Automation ist Zukunft
Der Beitrag der Automation zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen
Der Weltmarkt für automatisierungstechnische Produkte betrug im Jahr 2008 rund zweihundertneunzig Milliarden Euro, sein zukünftiges Wachstum wird mit sechs bis acht Prozent pro Jahr geschätzt. Die deutsche automatisierungstechnische Industrie repräsentiert ca. zwölf Prozent dieses Marktes. Sie erwirtschaftet mit rund zweihundertdreißigtausend Beschäftigten ¼ des Umsatzes der gesamten deutschen Elektroindustrie, der zweitgrößten Industriebranche in Deutschland.
Die automatisierungstechnische Industrie ist heute eine der tragenden Säulen des Industriestandortes Deutschland und steht technologisch weltweit an der Spitze. Ganz im Gegensatz zu dieser Bedeutung steht allerdings die öffentliche Wahrnehmung der Automatisierungstechnik. Als Technologie, die im Verborgenen - quasi „unter dem Blech" - dafür sorgt, dass Maschinen laufen, Produktionsanlagen funktionieren, Kraftwerke Energie liefern und vieles mehr, wird sie vielfach überhaupt nicht wahrgenommen oder gilt immer noch als Jobkiller. Eine Situation, die, wenn sie nicht geändert wird, fatale Folgen für die Sicherstellung von technischem Nachwuchs haben kann. Unbeschadet davon steht es wirtschaftlich und technologisch aber außer Frage, dass die Automation in Deutschland eine große Zukunftsperspektive hat. Das im Titel verwendete Statement „Automation ist Zukunft" geht in der Tragweite noch wesentlich weiter und wird erst durch die Negierung richtig deutlich - „keine Automation heißt keine Zukunft".
Automation und Zukunft
Die Automation soll also der Schlüssel zur Zukunft sein? Die Welt steht heute vor großen globalen gesellschaftlichen Herausforderungen. Der weltweite Energiebedarf steigt, Ressourcen werden knapp, das Weltklima ist bedroht, die Wasserversorgung der wachsenden Weltbevölkerung ist nicht sichergestellt und die Konzentration der Menschen in urbanen Ballungsräumen führt zum Kollaps der sozialen Infrastrukturen. Welche Rolle bei der Lösung dieser Aufgaben die Automation spielt, wird im Folgenden, aufbauend auf den Erkenntnissen der im Auftrag des ZVEI erstellten „Integrierten Technologie Roadmap Automation 2020+", beleuchtet.
Der weltweite Ressourcenbedarf, und hier steht die Energie in jeder Form im Vordergrund, wird in den nächsten Jahrzehnten weiter exponentiell wachsen. Getrieben wird dieses Wachstum vom Anstieg der Weltbevölkerung und von der industriellen Aufholjagd der Entwicklungs- und Schwellenländer. Heute haben über zwei Milliarden Menschen praktisch keinen Zugang zu Energie. Allein ein Gleichziehen der Schwellenländer Indien und China mit dem Verbrauch der entwickelten Länder würde den Bau von zweitausend 500 Megawatt Kraftwerken nach sich ziehen. Dem steigenden Energiehunger steht die zunehmende Bedrohung des Weltklimas durch den steigenden C02 Ausstoß gegenüber. Noch elementarer als der Energiebedarf ist die Sicherstellung der weltweiten Wasserversorgung. Verstärkt werden diese Herausforderungen noch durch die zunehmende Verstädterung der Weltbevölkerung.
Herausforderung Energie
Die Internationale Energie Agency geht in einem Referenzszenario, bei dem die bestehenden Regulierungen und technischen Lösungen als Basis verwendet werden, von einer Verdoppelung des Weltbedarfs an Primärenergie bis 2050 aus. Der elektrische Energiebedarf wird sich in dieser Zeit sogar verdreifachen. Setzt man dieses BAU (business as usual) Szenario an, dann würden die C02 Emissionen von heute 28 Gigatonnen pro Jahr weltweit auf 62 Gigatonnen steigen. Das Ergebnis wäre ein Anstieg der weltweiten Temperatur bis 2050 von sechs Grad Celsius. Eine für uns heute unvorstellbare Veränderung des Weltklimas mit gigantischen Auswirkungen auf die Lebensräume und weltweite Ernährung wäre die Folge. Setzt man dagegen das Klimaziel der UN von einer maximalen Erhöhung der mittleren Temperatur weltweit um zwei Grad Celsius an, dann müsste der heutige C02 Ausstoß halbiert werden. Die Herausforderung Energie hat also zwei Hebel und wirkt damit mit dem Faktor Vier: Der weltweite Anstieg des Energiebedarfs ist zu senken und der Teil der C02 armen Energie muss gleichzeitig überproportional steigen.
