Wachstumsimpulse und Wettbewerbsvorteile
Langfristige Innovationsstrategien in Zeiten knapper Kassen
Kontinuierliche Innovation ist für alle Unternehmen der chemisch-pharmazeutischen Industrie nicht bloß ein Schlagwort, sie ist der entscheidende Schlüssel für den zukünftigen unternehmerischen Erfolg. Zahlreiche Beispiele aus der Vergangenheit belegen, dass nachhaltige Wachstumsimpulse durch Innovationen getrieben werden. Zugegeben: Es ist möglich, auch durch Akquisitionen Umsätze kurzfristig aufzublähen, aber diese Form von nicht-organischem Wachstum ist wohl treffender als Agglomeration zu bezeichnen. Unternehmen können nur dann über einen längeren Zeitraum ein überdurchschnittliches Wachstum aufweisen, wenn sie sich in puncto Innovation dauerhaft Wettbewerbsvorteile erarbeiteten. Diese basieren in der Regel auf langfristigen Forschungs- und Entwicklungsvorhaben, die über mehrere Dekaden hinweg im Unternehmen betrieben wurden.
Das klingt zunächst trivial, ist in der Praxis aber oft - gerade unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit - schwer umzusetzen. Dies gilt bereits zu konjunkturellen Hochzeiten: Seit der Auflösung der großen Zentralforschungsabteilungen müssen heute dezentral aufgestellte F&E-Abteilungen ihre Budgets mit den dazugehörigen Geschäftsbereichen verhandeln - in der Hoffnung, dass die (oftmals langfristigen) Forschungsschwerpunkte mit den (oftmals kurzfristig artikulierten und kurzfristig zu behebenden) Kundenproblemen vereinbar sind. Dies gilt aber umso mehr noch in den heutigen Zeiten der andauernden Wirtschaftskrise, wo liquide Mittel knapper sind und Investitionen in Innovationen wieder verstärkt als Kosten (und eben nicht als Investitionen) gesehen werden.
Innovationsmanagement
Welche Antworten gibt nun das Innovationsmanagement auf dieses Dilemma?
Der traditionelle Kernbereich des Innovationsmanagements für forschende Unternehmen der chemisch-pharmazeutischen Industrie ist das F&E-Management. Dieses sollte zwei Dimensionen gleichermaßen adressieren: Die operative (vornehmlich: Projektmanagement) und die strategische (vornehmlich: Portfoliomanagement). Das operative F&E-Management zielt auf ein „doing the things right" ab, das strategische F&E-Management auf ein „doing the right things".
Chemie- und Pharmaunternehmen begannen relativ früh mit der Gestaltung von Werkzeugen und Prozessen für das operative F&E-Management, etwa in Form von Projektmanagment und Stage-Gate-Prozessen. So hat sich Projektmanagement in der chemischen Industrie seit Jahren mit Erfolg etabliert: Wesentliche Aspekte der Projektorganisation, die zu Beginn des Projektes festgelegt werden sollten, sind die Aufbauorganisation des Projektes (reines Projektmanagement oder Matrixorganisation), die Definition des Projektziels und die Planung der Ablauforganisation mittels Phasen und Meilensteinen. Vor Projektbeginn wird auch die Realisierungsplanung mittels Projektstrukturplan, Termin- und Kostenplanung in hinreichendem Detaillierungsgrad vorgenommen. Während des Projektverlaufs kommen dann Methoden der Projektabwicklung und -steuerung bzw. des Projektcontrollings zum Einsatz.
Gerade wenn man nun aber echte Breakthrough-Innovationen anstrebt, ist zu beachten, dass bei einer zu engmaschigen Kontrolle der F&E-Projekte („Controls Too Tight") jede Innovation im Keim erstickt wird. Dies gilt insbesondere dann, wenn auf Innovationsvorhaben die gleichen Planungs-, Budgetierungs- und Review-Prozesse angewendet werden, die primär für bereits existierende Geschäfte etabliert wurden.
