Fokus Speziesanalytik
Analytische Chemie zwischen Grundlagenforschung und Anwendung in den Umwelt- und Lebenswissenschaften
Analytische Chemie, die Wissenschaft von der Entwicklung und Anwendung von Messmethoden, -instrumenten und -strategien zur Gewinnung von relevanter Information, hat eine zentrale Stellung in der naturwissenschaftlichen Forschung. Da analytische Entwicklung per se anwendungsbezogen ist, wird unsere Disziplin oft als Hilfswissenschaft für andere Gebiete aufgefasst. Allerdings wären methodische Meilensteine wie die Entwicklung der HPLC oder die Ionisierung von Molekülen mittels Elektrospray und MALDI ohne analytische Grundlagenforschung nie erreicht worden. Die Erfindung von MALDI zum Beispiel - 2002 mit einem Nobelpreis gewürdigt - hat die Molekularbiologie und Biochemie revolutioniert. Frühere Nobelpreise, die der Analytischen Chemie zuzuschreiben sind, reichen von den Trenntechniken (Chromatographie und Elektrophorese) bis hin zur Spektroskopie (NMR), welche ebenfalls die Naturwissenschaften nachhaltig beeinflussten.
In der Ankündigung der Euroanalysis 2009 in Innsbruck kann man es lesen: „The Impact of Analytical Chemistry on the Quality of Life" ist das Motto dem sich die Veranstalter der Konferenz selbstbewusst verschrieben haben. Und das ist gut so. (www.euroanalysis2009.at). Man muss auf den zentralen Stellenwert analytischer Entwicklung in allen Lebensbereichen aufmerksam machen. Klima- und Umweltschutzmaßnahmen hängen von Daten ab, welche erst durch moderne Umweltanalytik erfasst werden konnten. Der Einfluss von medizinisch-biologischer Analytik auf die Volksgesundheit und Lebensqualität kann nicht hoch genug eingeschätzt werden.
Speziesanalytik ist nur ein kleiner Teilbereich der analytischen Chemie. Trotzdem kann man anhand der Historie dieses Gebietes aufzeigen, dass äußere Umstände wie Umweltkatastrophen die Entwicklung von Methoden dringend notwendig machten und umgekehrt die analytische Grundlagenforschung einen maßgeblichen Einfluss auf das Verständnis der Rolle von Metallen und Metalloiden in Umwelt, Biologie und Medizin hatte. Der Begriff Speziesanalytik beinhaltet die Bestimmung der Verteilung von verschiedenen spezifischen Formen eines chemischen Elementes in einer Probe. Elementspezies werden über ihre Komplex- oder Molekülstruktur, ihre Oxidationsstufe und/oder Isotopenzusammensetzung definiert. Die Bestimmung verschiedener Elementspezies mit einem elementselektiven Detektor wie AAS, ICP-AES oder ICP-MS erfordert deren vorherige Auftrennung mit einer speziesselektiven Trennmethode. So kann zum Bespiel das toxische und krebserregende Cr(VI) nur nach einer ausreichend selektiven Trennung vom essentiellen Cr(III) unterschieden werden. Diese Trennung kann mittels einer geeigneten Probenvorbereitung oder über die direkte Kombination eines Trennverfahrens (HPLC, GC, CE) mit einem elementselektiven Detektor erfolgen. Dabei hat sich ICP-MS aufgrund der hohen Empfindlichkeit und Detektionsgeschwindigkeit kurz nach ihrer Einführung in den 1980ern als bevorzugte Technik erwiesen. Die Methode erlaubt die quasisimultane Bestimmung aller stabilen Elemente im Periodensystem außer jenen, bei denen eine Limitierung durch den Hintergrund (H, C, N, O, Ar) oder die unzureichende Ionisierungsausbeute (F, Edelgase) besteht.
Die wohl bekannteste Massenvergiftung mit Quecksilber ereignete sich in den 1950er Jahren in der japanischen Minamatabucht. Damals kam es durch unkontrollierte Verklappung von Abfällen in der Bucht zu einer dramatischen Anreicherung von Quecksilberverbindungen in Meeresalgen und Fischen, dem Hauptnahrungsmittel der Einwohner des Küstenortes. Diese Umweltkatastrophe mit fatalen Folgen war trauriger Anlass zur Entwicklung erster Methoden für die Bestimmung von Quecksilberspezies. Danach folgten andere speziesanalytische Arbeiten mit umweltanalytischem und toxikologischem Hintergrund. Die Studien bezogen sich vor allem auf die Elemente Arsen, Quecksilber, Chrom und Zinn. Neben diesen Elementen, welche noch heute für die wissenschaftliche community von Interesse sind, wurde auch die Bedeutung der Speziesanalytik für die Erforschung der gesundheitlichen und medizinischen Relevanz von Selen relativ früh erkannt. Seit dem Erscheinen der Clark Studie in den 1980er Jahren, welche Selen in Zusammenhang mit Krebsprävention stellt, wird dieses Element neben Arsen am häufigsten untersucht. Dabei steht die ICP-MS basierende Speziesanalytik im Vordergrund und umfasst
ca. 25 % der jährlich erscheinenden Publikationen dieses Gebietes [1].
