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Grenzen und Möglichkeiten für Bio-Klebstoffe

Interview mit Dr. Jürgen Wegner über Kleb- und Dichtstoffe auf nachwachsender Rohstoffbasis

12.03.2013 -

Grüne Chemie und nachhaltige Produkte sind in aller Munde. Doch können im Bereich der Kleb- und Dichtstoffe wirklich sämtliche petrochemische Rohstoffe ersetzt werden? Dr. Jürgen Wegner, Geschäftsführer von ChemQuest, verneinte dies in einer 2008 erschienenen Buch-Veröffentlichung. Er kam zu dem Schluss, dass allen internationalen Initiativen, Anstrengungen der chemischen Industrie und Forschungsprojekten zum Trotz der Anteil nachwachsender Rohstoffe an der Formulierung von Kleb- und Dichtstoffen auch langfristig nur eine Nebenrolle spielt. Dr. Birgit Megges befragte Wegner zu seiner heutigen Sicht der Dinge.

CHEManager: Herr Wegner, sind Sie auch heute noch der Meinung, dass die Dominanz der Petrochemie nicht zu bremsen ist?

J. Wegner: Kleb- und Dichtstoffe können mit Fug und Recht als „angewandte Polymere" bezeichnet werden, und die hoch innovative Polymerchemie dürfte in diesem kurzen Zeitraum von fünf Jahren ihren Erkenntnisgewinn glatt verdoppelt haben. Gleiches gilt für die Biochemie und insbesondere die Biomimetik, also dem Studium klebetechnischer Lösungen in der Natur und deren möglichst leistungsäquivalente Kopie. Mutter Natur ist erstaunlich vielschichtig, und hat durch Evolution Problemlösungen geschaffen, von denen wir in unserer heutigen Klebstoff-Realität nur träumen können. Ich denke etwa an Kleben und Entkleben auf Kommando, die Haftung auf nahezu allen Untergründen über und unter Wasser, und das frei von toxikologischen Risiken bei sensationeller Material-Effizienz, um nur ein paar wichtige Aspekte zu nennen. Die Biomimetik wird uns sicher helfen, mittel- bis langfristig die heute noch bestehenden Leistungslücken und -schwächen zu überwinden. Für die kommende Dekade sehe ich hier aber keinen wirklichen Durchbruch, durch besseres Verständnis von Mutter Natur zu fundamental neuen Problemlösungen zu kommen. Es ist schwer, Lösungen zu finden, die den harten Bedingungen heutiger Industrieproduktion und insbesondere der hochgradig automatisierten Serienfertigung gerecht würden, von zusätzlichen Funktionalitäten ganz zu schweigen, die wir heute bei synthetischen Klebstoffen fast als selbstverständlich ansehen.

Wo sehen Sie das Hauptproblem?

J. Wegner: Aus vielfältigen Gründen geht in der modernen Verbindungstechnik der Trend weg von mechanischen und/oder schweißtechnischen Lösungen hin zur Klebeverbindung. In der Industrieproduktion geht der Trend eindeutig in Richtung Automation mit ständig kürzeren Zykluszeiten. Kostendruck, Materialeffizienz und Leistungsgarantien sprechen allesamt für die Klebetechnik. Aber eben nicht für den einen universalen Klebstoff, der als Alleskönner in jeder beliebigen Anwendung zum Einsatz käme - ganz im Gegenteil: Jede ­Aufgabe erfordert seinen ganz spezifischen Klebstoff, der nach Parametern wie beispielsweise Fließverhalten, Benetzung, Abbindegeschwindigkeit, Klebkraft, Spaltüberbrückung oder Alterungsbeständigkeit in einem sehr aufwändigen Feintuning-Prozess optimiert werden muss. Ist diese Feinjustierung erst einmal erfolgt, muss dieses Profil in einem engen Qualitätskorridor zuverlässig reproduzierbar eingehalten werden. Dem Abbindeverhalten kommt eine besondere Bedeutung zu: Sie kann durch chemische oder physikalische Einflüsse sehr eng beeinflusst und definiert werden, erfordert aber auch eine enge Definition der chemischen Basis...

...und die gibt es bei natürlichen Rohstoffen nicht?

