Pharmapreise unter Druck
Gesundheitspolitik verschärft den Wettbewerbsdruck auf forschende Pharmaunternehmen in Deutschland
Im Jahr 2010 haben die forschenden Pharmaunternehmen 24 neue Medikamente auf den Markt gebracht. Die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen für Arzneimittel sind nur um 0,6 % auf 28,1 Mrd. € gestiegen. Und das vorhergesagte Milliardendefizit bei den Krankenkassen für das Jahr 2011 hat sich binnen Kurzem in Milliardenüberschüsse verwandelt: Statt einem Minus von rund 3,2 Mrd. € werden nun Überschüsse von 3,5 Mrd. € für 2011 erwartet. Auf den ersten Blick drei gute Nachrichten aus Berlin im vergangenen September. Doch die deutschen Pharmahersteller warnen: Neben zahlreichen Arbeitsplätze in der deutschen Pharmaindustrie ist auch die angemessene Versorgung der Patienten mit Innovationen in Gefahr.
Die Nachricht sorgte für Aufsehen: Nachdem das Diabetes-Medikament Trajenta - eine gemeinsame Entwicklung von Boehringer Ingelheim und Eli Lilly - bereits seit Mai dieses Jahres in den USA und seit Juli in Japan erhältlich ist, meldeten die Unternehmen Ende August die erfolgreiche Zulassung des Wirkstoffs durch die europäische Behörde EMEA. Die Pille, deren weltweites jährliches Umsatzpotential Experten auf über 1 Mrd. US-$ schätzen, soll nun so schnell wie möglich in Europa auf den Markt kommen - jedoch nicht in Deutschland. „Der in Deutschland zu erwartende Preis spiegele nicht den Innovationscharakter des Medikaments wider", begründeten die Konzerne die Entscheidung.
Die Unternehmen reagieren damit auf die sogenannte frühe Nutzenbewertung neuer Arzneimittel, die seit Jahresanfang im Gesetz zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes (AMNOG) vorgeschrieben ist. Während bislang ein Pharmaunternehmen den Preis für ein neues, patentiertes Medikament selbst festgelegt hat, muss es nun gemäß AMNOG ein Dossier zum Nutzen eines Präparats beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) einreichen. Der G-BA oder das von ihm beauftragte Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) bewertet dieses Dossier innerhalb von drei Monaten. Ein B-GA-Gremium besetzt mit Ärzten sowie Vertretern aus Kliniken und Krankenkassen stellt dabei den Zusatznutzen des neuen Arzneimittels gegenüber einer sogenannten Vergleichstherapie fest. Auf Basis dieser Bewertung wird der Erstattungsbetrag für das Arzneimittel mit den Krankenkassen verhandelt und damit der Preis, den das Unternehmen ein Jahr nach Markteinführung für sein Produkt erhält. Wird kein Zusatznutzen nachgewiesen, wird das Präparat automatisch in die sogenannten Festbetragsgruppen eingeordnet, deren Preisniveau von kostengünstigen Generika bestimmt wird.
Deutsche Pharmapreise ausschlaggebend für den wirtschaftlichen Erfolg
Mittelfristig kann dies nach Experteneinschätzungen Umsatz- und Ertragseinbußen in zweistelliger Milliardenhöhe für Pharmaunternehmen bedeuten. Denn weltweit über 80 Länder orientieren sich an den Preisen, die Hersteller in Deutschland für ein neues Medikament erzielen. Sinken die Preise in Deutschland, so ist beispielsweise das Medikament auch in osteuropäischen Ländern weniger wert.
Dies mag auch für das Schweizer Unternehmen Novartis ein Grund gewesen sein, den erst im April 2011 zugelassenen Blutdrucksenker Rasilambo bereits im September in Deutschland wieder vom Markt zu nehmen. Offiziell begründete Novartis den Rückzug damit, dass der G-BA für die Nutzenbewertung wissenschaftliche Daten zur Vergleichstherapie angefordert habe, die dem Unternehmen nicht vorlagen. Auch Pfizer muss derzeit fürchten, dass ein wichtiger Umsatzträger, das Schmerzmittel Lyrica, durch die Nutzenbewertung in die Festbetragsgruppe eingeordnet wird. Insgesamt befinden sich derzeit etwa 20 Präparate in der Bewertung.
