VAA vertritt Führungskräfte in der chemischen Industrie
18.03.2013 -
Der VAA vertritt Führungskräfte in der chemischen Industrie. In den Zeiten des Umbruchs in der Chemie- und Pharmabranche sind die Dienstleistungen des Verbands angestellter Akademiker und leitender Angestellter der chemischen Industrie (VAA) gefragt. Im Jahr 1919 als Akademikergewerkschaft gegründet, ist der VAA heute größter Führungskräfteverband in Deutschland und vertritt die Interessen von über 27.000 Mitgliedern. Dr. Andrea Gruß sprach mit dem VAA-Vorsitzenden Dr. Thomas Fischer darüber, welche aktuellen Themen den Verband und seine Mitglieder bewegen.
CHEManager: Ein erster Blick auf die Befindlichkeitsumfrage des VAA vom Sommer 2006 lässt den Schluss zu: Die Stimmung in der Chemie stimmt. Welche Trends ergeben sich bei eingehender Analyse?
Dr. Thomas Fischer: Eine differenzierte Betrachtung der Umfrageergebnisse zeigt sehr deutlich, welche Unternehmen in Restrukturierungen stecken und welche sich schon wieder stabilisieren. Die Reorganisation bei Bayer hat zum Beispiel dazu geführt, dass der Konzern zeitweise sehr tief im Ranking der Befindlichkeitsumfrage abgefallen ist. Während sich die Befindlichkeit in den drei Teilkonzernen von Bayer sowie Bayer Technology Services inzwischen deutlich verbessert hat, ist sie in der Bayer Industrie Services nach wie vor schlecht. Unternehmen, deren Umbau schon weiter fortgeschritten ist – wie im Fall von Lanxess – gehören zu den Aufsteigern der aktuellen Befragung. Mit unseren Umfragen bewirken wir, dass die Unternehmen immer wieder dazu angehalten werden, ihre Strategien in Bezug auf die Mitarbeiterführung zu überdenken.
Die gesamte Chemiebranche istderzeit im Umbruch, da ergeben Einzelbetrachtungen ein heterogenes Bild. Welche branchenweit gültigen Schlüsse lassen sich dennoch aus den Ergebnissen der Umfrage ziehen?
Dr. Thomas Fischer: Ein wesentlicher Kritikpunkt unserer Mitglieder liegt immer wieder in der Personalentwicklung. In vielen Unternehmen gibt es keine kontinuierliche Personalentwicklung, beziehungsweise sie wird nicht sichtbar. Die Schwerpunkte werden hier immer noch sehr stark bei formalen Dingen wie einem Seminarspiegel gesetzt, die aber letztlich von den Mitarbeitern gar nicht so hoch eingeschätzt werden. Diese wünschen sich vielmehr einen Vorgesetzten, der sie fordert und fördert, ihnen die Verantwortung für herausragende Projekte gibt oder mit ihnen einen Auslandsaufenthalt plant. Beim Thema „Leadership“ sind die Unternehmen in der Chemie noch nicht gut aufgestellt.
Was kann der VAA dagegen tun?
Dr. Thomas Fischer: Wir als Verband versuchen, den Unternehmen den Spiegel vorzuhalten und Schwachpunkte klar zu formulieren. Dazu betrachten wir bestimmte Systeme und Themen in der chemischen Industrie, zum Beispiel Einkommen, Chancengleichheit oder Bonussysteme. Letzteres war der Schwerpunkt unserer Sonderbefragung in diesem Jahr.
Wo liegen hier die Schwachstellen?
Dr. Thomas Fischer: In der mangelnden Transparenz. Die Mitarbeiter wollen zum einen wissen: Wie bildet sich genau ein Bonusbudget? Sie wollen verstehen, warum der Bonus in einem Jahr 100% beträgt und in anderen Jahren 80 % oder 120 %. Es gibt Unternehmen, die haben ganz klare Kriterien für die Budgetbildung. Bei der BASF wird der Bonus zum Beispiel anhand der Gesamtkapitalrendite bestimmt, ein Wert, der in der Bilanz offengelegt wird. Das kann jeder Mitarbeiter nachvollziehen. Andere Firmen wie Bayer machen das Bonusbudget an EBITDA-Planzahlen fest. Das ist intransparent für viele Beschäftigte, weil sie nicht wissen, wie die Planzahlen zustande kommen.
Wie ist es um die Transparenz bei der Bonusaufteilung bestellt?
Dr. Thomas Fischer: Dies ist ein zweiter, wesentlicher Kritikpunkt: die mangelnde Transparenz bei der Aufteilung der Bonusbudgets auf die einzelnen Mitarbeiter. Auf der einen Seite werden hierfür Zielvereinbarungen getroffen, auf der anderen Seite deckelt man die Budgets zum Beispiel auf 100 %. Das bedeutet, wenn Sie einem guten Mitarbeiter 110% Leistungsprämie zahlen wollen, müssen Sie bei fünf anderen mit einem Abschlag von 2% rechnen. Das können Sie Mitarbeitern nicht mehr transparent darstellen, warum sie nicht 100%, sondern nur 98% bekommen. „In vielen Unternehmen gibt es keine kontinuierliche Personalentwicklung.“
Wie sollte demnach eine gutes Bonussystem aussehen?
