Anlagenbau & Prozesstechnik

Wie Manufacturing-X auch im Mittelstand Realität werden kann

Die Industrie im digitalen Wandel und warum jetzt die Software-Anbieter gefragt sind

19.04.2024 - weiteren digitalen Transformation von Wirtschaft und Industrie. Auch wenn der Weg in eine neue europäische Datenökonomie damit vorgezeichnet ist, stellt sich die Frage, wie wir diesen erfolgreich bestreiten können. Auf welche Akteure kommt es jetzt besonders an, um föderative Datenräume für eine digitale Wertschöpfung, mehr Resilienz und Nachhaltigkeit baldmöglichst für Unternehmen und Organisationen Realität werden zu lassen?

Grundsätzlich soll mit Manufacturing-X ein einheitlicher Markt entstehen, der einen freien Datenfluss innerhalb der Europäischen Union und über Sektoren hinweg ermöglicht. Daher beteiligt sich auch alles, was in der Industrie und darüber hinaus Rang und Namen hat, an Manufacturing-X: Die Bundesregierung, große Verbände wie VDMA, ZVEI, VDI und Bitkom, die innovativsten Fertigungs- und IT-Unternehmen Deutschlands – darunter Bosch, die Telekom, SAP, Siemens, DMG Mori und Trumpf – sowie renommierte Forschungseinrichtungen wie Fraunhofer. Sie investieren Kapazitäten und Know-how in die Initiative, weil sie endlich Ernst machen wollen mit der Digitalisierung der deutschen Wirtschaft. Denn ohne eine gemeinsame Datenökonomie werden Digitalisierungsprojekte an der Oberfläche kratzen und nicht viel weiter als bis ans eigene Werkstor führen.

Eine wichtige Rolle im Rahmen von Manufacturing-X wird auch die Initiative Factory-X einnehmen, bei der mit rund 50 Partnern aus Wirtschaft, Forschung und Verbänden eine digitale Plattform explizit für den Datenaustausch in der Fertigungsindustrie aufgebaut werden soll. Während Manufacturing-X branchenübergreifend für die Industrie (von den Ausrüstern beziehungsweise dem Maschinenbau über Automotive bis hin zur Prozessindustrie) ausgerollt werden soll, ist Factory-X speziell für die deutsche Kernindustrie Maschinenbau gedacht, also das Pendant zu Catena-X für die Automobilbranche. Zur Diskussion stehen weitere Projekte wie Aerospace-X für die Luftfahrtbranche, Silicon-X für die Chip­industrie oder Process-X für die Prozessindustrie.

Konfektionierte Anwendungen aus der Schublade für hohe Nutzerakzeptanz

Es wird nun vor allem auf die Anbieter von Softwarelösungen ankommen, um Manufacturing- oder Factory-X zum Erfolg zu führen – sowohl zum Start als auch in puncto Skalierung in die breite Unternehmenslandschaft hinein. Nur mit einem breiten Manufacturing-X-Angebot an Standardsoftware wird es gelingen, flächendeckend die Nutzung föderativer Datenräume zu ermöglichen.

Insbesondere mittelständische Unternehmen werden nicht in der Lage sein, sich auf Basis isolierter und individueller Entwicklungsprojekte die umfangreichen Möglichkeiten der X-Initiativen zu erschließen. Das sollen sie auch nicht. Die Funktionen müssen durch die relevanten Software-Anbieter vielmehr einfach nutzbar gemacht werden. Diese Software-Anbieter, bspw. auch Anbieter von ERP- und MES-Systemen, müssen ihren Kunden und dem Markt möglichst früh die technischen und funktionalen Voraussetzungen anbieten, um den vorwiegend mittelständischen Anwendern eine einfache Nutzung, quasi „aus der Schublade“, zu ermöglichen. Ist dies nicht der Fall, droht ein Scheitern dieser Initiativen.

Manufacturing-X konkurriert mit KI, Cloud und SaaS-Modellen um Ressourcen

Das Problem: Dieses Erfolgskriterium wird heute von den bisherigen Protagonisten der X-Initiativen, so auch der Politik, noch viel zu wenig berücksichtigt. Die Anbieter von Standardsoftware-Systemen sind darüber hinaus nur in geringem Umfang an den Initiativen beteiligt. Für viele Softwareunternehmen sind die X-Initiativen noch nahezu unbekannt. Sie sind mit künstlicher Intelligenz, Cloud-Transformationen, Blockchain und vielen anderen Themen schon stark beschäftigt. Selbst bei Factory-X – dem Manufacturing-X Leuchtturmprojekt – sind im erfolgskritischen ERP- und MES-Bereich mit SAP und ProAlpha[1] bisher lediglich zwei Anbieter aktiv, um in den kommenden zwei Jahren X-kompatible Lösungen für ihre Kunden zu entwickeln. Dies ist eine bedenkliche Ausgangssituation, um Manufacturing-X möglichst frühzeitig und flächendeckend ausrollen zu können. Auch vor dem Hintergrund, dass sich viele Software-Anbieter gerade in einem großen Transformationsprozess durch KI, Cloud und SaaS-Geschäftsmodelle befinden und Manufacturing-X mit diesen Themen um Kapazitäten buhlen muss.