„Frühe Nutzenbewertung und Preisverhandlungen können gute Steuerungsinstrumente zum Ausgleich von Versorgungsqualität und Höhe des Preises sein. Erste Erfahrungen forschender Pharmaunternehmen mit der frühen Nutzenbewertung geben jedoch Anlass zur Sorge, ob diese Balance auch gelingt", sagt Birgit Fischer, Hauptgeschäftsführerin des Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (VfA) und fordert eine politische Moderation dieses AMNOG-Prozesses. Das Ringen um Bewertungs- und Vergleichskriterien, dürfe nicht dazu führen darf, dass Innovationen künftig blockiert werden und der heute hohe Standard der Versorgungsqualität in Deutschland gefährdet wird, fordert der VfA.
Pharmaindustrie gewährt über 2 Mrd. € Rabatte
Das AMNOG soll zusammen mit einem seit August 2010 geltenden Spargesetz - das angesichts drohender Defizite der Krankenkassen unter Gesundheitsminister Rößler verabschiedet wurde - die Kassen um insgesamt 2,2 Mrd. € pro Jahr entlasten. Bis die Nutzenbewertung im Jahr 2013 völlig greift, sind die Pharmapreise eingefroren, zudem zahlen die Hersteller erhöhte Zwangsrabatte von 16 % statt 6 %. Letztere trugen maßgeblich dazu bei, dass die Ausgaben der Krankenkassen für Arzneimittel im Jahr 2010 mit rund 28 Mrd. € erstmals seit Jahren konstant geblieben sind. Die Hauptlast dabei trugen die Arzneimittelhersteller. Allein durch die Zwangsabschläge stiegen ihre Belastungen von 934 Mio. € im Jahr 2009 auf rund 1,5 Mrd. € im Jahr 2010; für 2011 werden über 2 Mrd. € prognostiziert. Bei einigen mittelständischen Unternehmen, summieren sich die Zwangsrabatte bis auf die Höhe des Jahresüberschusses. „Wir haben unseren Sparbeitrag zur Stabilisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung längst geleistet, jetzt muss endlich Schluss sein mit der einseitigen Kostendämpfung und Regulierungswut", kritisierte daher Henning Fahrenkamp, Hauptgeschäftsführer des Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) anlässlich der jährlichen Veröffentlichung der Pharmadaten Ende September. „Die Zwangsmaßnahmen müssen schnellstens zurückgenommen werden, auch um kleinen und mittelständischen Unternehmen endlich wieder Investitions- und Wachstumschancen zu ermöglichen. Die Pharma-Daten 2011 bestätigen: Das Gift des gesundheitspolitischen Dirigismus lähmt den Pharmastandort Deutschland immer mehr."
Mehr auf Kooperation als Konfrontation setzt der VfA unter seiner neuen Geschäftsführerin: „Auch wir möchten, dass wirksame und neue Arzneimittel finanzierbar bleiben und den Patienten in der Versorgung zur Verfügung stehen. Darum brauchen wir eine Balance zwischen notwendigen Investitionen für die Erforschung neuer Arzneimittel und den Therapiekosten für Patienten", sagt Fischer. Der Verband erarbeitet derzeit ein Grundsatzpapier zu diesem Thema, das im November von den Mitgliedsunternehmen verabschiedet werden soll.
Pharmakonzerne planen weltweiten Stellenabbau
Zwar spielen Zwangsrabatte und die Restriktionen bei der Preisgestaltung neuer Arzneimittel in Deutschland angesichts weltweiter Entwicklung am Pharmamarkt für internationale Konzerne eine untergeordnete Rolle, doch können sie dazu beitragen, die Positionen der deutschen Standorte im konzerninternen Wettbewerb um Arbeitsplätze und Investitionen zu schwächen. Und das zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Denn in den kommenden Jahren erwartet die Branche deutliche Umsatzeinbußen. Allein bis zum Jahr 2015 verliert ein Drittel der weltweit wichtigsten Arzneimittel den Patentschutz. Insgesamt ist ein Umsatzvolumen von 119 Mrd. € davon betroffen.
Vor diesem Hintergrund präsentieren aktuell zahlreiche Pharmakonzerne neue Strategien zur Kostensenkung und Sicherung des künftigen Wachstums. So kündigte beispielsweise Pfizer beim letzten Quartalsbericht den Abbau von weltweit zusätzlich 5000 Stellen an. Insgesamt will der Konzern 16000 Mitarbeiter, 15 % der Belegschaft, entlassen. In Deutschland sollen 500 der 4000 Pfizer-Arbeitsplätze entfallen.
Auch Sanofi präsentierte vor wenigen Wochen ein Programm zur Effizienzsteigerung an, dass 2 Mrd. € an Kosten einsparen soll. Belegschaftsvertreter rechnen damit, dass 400 Stellen in der Forschung am Standort Frankfurt-Hoechst von den Sparmaßnahmen betroffen sein könnten.
Dr. Andrea Gruß