J. Wegner:
Das Problem ist, dass natürliche Rohstoffe immer einer gewissen Variationsbreite unterliegen, selbst wenn sie durch chemische Prozesse besser einsatzfähig gemacht, gleichzeitig dann aber auch denaturiert werden, und somit ihre ursprünglicheForm längst verloren haben.
Wie unterscheiden sich die Einsatzgebietepetrochemisch- und nicht-petrochemisch-basierter Klebstoffe?
J. Wegner: Aus petrochemisch basierten Klebstoffen auf beispielsweise Silikon-, Acrylat- oder Polyurethan-Basis werden Hochleistungs-Kleb- und Dichtstoffe formuliert, unter denen Struktur-Klebstoffe zur Königsklasse mit höchsten Wachstumsraten zählen. Allenfalls trifft man bei diesen Stoffen auf nachwachsende Rohstoffe als molekulare Bausteine in Form von Dimerfettsäuren, bestimmten Kolophonium-Derivaten oder natürlichen Polyolen. Auf der anderen Seite stellen Stärkeprodukte, Dextrine und Cellulose den ­Löwenanteil an nachwachsenden Rohstoffen. Sie sind aufgrund ihres Eigenschaftsspektrums sicher hervorragende Etikettier-Klebstoffe oder Tapetenkleister; man bewegt sich hier aber auf einem eher bescheidenen Leistungsspektrum. In dem Bereich sehe ich bis auf weiteres das Haupteinsatzgebiet für nachwachsende Rohstoffe innerhalb unserer Industrie.
Können Sie sich unter diesen Umständen überhaupt einen „Bio-Klebstoff" mit hohem Leistungsanspruch vorstellen?
J. Wegner: Im definitorischen Sinne sicher zunächst so lange nicht, bis die Biomimetik zu den gewünschten, radikal neuen Technologien geführt hat, die dann den strukturellen Verbund hoffentlich mit einbezieht. Ob damit aber Funktionalitäten ebenfalls mit übernommen werden können, die Kleb- und Dichtstoffe heute miterfüllen, ist für mich allerdings noch sehr zweifelhaft. Denken wir nur an leitfähige oder isolierende Klebstoffe, an Korrosionsschutz, an Vibrations-Dämpfung, Schall-Unterdrückung und Spannungsausgleich. Für diese Eigenschaften gibt es meines Wissens auch keine Entsprechungen in der Natur, aber da verbergen sich sicher auch noch ein paar Überraschungen, wenn man der Natur nur noch näher über die Schulter schaut.

Beim Thema Nachhaltigkeit spielen Umweltaspekte immer eine große Rolle. Wie sieht es aus, wenn man Kleb- und Dichtstoffe unter diesem Gesichtspunkt betrachtet?

J. Wegner: Unabhängig von ihrer chemischen Basis sind Kleb- und Dichtstoffe häufig genug in ihrer Anwendungsphase sicher nicht „bio", aber äußerst umweltfreundlich und nachhaltig. Sie ermöglichen technische Lösungen, mit denen, gemessen an den einzusetzenden Materialmengen an Kleb- und Dichtstoffen, eine um mehrere Zehnerpotenzen höhere „Umwelt-Rendite" erwirtschaftet werden kann. Man denke nur an Gebäudeisolierung, an Isolierverglasung, oder aber an den Leichtbau im Transportbereich, wo die Klebstoffe eine Schlüsselrolle bei Crash-festen Multikomponenten-Systemen übernehmen, die wiederum Voraussetzung für reduzierte CO2-Emissionen durch deutlich geringeren Spritverbrauch sind.

Was würden Sie klassischen Klebrohstoff-Herstellern für einen Rat mit auf den Weg geben?

J. Wegner: Biomasse als Rohstoff-Quelle ist viel zu interessant, als dass sie vernachlässigt werden könnte. Längerfristig muss dieser Weg ohnehin gegangen werden, weil die petrochemische Basis mangels Masse verlassen werden muss. Befeuert wird dieses Szenario, weil durch Gas-Fracking und entsprechende Cracker-Umstellungen die Verfügbarkeit mancher Ausgangs-Rohstoffe eher problematischer zu werden droht. Moderne Fermentationsprozesse von land- und forstwirtschaftlichen Abfall-Produkten, die Zugang zu C2, C3 und C4, eines Tages auch zu C5 und C9 ermöglichen, sind sicher ein Weg, um strategische Absicherung zu betreiben. Allerdings ist das aus „Bioethanol" hergestellte Polyethylen ebenso wenig „bio" wie ein PU-Schaum auf Basis von Soyapolyol, oder ein Epoxidharz, das Molekülsegmente auf nachwachsender Rohstoffbasis enthält. Die Rohstoff-Hersteller und auch die Klebstoff-Formulierer sollten extrem vorsichtig sein, mit Bio-Argumenten auch nur den Verdacht von Greenwashing entstehen zu lassen.Jeder sollte stattdessen immer die Umweltrendite im Auge behalten, die die Produkte in ihrer Anwendungsphase einfahren.

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