Chemiekonjunktur: Schuldenkrise erreicht Europas Chemiegeschäft
Die Schuldenkrisen in den USA und Europa werden mehr und mehr zu einer Belastung für die Realwirtschaft.
Die Schuldenkrisen in den USA und Europa werden mehr und mehr zu einer Belastung für die Realwirtschaft. Noch zu Beginn des Jahres 2011 wuchs die europäische Wirtschaft dynamisch. Die Finanzmarktkrise schien überwunden. Das Vorkrisenniveau war vielerorts wieder erreicht. Die Stimmung bei Unternehmen und Konsumenten war gut. Es gab berechtigte Hoffnungen auf eine Fortsetzung des Aufschwungs.
Im Sommer trübte sich die Stimmung aber angesichts der Zuspitzung der Staatsschuldenkrise in Griechenland zunehmend ein. Die Politik schaffte es nicht, die Märkte zu beruhigen. Die Börsen brachen ein. Dies hatte zunächst kaum Auswirkungen auf die Realwirtschaft. Die Industrie konnte im zweiten und dritten Quartal zwar nur noch leicht zulegen. Die nachlassende Dynamik war aber angesichts auslaufender Konjunkturprogramme und der einsetzenden Konsolidierung der Haushalte erwartet worden. Dennoch nahm bei Bürgern und Unternehmen die Verunsicherung zu.
Dies führte zu Kaufzurückhaltung und damit zu einem Nachfragerückgang in der Wirtschaft. Einige Branchen begannen die Produktion zu drosseln. Vor dem Hintergrund einer sich abzeichnenden Abkühlung der Industriekonjunktur begannen die Wirtschaftsforschungs- und Finanzinstitute ihre Prognosen für 2012 abzusenken. Mittlerweile sehen viele Europa bereits am Rande einer Rezession.
Auch wenn das Risiko für einen konjunkturellen Rückschlag zugenommen hat, geht der Verband der Chemischen Industrie (VCI) weiterhin von einer Fortsetzung des Wachstumstrends aus. Es geht weiter aufwärts, aber langsamer (Grafik 1).
Chemieproduktion bleibt stabil
Seit fast drei Jahren ging es in der europäischen Chemieindustrie aufwärts. Zu Jahresbeginn 2011 konnte die europäische Chemieproduktion noch einmal kräftig ausgeweitet werden. Anschließend mussten die Chemikalienhersteller ihre Produktion jedoch leicht drosseln (Grafik 2). Die Nachfrage hatte sich auf hohem Niveau abgeschwächt. Dennoch waren die Produktionskapazitäten mit knapp 83 % gut ausgelastet. Im dritten Quartal stabilisierte sich dann die Produktion auf dem Niveau des Vorquartals. Die europäische Chemieproduktion blieb damit trotz der Finanzmarktturbulenzen stabil.
Zwar produziert die europäische Chemieindustrie insgesamt schon wieder über dem Vorkrisenniveau. Das gilt aber längst nicht für alle Chemiesparten. Ein kräftiges Plus gab es lediglich bei den Pharmazeutika und den Konsumchemikalien. Die Grundstoffchemie, zu der neben den anorganischen Grundstoffen und den Petrochemikalien auch die Polymere zählen, sowie die Spezialitätenchemie konnten noch nicht ganz an die guten Zeiten anknüpfen.
Im bisherigen Jahresverlauf 2011 konnten jedoch alle Chemiesparten zulegen (Grafik 3). Die größten Zuwächse gab es bei anorganischen Grundstoffen, Konsumchemikalien sowie Arzneimitteln. Die Fein- und Spezialitätenchemie konnte demgegenüber ihre Produktion kaum noch ausdehnen.
Preisauftrieb flacht ab
Im Zuge der Erholung kletterten weltweit die Rohstoffpreise. Das galt besonders für Naphtha, dem wichtigsten Rohstoff der europäischen Chemieindustrie. Auch die Energiepreise zogen deutlich an. Viele Unternehmen konnten die Kosten im Zuge des weltweiten Aufschwungs an die Kunden weitergeben. Seit Jahresbeginn 2011 gaben die Ölpreise jedoch leicht nach. Da der Euro gegenüber dem Dollar stabil war, sanken auch die Europreise für Naphtha. Gleichzeitig flachte sich der Preisauftrieb bei Chemikalien ab (Grafik 4).
Offensichtlich versuchten die Chemieunternehmen das Preisniveau zu halten, um ihre Erträge zu stabilisieren. Dafür nahmen sie sogar leichte Rückgänge im Mengengeschäft in Kauf. Die Ertragslage dürfte daher weiterhin gut sein. Chemikalien waren im bisherigen Jahresverlauf durchschnittlich 7 % teurer als ein Jahr zuvor. Die größten Preiszuwächse gab es dabei in den rohstoffnahen Sparten.
Exportgeschäft erhält Dämpfer
Angesichts einer guten Mengen- und Preisentwicklung konnten die europäischen Chemieunternehmen ihren Umsatz bisherigen Jahresverlauf weiter ausdehnen. Allerdings hat sich die Dynamik nach dem starken Jahresbeginn deutlich abgeschwächt (Grafik 5). Bei den industriellen Kunden war zunehmend eine Verunsicherung spürbar. Zwar waren die Auftragsbücher der europäischen Industrie nach wie vor gut gefüllt.
Doch die Produktion wurde zuletzt nicht mehr ausgeweitet, weil man es vermeiden wollte mit hohen Lagerbeständen bei den Fertigwaren in eine konjunkturelle Abkühlungsphase einzutreten. Das war eine der Lehren der Krise von 2008/2009. Weil man nun versuchte, die Bestände der Wareneingangsläger herunterzufahren, bestellte die Industrie nun weniger Vorprodukte. Das bekamen die Hersteller von Vorleistungsgütern zu spüren.
Auch im Chemiegeschäft ging die Nachfrage zurück. Insgesamt blieben die Geschäfte aber stabil. Im bisherigen Jahresverlauf konnte die Branche daher ein Umsatzplus von mehr als 10 % verbuchen. Die Impulse aus dem Ausland ließen aber zunehmend nach. Nach einem Plus von 14 % im Januar drehten die Exporte im bisherigen Jahresverlauf in den roten Bereich. Im Sommer lagen die Exportzahlen um bis zu 7 % niedriger als ein Jahr zuvor. Vor allem die schwache US-Konjunktur bremste die europäischen Chemieexporte.
Wachstumspause in Sicht
Angesichts der anhaltenden Verunsicherung und der ungelösten Staatsschuldenkrisen hat sich die Stimmung in der europäischen Chemieindustrie zuletzt abgekühlt. Die aktuelle Lage wird zwar überwiegend positiv eingeschätzt. Bezüglich der Entwicklung in den kommenden Monaten ist man jedoch vorsichtig. Bisher rechnen die meisten Experten für das kommende Jahr mit einem - wenn auch bescheidenen - Wirtschaftswachstum. Auch in der Industrie dürfte es weiter aufwärts gehen.
Da die Läger weitgehend geräumt sein dürften und die Wachstumsaussichten im Exportgeschäft positiv sind, wird auch die Chemieproduktion im Gesamtjahr 2012 weiter ausgedehnt. Das Wachstum schmilzt aber auf 1,5 % ab. Nach der raschen Erholung der beiden vorangegangenen Jahre legt die europäische Chemie nun eine Wachstumspause ein. Rückschläge sind dabei nicht auszuschließen.
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