Europäischer Emissionshandel: neue Regeln gelten ab 2013
14.10.2011 -
Benchmark statt Auktion. Im europäischen Emissionshandel gelten ab 2013 neue Regeln. Es war spannend bis zuletzt. Noch kurz vor der Verabschiedung der neuen EU-Richtlinie zum Emissionshandel im Dezember wusste niemand, welche Regeln das Europaparlament für das Emissionshandelssystem ab 2013 festlegen würde.
Nun steht es fest: Das Europaparlament hat sich gegen eine Vollauktionierung der CO2-Zertifikate für Anlagen der energieintensiven Industrien entschieden und ist damit Forderungen unter anderem des Verbandes der chemischen Industrie entgegen gekommen. Doch auch mit diesen Verbesserungen rechnet Dr. Jörg Rothermel mit Zusatzbelastungen von bis zu 900 Mio. € pro Jahr für die deutschen Chemieunternehmen, wie er im Gespräch mit Chemanager erläutert. Das Interview führte Maria Knissel.
CHEManager: Herr Dr. Rothermel, der VCI hat sich vehement dafür eingesetzt, dass die CO2-Emissionsrechte für die chemische Industrie auf der Grundlage von Benchmarks kostenlos vergeben werden und nicht auktioniert, also versteigert werden. Die Europäische Kommission ist der chemischen Industrie hier weit entgegen gekommen. Ist dies ein Rückschritt für den Klimaschutz, wie es Umweltorganisationen kritisieren?
Dr. Jörg Rothermel: Der Emissionshandel ist das einzige Klimaschutzinstrument, bei dem vorab schon feststeht, dass es sein Ziel erreicht. Denn es werden so genannte Caps gesetzt: Die Menge der ausgegebenen Verschmutzungsrechte wird begrenzt und sukzessive reduziert. 2020 werden nur noch 79 % der Zertifikate im Vergleich zu 2005 zur Verfügung stehen. Damit wird das CO2-Reduktionsziel also definitiv realisiert, unabhängig davon, ob die Zertifikate kostenlos auf der Grundlage eines Benchmark-Systems ausgegeben oder ob sie in einer Auktion versteigert werden. Das Einzige, was wir bei dem Vergleich von Benchmark oder Auktion tatsächlich diskutieren, ist also, ob der Staat das Geld einnimmt oder ob es bei den Unternehmen verbleibt.
Was ist also die Position des VCI?
Dr. Jörg Rothermel: Wir haben vorgeschlagen, die Zertifikate für unsere Produktionsanlagen auf einer technologisch orientierten Basis kostenlos auszugeben, nämlich auf der Grundlage von Benchmarks. Dabei dienen die hinsichtlich ihrer Klimaeffizienz besten Anlagen als Maßstab. Sie benötigen für ihre Produktion keine Emissionsrechte. Denn der Schritt, weitere Emissionen über diesen Wert hinaus zu streichen, käme einem „Produktionskiller“ gleich: Wenn keine technische Möglichkeit mehr besteht, den CO2-Ausstoß noch weiter zu senken, verteuert der Kauf von Emissionsrechten direkt die Produktionskosten und verringert damit die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. Anlagen, die schlechter als dieser Benchmark sind, müssen natürlich Emissionsrechte zukaufen. Hier müssen die Betreiber dann entscheiden, ob sie besser in Zertifikate oder in effizientere Technologien investieren wollen.
Warum hat sich gerade die chemische Industrie so vehement gegen eine Vollauktionierung gewandt?
Dr. Jörg Rothermel: Der Emissionshandel ist ein einfaches, wirksames und vernünftiges Instrument. Und eine Auktion ist im Prinzip auch das einfachste und gerechteste Mittel der Zuteilung von Emissionszertifikaten. Nur müssen für alle Player in einem Markt tatsächlich die gleichen Bedingungen gelten. Dann bezahlt die daraus entstehende Belastung letztendlich der Verbraucher. Wird das System aber nicht für alle gleich gestaltet, hat der Verbraucher die Möglichkeit, sich für Produkte zu entscheiden, die dort hergestellt werden, wo keine zusätzlichen Kosten durch Emissionszertifikate entstehen. Diese Produkte können dann natürlich billiger angeboten werden. Ein europäischer Alleingang verursacht also einseitige Belastungen für die europäischen Produzenten, die im internationalen Wettbewerb stehen. Die Stromproduzenten haben dieses Problem nicht, da sie nur mit einem innereuropäischen Wettbewerb konfrontiert sind. Hier funktioniert das System der Auktionierung. Die Stromproduzenten können ohne Probleme die Kosten für die Zertifikate über den Strompreis weitergeben.
Welche Belastungen entstehend für die Chemieunternehmen denn durch den Emissionshandel?