Priorisierung, Selektion, Meilensteine
Freilich sollten alle Projekte periodisch einem Review unterzogen und hieraus korrigierende Maßnahmen in Form von Priorisierung und Selektion abgeleitet werden. Ebenso offenkundig ist es, dass der Projektfortschritt durch Meilensteine „getrieben" sein und ein disziplinierter Prozess für die Einstellung von Projekten existieren sollte. Jedoch sollte man das F&E-Projektmanagement im Unternehmen so konzipieren, dass es verschiedenartige Projekte auch unterschiedlich handhabt: Projekte sollten also in verschiedene Kategorien (etwa Maintenance, Line Extension, Breakthrough Innovation) eingeteilt werden, um diese verschiedenen Projekttypen dann nach unterschiedlichen, (angepassten) Managementprozeduren zu steuern. Gerade bei explorativen Forschungsvorhaben sollte man sich daran erinnern, dass erfolgreiche Innovation sowohl der Grundtugenden des Managements (Planung, Organisation, Kontrolle) als auch Freiräumen, Ausdauer und Kreativität bedarf.
Schon seit längeren hat man erkannt, dass ein operatives Projektmanagement auf Einzelprojektebene nur eine der beiden Säulen eines umfassenden F&E-Managements sein kann. Nur wenn auch die strategische Auswahl der Forschungsprojekte, das „doing the right things" in angemessener Weise gemanagt wird, kann eine Forschungsorganisation auf Dauer Erfolg haben. Oft krankt die Forschungspipeline an einem Mangel an strategischer Planung auf Multiprojektebene, der sich in den folgenden Symptomen manifestiert: Zu viele Projekte werden - oft ohne klaren Fokus - gestartet und man ist zögerlich, diese zu beenden. Die Projekte ringen dann miteinander um die knappen personellen und finanziellen Ressourcen, was sich letztendlich in hohen Fehlerraten sowie langen Entwicklungszeiten äußert. Speziell das Fehlen klarer Selektionskriterien für die Projektauswahl - sowie von Entscheidungskriterien für Projektfortführung oder -abbruch - haben fatale Folgen: Falsche (oder eine Vielzahl mittelmäßiger) Projekte werden initiiert und dann durch die Pipeline „durchgeschleppt". Fehlt es dann noch an der Ausarbeitung einer fokussierten Forschungsstrategie als Grundlage der Projektauswahl, so vollzieht sich die Produktentwicklung zerfleddert und abgekoppelt von der Geschäftsstrategie; sie ist dann nicht in der Lage, ihren Beitrag zur Unternehmensentwicklung zu leisten.
F&E-Portfoliomanagement
In den letzten Jahren rückt daher mehr und mehr auch das strategische F&E-Management (vor allem in Form des F&E-Portfoliomanagements) in den Blickpunkt. Auch hier haben alle größeren Chemieunternehmen entsprechende Tools und Prozesse etabliert und wenden diese nun konsequent an.
Beim Portfoliomanagement geht es zum einen um die Maximierung des ökonomischen Wertes des gesamten Portfolios aller Forschungsprojekte. Hierbei wird dieser ökonomische Wert in der Regel als NPV (Net Present Value) dargestellt, in neuerer Zeit finden auch Optionswertmethoden in der Praxis Berücksichtigung.
Zum anderen wird das Ziel verfolgt, ein „ausbalanciertes" Projektportfolio zu erhalten, wobei Balance in verschiedenen Dimensionen angestrebt werden kann, z.B. hinsichtlich einer ausgewogenen Mischung von langfristigen oder kurzfristigen Projekten, riskanten oder weniger riskanten Projekten oder einer angemessenen Verteilung der Projekte auf verschiedene Produktkategorien oder Märkte. Die Beantwortung der Frage, welches die „ausgewogene" oder „angemessene" Balance ist, ist eng verwoben mit der dritten Zielstellung des Portfoliomanagements, dem Bestreben, das Projektportfolio in Einklang mit der Geschäftsstrategie zu gestalten.