Mit Beginn des neuen Jahrtausends wurde das hohe Potential der ICP-MS für die Analyse von Schwefel und Phosphor in den life sciences erkannt [2]. Die empfindliche, interferenzfreie Messung der beiden Elemente war lange Zeit nur mittels Magnetsektorfeld-Massenspektrometrie (ICP-SFMS) möglich, wurde aber durch die Implementierung der Kollisions- und Reaktionszellentechnik auch für die viel weiter verbreiteten und kostengünstigeren quadrupol-basierenden Massenspektrometer ermöglicht [3]. Die LC-ICP-MS-Speziierung von Schwefel erlaubt etwa die akkurate Quantifizierung von schwefelhaltigen Proteinen und Peptiden in biologischen Proben, die Bestimmung der Metall/Schwefel-Stöchiometrie zur Qualitätskontrolle von rekombinant erzeugten Metalloproteinen [4] und die Untersuchung von Metallothioneinen [5]. Phosphor- Speziesanalytik findet mittlerweile eine breite Anwendung bei der Untersuchung von phosphorylierten Peptiden und Proteinen und liefert seit längerer Zeit wichtige komplementäre Ergebnisse im Proteomics-Bereich [6,7,8].
Metallhaltige Zytostatika spielen nach wie vor in der systemischen Chemotherapie zur Bekämpfung von Krebs eine zentrale Rolle. In der Vergangenheit wurde der Wirkmechanismus dieser Substanzen oftmals durch in vitro Untersuchungen postuliert. Speziesanalytik zielt auf die viel komplexere aber aussagekräftigere in vivo Absicherung der Wirkhypothesen ab. So gelang es, Wechselwirkungen der Medikamente mit Proteinen in klinischen Studien zu untersuchen [9]. In jüngerer Vergangenheit wurde sogar die Bekämpfung der Alzheimererkrankung in Zusammenhang mit metallhaltigen Wirkstoffen diskutiert. Hier wird die Speziesanalytik auch in Zukunft einen wesentlichen Beitrag zum Verständnis der biochemischen Grundlagen und somit zur Verbesserung der Therapie leisten. Ein weiterer aktueller Forschungsschwerpunkt der life science orientierten ICP-MS basierenden Speziesanalytik wird unter dem Stichwort elemental labeling zusammengefasst. Dabei wird die hohe Robustheit, Selektivität und Empfindlichkeit von ICP-MS zur Messung von elementmarkierten Verbindungen herangezogen. Durch diesen neuartigen Ansatz soll in einer biologischen Probe eine Vielzahl von Biomarkern mit einer noch nie dagewesenen Empfindlichkeit gleichzeitig erfasst werden[10]
Diese jüngsten Entwicklungen zeigen klar, wie sich ein analytisches Gebiet durch zunehmenden methodischen und technischen Fortschritt den neuen Herausforderungen der life sciences stellen konnte. Ausgehend von kleinen Molekülen, wie den Quecksilberspezies, wandte man sich der Analyse von hochmolekularen Verbindungen zu. Die Komplexität der aktuellen und künftigen Fragestellungen erfordert ein hohes Maß an Interdisziplinarität. In dieser Situation ist es jedoch wichtig die Rolle der analytischen Grundlagenforschung nicht aus den Augen zu verlieren.
Literatur
[1] Handbook of Elemental Speciation II, ed.: Rita Cornelis, John Wiley & Sons, England, 2005
[2] Prange A. und Pröfrock D.: Chemical labels and natural element tags for the quantitative analysis of bio-molecules. Journal of Analytical Atomic Spectrometry 23 (4), pp. 432-459 (2008)
[3] Bandura D.R. et al.: Detection of ultratrace phosphorus and sulfur by quadrupole ICPMS with dynamic reaction cell, Analytical Chemistry 74 (7), pp. 1497-1502 (2002)
[4] SEC-ICP-DRCMS and SEC-ICP-SFMS for determination of metal-sulfur ratios in metalloproteins, Hann S. et al.: Journal of Analytical Atomic Spectrometry 19 (1), pp. 74-79 (2004)
[5] Pröfrock D. et al.: Determination of sulfur and selected trace elements in metallothionein-like proteins using capillary electrophoresis hyphenated to inductively coupled plasma mass spectrometry with an octopole reaction cell, Analytical and Bioanalytical Chemistry 377 (1), pp. 132-139 (2003)
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