Dr. Thomas Fischer: Bei uns im Verband haben wir ein System, da kann man Ziele verfehlen, dann gibt es keinen Bonus, man kann Ziele nur teilweise erreichen, dann gibt es 50% und man kann Ziele erreichen oder übertreffen, dann zahlen wir entsprechend 100% oder 150% Bonus. Als Vorsitzender des Vorstandes habe ich nur die Wahl, eine 0, 50, 100 oder 150 zu vergeben. Die Eierei um einzelne Prozentzahlen bleibt mir erspart.
Welche weiteren Herausforderungen sehen Sie heute bei der Mitarbeitermotivation für die Unternehmen?
Dr. Thomas Fischer: Alter und Erfahrung haben heute im Unternehmen nicht mehr den Stellenwert wie noch vor einigen Jahren. In den vergangenen zehn Jahren wurden immer mehr Personen bereits in sehr jungen Jahren in hohe Positionen befördert. Ich sehe in diesem „Jugendwahn“ die Gefahr, dass Führungskräfte Ende 40, Anfang 50 keine Möglichkeiten mehr sehen, sich im Unternehmen weiterzuentwickeln. Wir fordern daher Entwicklungsmöglichkeiten auch für ältere Arbeitnehmer, um diese motiviert bis zur Rente zu führen.
Dieses Problem dürfte sich mit dem demografischen Wandel noch verstärken ...
Dr. Thomas Fischer: Ja, wir erwarten Lücken durch den demografischen Wandel. Eine Analyse bei der BASF ergab zum Beispiel, dass dort innerhalb der kommenden sieben Jahre ein Großteil der wichtigen Know-how- Träger in den Ruhestand geht. Da viele Studien zum demografischen Wandel einen Produktionsfortschritt voraussetzen, wird die Lücke vielleicht manchmal nicht ganz so groß sein, wie sie zunächst erscheint. Dennoch suchen wir schon heute, unter anderem gemeinsam mit dem Bundesarbeitgeberverband Chemie (BAVC), nach Lösungen für die Zukunft.
Wo sehen Sie jetzt Ihre Position im Vergleich zu den anderen großen Chemieverbänden, der Gesellschaft Deutscher Chemiker (GDCh) und der Industriegewerkschaft Bergbau Chemie Energie (IG BCE)?
Dr. Thomas Fischer: Die GDCh ist eine wissenschaftliche Vereinigung, zu der wir hervorragende Kontakte haben. Wir ergänzen uns in unseren Aktivitäten. Die GDCh kümmert sich sehr stark um die Forschung in der Chemie, während wir uns auf die sozialen Belange unserer Mitglieder, ihrer juristischen Beratung und Vertretung sowie die betriebliche Vertretungen im Sprecherausschuss, im Betriebsrat und in den Aufsichtsräten konzentrieren. Ab Januar 2007 werden wir sogar gemeinsam mit der GDCh eine Doppelmitgliedschaft für Studenten anbieten. Die IG BCE ist eine DGB-Gewerkschaft und unser Sozialpartner neben dem BAVC. Sie ist im tariflichen und außertariflichen Bereich tätig. Bei inhaltlichen Fragestellungen gibt es wenig Differenzen zwischen VAA und IG BCE.
Den genannten Verbänden gemein ist der Mitgliederschwund in den vergangenen Jahren. Worauf führen Sie diesen zurück? „Mitarbeiter kritisieren mangelnde Transparenz bei Bonussystemen.“
Dr. Thomas Fischer: Unsere Mitgliederzahlen sinken nicht, sie stagnierten in den letzten Jahren auf hohem Niveau. Damit können wir uns in einem Umfeld, das von Arbeitsplatzabbau gekennzeichnet ist, gut behaupten. Während die chemische Industrie früher im Jahresdurchschnitt etwa 500 Chemiker neu einstellte, liegt die Zahl der Neueinstellungen mittlerweile nur noch bei etwa 300. Und dennoch treten dem VAA immer noch zirka 1.000 neue Mitglieder im Jahr bei. Wir beobachten jedoch einen gesellschaftlichen Trend zur Individualisierung. Ein Beispiel: Die Menschen meiden Sportvereine und gehen lieber ins Fitnessstudio. Sie sind heute weniger bereit, sich ehrenamtlich in Verbänden oder Gewerkschaften zu engagieren. Hinzu kommt, dass jüngere Mitarbeiter fürchten, ein Engagement im Verband könne ein Karrierehemmnis sein. Das war früher anders, weil letztlich alle hochrangigen Managementpositionen von Personen besetzt waren, die einen ehrenamtlichen Background hatten.