In der Regel - und hier bilden auch die Forschungsprojekte in der chemischen Industrie keine Ausnahme - korreliert die ökonomische Attraktivität eines Projektes mit seinem Risiko, so dass man typischerweise im Rahmen der Projektauswahl vor der Frage steht, ob man - bildhaft gesprochen - eher „die Taube auf dem Dach" oder den „Spatz in der Hand" fangen möchte. In Geschäftsbereichen, die im Rahmen der Unternehmensstrategie als Invest-Bereiche charakterisiert sind - von denen man sich also zukünftige Wachstumspotentiale verspricht - ist es durchaus angemessen, einen relativ hohen Anteil an attraktiven, aber durchaus hochriskanten Projekten im Portfolio zu haben. In den Cash-Bereichen, denen man nur noch moderate Wachstumspotentiale zuordnet, die aber gegenwärtig wichtige Ergebnisbeiträge liefern, sollte die kurzfristige risikoarme Anwendungsforschung dominieren.
Üblicherweise werden die einzelnen Forschungsvorhaben im Zuge des Portfoliomanagements nach einer Reihe von Kriterien bewertet, die sich zu konsolidierten Bewertungen wie Markt- und Technologieattraktivität bzw. Markt- und Technologierisiko zusammenfassen lassen. In der Regel wird die Information in graphischer Form in Form von Attraktivitäts-Risiko-Diagrammen (Bubble-Diagramme) oder Time-to-Market-Diagrammen verdichtet dargestellt; man versucht so, die Komplexität der Entscheidungssituation zu reduzieren.
Planungsphilosophie
Um jedoch auch hier nicht Projekt-Äpfel mit Projekt-Birnen zu vergleichen, hat es sich bewährt, sogenannte „Strategic Buckets" zu bilden. Projekte werden entsprechend ihrer Kategorie (s.o.) in „Buckets" zugeordnet und das Gesamtbudget für jeden Bucket vorab top-down festgelegt. Die Selektions-, Priorisierungs-, und Budgetierungs-Entscheidungen auf Projektportfolioebene finden dann innerhalb dieser Strategic Buckets statt. Langfristige Innovationsvorhaben etwa zum Aufbau von Technologieplattformen konkurrieren dann nicht mehr direkt mit kundennahen kurzfristgen F&E-Projekten um die (immer) knappen Ressourcen. Bei konsequenter Anwendung dieser Planungsphilosophie kann es gelingen, auch in Zeiten knapper Kassen finanzielle Mittel für langfristige Innovation bereitzustellen.
Zum Schluss noch einige Thesen: Innovation ist nicht gleich Innovation. Die Suche nach Gesetzmäßigkeiten (etwa auch durch die Lektüre des CHEManager) für erfolgreiche Innovationen hat nur begrenzten Erfolg. Jede Innovation verläuft anders, sonst ist sie keine. Gerade das Management von F&E ist von (meist inhärenten) Zielkonflikten geprägt (etwa: Schnelligkeit versus Risiko). „Tools" (Methoden & Prozesse) können diese Zielkonflikte nicht auflösen, sie jedoch transparenter machen. Der Einsatz von Tools kann und sollte jedoch dazu führen, dass alle am Innovationsprozess Beteiligten eine gemeinsame Sprache sprechen. So lautet denn auch der Ratschlag hinsichtlich der Implementierung von Tools: Zunächst sollte unter Einbeziehung aller „Betroffenen" die Ausarbeitung der Tools für F&E-Management erfolgen. Dann sollten diese in einer Pilotphase auf ihre Praxistauglichkeit geprüft werden. Nach ihrer Implementierung sollte man die Tools nur dann ändern, wenn signifikante Gründe dafür sprechen.
Um auch in Zeiten knapper Kassen Wachstumspotentiale durch Innovation zu generieren, müssen die altbewährten Maximen des Innovationsmanagements (verstanden als „doing the things right" und „doing the right things") nicht außer Kraft gesetzt werden. Darüber hinaus sollten bewährte Anregungen des klassischen Innovationsmanagements um Ansätze ergänzt werden, welche ebenfalls danach streben die Produktivität von Investitionen in Innovationen zu erhöhen: Der Innovationsprozess sollte nach innen und außen geöffnet werden, knappe Ressourcen sollten auch für radikale Breakthrough-Innovationen eingesetzt werden und man sollte die Forschungsagenda entschlossen und beständig auf einige wenige Innovationsfelder fokussieren.
GDCh-Kurs „Management von Forschung und Entwicklung in der Chemie",
22. und 23. September 2010, Frankfurt am Main
Leitung: Dr. Klaus Griesar
Kurs 929/10
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