, was das typische Mittelstandsunternehmen vom multinationalen Konzern unterscheidet. Nichts! Es hat genau dieselben Fragestellungen wie das multinationale Unternehmen - meist nur nicht alle gleichzeitig und oft etwas verzögert im Vergleich zu den Großunternehmen. Daher profitieren gerade auch kleinere und mittlere Unternehmen vom Sachverstand erfahrener Consulting- und Engineering-Unternehmen.
Beispielsweise ist ein Mittelstandskunde, der neu nach USA exportieren will, gut beraten, eine FDA-taugliche Compliance-Strategie aufzubauen oder seine nun notwendige ERP-Software durch Compliance-Profis validieren zu lassen.
Auch dieser Mittelständler wird in Niedriglohnländer expandieren. Zumal er möglicherweise im Bereich der Generika tätig ist, wo Produktionskosten ein entscheidender Wettbewerbsfaktor sind. Er erwägt, bestehende Produktionsstätten zu kaufen und diese auf den aktuellen Stand der eigenen und der Behördenanforderungen zu bringen. Eine Gap-Analyse, also die Definition von Bedarfslücken und Maßnahmen zur Erfüllung der Anforderungen, ist hierfür eine typische Consulting-Aufgabe. Darauf aufbauend sollten konsequenterweise erfahrene Planer die notwendigen Investitionen und Anpassungen in der Dokumentation umsetzen.
Bei all diesen Fragestellungen sind KMUs gut beraten, im Zuge des unmittelbaren Investitionsvorhabens die langfristigen Trends richtig einzuschätzen und in die Lösungen mit einzubeziehen. Zudem sollen die technischen Vorgaben, die den Preis einer Investition stark beeinflussen, praxisgerecht und konsistent festgelegt werden. Denn gerade ein Mittelstandsunternehmen kann sich keine Versuchsballone leisten und muss mit seinen Geldmitteln haushalten. Deshalb ist das Einschalten eines Beratungs- und Planungsspezialisten wirklich wertvoll. Seine Erfahrung erlaubt es dem Unternehmen, aus Fehlern Anderer zu lernen, an Erfolgen Dritter teilzuhaben und sich dabei klar auf aktuelle und zukünftige Anforderungen auszurichten.