Um dem wachsenden Energiebedarf gerecht zu werden geht die ZVEI Technologie Roadmap 2020+ davon aus, dass das Marktvolumen der Kraftwerkstechnik um jährlich fünf bis zehn Prozent wachsen wird. In den entwickelten Ländern wird dieser Markt zunehmend durch den Modernisierungsbedarf an bestehender Kraftwerkstechnik bestimmt. Allein in Nordamerika und Europa müssen bis 2030 bis zu 1800 Gigawatt installierte Leistung neu gebaut werden. In den Schwellenländern sind es neue Kraftwerke, die den überproportional wachsenden Energiebedarf decken sollen. So wurden in China in den Jahren 2007 und 2008 dreihundert neue Kohlekraftwerke mit einer Kapazität von jeweils 500 Megawatt errichtet. In den nächsten Jahren sind - forciert durch das chinesische Konjunkturprogramm - weitere hunderte Kohlekraftwerke geplant. Diese neuen fossilen Kraftwerke müssen effizienter werden und ihr C02 Ausstoß muss drastisch reduziert werden.
Um den Klimazielen aber letztendlich gerecht zu werden, muss der Anteil der regenerativen Energien massiv steigen. In Deutschland soll bis 2020 bis zu 30 Prozent der elektrischen Energie aus regenerativen Quellen gewonnen werden. China ist bereits weltweit führend bei der Windkraft und wird bis 2020 einhundert Gigawatt Windkraftleistung installiert haben. Dieser massive Anstieg von dezentraler Energieeinspeisung bedeutet aber auch enorme Herausforderungen für die heutigen Netzstrukturen. Er erfordert neue „intelligente" Energienetze und eine hohe informationstechnische Verknüpfung dezentraler Erzeuger und Verbraucher.
Neben der C02 armen Energieerzeugung ist die Vermeidung von Energieverbrauch durch energieeffiziente Prozesse und Techniken der beste Klimaschutz. Die Energie-Einsparpotenziale liegen sowohl in den entwickelten Ländern wie z. B. den USA, wo der durchschnittliche Primärenergieverbrauch pro Einwohner nahezu doppelt so hoch ist wie in Europa, aber erst recht in den Schwellenländern China und Indien, die - aufgrund oftmals veralterter Technologien und Prozesse - überproportionale Potenziale in Bezug auf Energieeffizienz aufweisen. Neben der Energieeffizienz in der Industrie spielen energiesparende Gebäude und effiziente urbane Infrastrukturen zukünftig ebenfalls eine wesentliche Rolle.
Der Schlüssel für die Umsetzung all dieser Ansätze liegt in der Automatisierungstechnik. Dezentrale regenerative Kraftwerke, seien es Windkraftanlagen, Solaranlagen oder Kraft-Wärme Kopplungen, haben einen erhöhten Bedarf an automatisierungstechnischen Komponenten in Bezug auf Regelungstechnik und Kommunikationstechnik. Die Vernetzung vieler dezentraler Erzeuger bedarf neuer leittechnischer Integration, Planung und Steuerung. Die Verknüpfung mit der Verbraucherseite führt zukünftig zu intelligenten Netzstrukturen, den sogenannten Smart Grids, die einen weiteren Automatisierungsbedarf mit sich bringen. Energieeffiziente Gebäude und integriertes Gebäudemanagement setzen genauso auf Automatisierungstechnik wie die Energieeffizienz in Maschinen und Industrieanlagen. Automatisierungstechnik trägt somit nachhaltig zum Umwelt- und Klimaschutz bei.
Herausforderung Wasser
Eine der größten Herausforderungen ist die Sicherstellung der Trinkwasserversorgung der wachsenden Weltbevölkerung. Bezogen auf 1975 wird sich bis 2025 der weltweite Süßwasserbedarf verdoppelt haben. Dabei haben schon heute rund eine Milliarde Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser. Die ZVEI Technologie Roadmap 2020+ geht davon aus, dass allein für Asien der Investitionsbedarf in den nächsten fünfundzwanzig Jahren im Bereich Wasser und Abwasserentsorgung bei rund sechzehn Billionen US-Dollar liegt. Ein nicht unerheblicher Teil dieses Marktvolumens fällt auf die Mess-, Regelungs- und Kommunikationstechnik, also auf Produkte und Systeme der Automation. In China wird aktuell jede Woche ein neues Klärwerk angeschlossen. Aber auch in den entwickelten Regionen müssen viele der Kläranlagen und Wassersysteme dringend erneuert werden.