Dr. Jörg Rothermel: Die chemische Industrie ist dreifach belastet: Erstmalig werden in Zukunft in größerem Maße chemische Produktionsanlagen in den Emissionshandel aufgenommen, wie z. B. Ethylencracker oder Anlagen für die Produktion von Ammoniak und Ruß oder Soda. Die zweite Belastung entsteht bei unseren eigenen Anlagen zur Energieerzeugung, die zum größten Teil mit dem Prinzip der Kraft-Wärme-Kopplung arbeiten. Hier sind wir nicht glücklich über die Entscheidung, dass KWK-Anlagen zu 100 % ihre Zertifikate für die Stromproduktion ersteigern müssen, da sie sehr effizient arbeiten. Die dritte und größte Belastung tragen alle Anlagen, die Strom verbrauchen.
Denn der Strompreis wird ansteigen, weil die Stromversorger die Kosten für die vollständig zu ersteigernden Zertifikate einfach 1:1 im Strompreis weitergeben werden. Nach dem Sachstand, den Rat und Parlament im Dezember letzten Jahres verabschiedet haben, erwarten wir, dass unsere Chemieanlagen als besonders bedrohter Sektor anerkannt werden. Das heißt, wir gehen davon aus, dass die Produktionsanlagen eine kostenlose Zuteilung auf Basis von Benchmarks erhalten und die stromintensiven Anlagen eine gewisse, aber sicherlich nicht vollständige Kompensation für die erhöhten Strompreise bekommen werden. Insgesamt erwarten wir jedoch trotz dieser Verbesserungen gegenüber dem ursprünglichen Vorschlag der Kommission Zusatzbelastungen bis zu 900 Mio. € pro Jahr für unsere Unternehmen.
Wird sich die Situation verbessern, wenn auch Länder wie die USA, China und Indien sich den internationalen Klimaschutzabkommen anschließen?
Dr. Jörg Rothermel: Es nutzt der Branche relativ wenig, wenn sich nur die USA einem Abkommen anschließen. Unsere Wettbewerber sitzen nicht in den USA, sondern im Wesentlichen im asiatischen Raum, im Mittleren und Fernen Osten. China wird eventuell mit einem gewissen symbolischen Beitrag an einem internationalen Klimaschutzabkommen beteiligt sein, der arabische Raum eher gar nicht. Gerade dort befinden sich aber unsere Hauptwettbewerber. Im Mittleren Osten werden derzeit Grundstoffchemie-Kapazitäten aufgebaut, die in der Größenordnung von ganz Europa liegen.
Müssen wir also damit rechnen, dass in Zukunft die chemischen Grundstoffe in Asien hergestellt werden und in Europa weiter verarbeitet werden?
Dr. Jörg Rothermel: Die reale Situation ist viel komplizierter. Man kann z. B. eine Ethylenproduktion nicht einfach in den Mittleren Osten verlegen. Ethylen wird – schon aus sicherheitstechnischen Gründen – nicht transportiert. Daher muss auch zumindest die zweite Stufe dort produziert werden. Ist ein solcher Prozess aber erst einmal eingeleitet, wird er nach und nach sämtliche weiteren Stufen nach sich ziehen. Dazu kommt, dass unsere Wettbewerber in den arabischen Ländern bereits mit günstigeren Rohstoffbedingungen in die Produktion gehen.
Erhalten sie zusätzlich noch einen weiteren gravierenden Standortvorteil frei Haus, weil wir unsere Produktion durch den europäischen Emissionshandel verteuern, ist es nur eine Frage der Zeit, bis die restliche Chemieproduktion auch in diese Region abwandert. Dies, das muss man sich klar vor Augen führen, würde in Deutschland nicht nur die über 400.000 Chemie-Arbeitsplätze treffen, sondern auch die der Folgeindustrien: Wenn das Polyurethan für einen Autositz nicht mehr hier hergestellt und geschäumt wird, dann wird über kurz oder lang auch der komplette Autositz nicht mehr in Deutschland gefertigt.
Sie haben die Rohstoffe angesprochen. Für die Chemieindustrie ist Erdöl ja nicht nur Energieträger, sondern auch existenziell wichtiger Rohstoff …
Dr. Jörg Rothermel: Richtig. Da wir bei den fossilen Rohstoffen in Europa weitestgehend von außereuropäischen Regionen abhängig sind, müssen wir uns Gedanken über unsere eigene Rohstoffversorgung machen. Dies hat man auch auf Ebene der EU erkannt und will eine europäische Energieaußenpolitik aufbauen.
Der Einsatz von Erdöl für stoffliche Zwecke in der Chemieindustrie liegt allerdings bei weniger als 5 %. Wir sind also nur ein relativ kleiner Verbrauchsfaktor. Trotzdem beschäftigt sich die Branche sehr intensiv mit alternativen Rohstoffstrategien wie z. B. die Nutzung von nachwachsenden Rohstoffen. Außerdem wird auch über eine Renaissance der Kohlenutzung diskutiert. In China und in Südafrika beispielsweise werden gerade neue Kapazitäten zur Nutzung von Kohle für die Chemie aufgebaut. Das ist eine Tatsache. Ob die Kohlenutzung in Europa Fuß fassen kann, wird erheblich von den politischen Rahmenbedingungen – wie z. B. dem Emissionshandel – abhängen.