Ein weiteres wichtiges Thema, das der VAA belegt, ist die Mitbestimmung im Unternehmen. Welche Entwicklungen gibt es hier?
Dr. Thomas Fischer: Hier müssen Sie zwei Bereiche unterscheiden: die betriebliche Mitbestimmung und die Unternehmensmitbestimmung durch Vertreter der Arbeitnehmer im Aufsichtsrat. Letztere wird derzeit kontrovers diskutiert. Es gibt eine Regierungskommission, die „Biedenkopf-Kommission“, die Vorschläge zur Modernisierung der Unternehmensmitbestimmung erstellt.
Es wird vielfach kritisiert: Mitbestimmung macht ein Unternehmen träge – und das heute, wo immer schnellere Entscheidungen gefragt sind. Wie sehen Sie das?
Dr. Thomas Fischer: Die Unternehmensmitbestimmung macht das System überhaupt nicht langsam: Es wird eine Aufsichtsratsitzung einberufen. Dort werden Sachverhalte dargestellt, mit dem Vorstand diskutiert und es kommt sofort zur Entscheidung. Wenn die Arbeitnehmervertreter dagegen stimmen und es 50:50 steht, entscheidet das doppelte Stimmrecht des Aufsichtsratsvorsitzenden.
Welche Rolle spielt die Unternehmensmitbestimmung in anderen europäischen Staaten?
Dr. Thomas Fischer: Dort gibt es meist andere Kontrollsysteme als den Aufsichtsrat in Deutschland. Spanien und viele andere südeuropäische Länder kennen gar keine Unternehmensmitbestimmung. Die Arbeitnehmer haben dort nicht das Konsensbestreben der Deutschen. Sie wollen auch keine Mitverantwortung im Unternehmen, sondern versuchen vielmehr durch Streiks ihre Interessen umzusetzen. Meines Erachtens wird es keine Harmonisierung der Unternehmensbestimmung in Europa geben. Bei internationalen Fusionen wird sie immer Verhandlungsgegenstand bleiben. Unsere Sorge dabei ist, dass der Sitz des leitenden Angestellten im Aufsichtsrat dabei verloren geht.
Mitbestimmung heißt auch mehr Eigenverantwortung. Ließe sich dieses Ziel nicht auch über eine finanzielle Beteiligung der Mitarbeiter am Unternehmen erreichen?
Dr. Thomas Fischer: Ja, das ist eine Alternative. In den 60er-, 70er- Jahren war es eine große Diskussion in Deutschland: Was ist der richtige Weg – Unternehmensmitbestimmung oder Arbeitnehmerbeteiligung? Man entschied sich für die Unternehmensmitbestimmung. In anderen Ländern, beispielsweise Frankreich, ist dagegen die Arbeitnehmerbeteiligung stark ausgeprägt. Zum Vergleich: Bei uns in Deutschland sind 1% des Eigenkapitals in Arbeitnehmerhand, in Frankreich bis zu 10 %. Die europäische Kommission arbeitet derzeit an einer Richtlinie zur Arbeitnehmerbeteiligung. Es gibt demnach ein hohes Interesse, dieses Thema neu aufzugreifen.
Immer häufiger wird heute im Zuge von Unternehmensübernahmen oder -fusionen das Management am Unternehmenskapital beteiligt. Wie stehen Sie dieser Entwicklung gegenüber?
Dr. Thomas Fischer: Dies wird von uns nicht unkritisch gesehen. Kurzfristige Aktienoptionen sind zum Beispiel für das Unternehmen auf Dauer nicht unbedingt von Vorteil. Dabei kann der langfristige Erfolg des Unternehmens auf der Strecke bleiben. Zudem ist natürlich auch das Risiko für den Arbeitnehmer kritisch zu hinterfragen. Er trägt zum einen das Risiko als Arbeitnehmer, seinen Arbeitsplatz zu verlieren, und gleichzeitig riskiert er auch noch den Verlust seiner Kapitalbeteiligung. „Alter und Erfahrung haben heute im Unternehmen nicht mehr den Stellenwert wie noch vor einigen Jahren.“
Warum ist Ihrer Meinung nach gerade heute eine Vertretung der Führungskräfte durch den VAA wichtig?
Dr. Thomas Fischer: Früher gab es eine Kultur, da konnte man sich darauf verlassen, dass die Unternehmen das Beste für ihre Führungskräfte erreichen wollten. Das ist heute nicht mehr selbstverständlich. Umstrukturierungen führen zu Unsicherheit. Die Mitarbeiter suchen Schutz, kompetente Beratung und Vertretung durch den VAA. Derzeit beobachten wir beispielsweise eine Beitrittswelle bei Schering. Dabei stehen Fragen im Zusammenhang mit dem Betriebsübergang, z. B. zu Kündigungen, Änderungskündigungen oder Aufhebungsverträgen im Vordergrund.