Schlechte und veraltete Versorgungssysteme führen dazu, dass nahezu fünfzig Prozent des weltweit gewonnen Trinkwassers ungenutzt verloren gehen. Automatisierungstechnische Lösungen können durch Überwachung der Leitungsnetze zu erheblichen Verbesserungen führen. Die Ozeane, die rund siebenundneunzig Prozent des weltweit verfügbaren Wassers darstellen, müssen zukünftig für die Trinkwasserversorgung genutzt werden. Meerwasser-Entsalzungsanlagen bieten entsprechende Möglichkeiten, setzen jedoch eine weitere Entwicklung der Technologie und neue Verfahren voraus. Die Trinkwassergewinnung aus Abwasser ist gerade für die wachsenden Megacities eine wichtige Ressource. Auch hier setzen Automatisierungstechnologien an, um die Anlagen wirtschaftlich und effektiv zu betreiben und die Qualität des Wassers sicher zu stellen.
Automation und gesellschaftliche Verantwortung
Reflektiert man die globalen Herausforderungen wie gerade geschehen, dann wird die zentrale Rolle der Automatisierungstechnik deutlich. Zu dieser Erkenntnis ist auch die GMA Studie „Automation 2020" gekommen. In drei Leitthesen wird die Bedeutung der Automation für die Zukunft unserer Gesellschaft dargelegt.
1. Die Automation leistet einen wesentlichen Beitrag zur Lösung anstehender gesellschaftlicher Herausforderungen.
2. Die Automation steht für Technik mit dem Menschen für den Menschen.
3. Die Automation ist Leitdisziplin für die Entwicklung, Optimierung und Anwendung neuer Produkte, Verfahren und Technologien.
Die Automatisierungstechnik ist also Teil der Lösung der Herausforderungen der Zukunft und nicht ein Teil des Problems. Diese Tatsache muss in das Bewusstsein von Öffentlichkeit und Politik gebracht werden, sonst verspielen wir unsere heutigen Stärken und Chancen. Deutschland ist eine der führenden Nationen bei der Nutzung nachhaltiger Technologien und in der Automatisierungstechnik. In vielen Bereichen der Automatisierungstechnik sind deutsche Unternehmen heute Technologie- und Weltmarktführer. Als Beispiel stehen hierfür die industrielle Kommunikationstechnik, die Antriebstechnik, die funktionale Sicherheitstechnik, die Steuerungstechnik, die elektrische Verbindungstechnik und vieles mehr. Diese Position gründet sich auf einer einmaligen Kombination in Deutschland aus einer Industrie, die sowohl auf Weltkonzernen als auch auf einer Vielzahl von spezialisierten mittelständischen Unternehmen aufbaut. Diese elektrotechnische Industrie trifft im eigenen Land auf weltweit führende Abnehmerbranchen und lässt in der Kombination aus Produkt und Anwendung in hoher räumlicher Nähe eine enorme Innovationskraft entstehen. „Die Automatisierungstechnik hilft der Industrie sicher, sauber, ressourcenschonend und kosteneffizient zu arbeiten. Automation stärkt die gesamte industrielle Wertschöpfungskette und verhindert die De-Industrialisierung Deutschlands und Europas" ist eine wichtige Botschaft der Studie „Mit Hightech für Umwelt und Klimaschutz".
Automation hat viele Seiten, ist aber bestimmt kein Jobkiller. Der ZVEI geht davon aus, dass die rund zweihundertdreißigtausend Arbeitsplätze in der deutschen Automatisierungsindustrie nachhaltig dazu beitragen, dass mindestens drei Millionen Arbeitsplätze in Deutschland in energieintensiven Branchen gesichert werden. Diese Position können wir nur halten wenn es uns gelingt, auch zukünftig auf die Fachkräfte und fähigen Köpfe zurück zu greifen, die diese Chancen in Zukunft gestalten. Schon heute fehlen nach aktuellen Studien in Deutschland über dreißigtausend Ingenieure, ein großer Teil davon in der Automationsindustrie. Zehn Ingenieuren, die in den Ruhestand gehen, stehen zudem nur neun Hochschulabgänger gegenüber.
Zur Lösung der großen Herausforderungen der Menschheit braucht es die Automation. Wenn wir als Volkswirtschaft und Industrie an diesem Trend mitwirken wollen, wenn wir daran nachhaltig partizipieren wollen, dann müssen wir die gesellschaftliche Verantwortung erkennen und junge Menschen für die Automation gewinnen und begeistern. Es ist eine nationale Aufgabe für alle gesellschaftlichen Kreise einer breiten Öffentlichkeit klar zu machen, dass die Zukunft Automation braucht, dass die Automation Zukunft ist.
Der Artikel basiert auf einem Vortrag von Roland Bent auf der „Automation 2010" in Baden-Baden und greift insbesondere Themen der „Integrierte Technologie Roadmap Automation 2020+" des ZVEI auf.
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