Hinzu kommt: Manufacturing-X ist ein Software-dominiertes Thema und betrifft nur in Teilen die Produktion. Die wesentlichen Themen sind Unternehmens- und Lieferkettenresilienz als auch Nachhaltigkeit, welche nur in Teilen produktionsrelevant sind. Dies wird heute noch zu wenig berücksichtigt und der Schwerpunkt fälschlicherweise und einmal mehr auf die Produktion gelegt. Das führt dazu, dass sich viele Anbieter außerhalb der Produktionsthemen nicht angesprochen fühlen.

Verbandsarbeit als Antriebsfeder

Auch dem mitgliederstärksten Fachverband Software und Digitalisierung innerhalb des VDMA mit seinen fast 600 Mitgliedsunternehmen kommt eine wichtige Rolle für den Erfolg zu. Die Mitgliedsunternehmen müssen bei der Entwicklung von Manufacturing- und Factory-X mitgenommen werden. Es müssen frühzeitig Lösungen vorbereitet werden. Das ist auch überwiegend angekommen und die notwendigen Maßnahmen werden aktuell geplant.

Denn eines ist klar: Wenn es uns nicht gelingt, frühzeitig ein breites Angebot „Manufacturing-X-ready“ zu machen, ist das Risiko eines Scheiterns nicht unerheblich. Mit einem breiten Angebot an standardisierten Manufacturing-X-Anwendungen anstelle von Hochglanzkonzepten und Individualprojekten sind Anwender deutlich einfacher zur Nutzung zu motivieren. Genau dies war im Übrigen eine der Ursachen für die ungenügende Umsetzung der Industrie-4.0-Initiative, die deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben ist.

Und nun? Vorbereitung auf die Umsetzung

Da die konkreten Manufacturing-X-Angebote erst über die nächsten zweieinhalb Jahre entstehen und dann noch in standardfähige Softwarelösungen überführt werden müssen, wird es noch einige Zeit bis zur breiten Verfügbarkeit dieser Lösungen dauern. In der Zwischenzeit sollten sich Anbieter und Anwender auf die föderativen Datenräume und das Arbeiten in Ökosystemen vorbereiten. Eine stärkere Orientierung an den wichtigsten, wie auch vielfach veröffentlichten Zielen von Manufacturing-X, wie etwa Resilienz, Nachhaltigkeit, und Wettbewerbsfähigkeit, wären in diesem Zusammenhang wünschenswert. Dabei ist eine weniger starke Fokussierung auf die Produktion und vielmehr eine ganzheitliche Sicht auf die Unternehmen und Ökosysteme erforderlich.

Es braucht zudem den Startschuss für eine breite Initiative, die Anbieter von relevanten Softwaresystemen frühzeitig mit auf die Reise nimmt und Lösungen von Beginn an „MF-X-ready“ entwickelt. Mit konkreten Lösungsangeboten sind dann auch mittelständische Unternehmen leichter zu überzeugen. Catena-X zeigt dies an den bereits vorhan­denen Use-Cases sehr deutlich. Zugegeben tut sich die Automotivebranche hier leichter, da die großen Automobilhersteller als OEMs (Original Equipment Manufacturer) Druck zur Nutzung der Lösungen aufbauen werden. Dies ist bei Manufacturing-X kaum möglich. Der industrielle Mittelstand steht den X-Themen momentan noch sehr skeptisch bis ablehnend gegenüber. Hier muss der Nutzen auf Basis von funktionierenden Use-Cases demonstriert werden und Referenzen von mittelständischen Anwendungsunternehmen die notwendige Überzeugung leisten. Bis dato zeigen Mittelständler in den X-Initiativen leider noch zu wenig Präsenz.

Referenzen
[1] https://www.proalpha.com/de
[2] https://www.proalpha.com/de/fir-studie-co2-management-mit-business-software

Autor:

M. Finkler   Michael Finkler, Geschäftsführer Business Development, ProAlpha

 

CITplus-Tipp

Wie sich der Mittelstand auf Manufacturing-X vorbereiten kann

In der Konzeptionsphase von Manufacturing- und Factory-X sollten mittelständische Unternehmen Kapazitäten sowie Know-how für die anstehende Transformation aufbauen:

  • a) Informieren, vernetzen und aktiv werden: Die Verbände VDMA, ZVEI, BDI und Bitkom sowie die Politik – angeführt vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz – werden sich angesichts der Aussicht auf üppige Fördergelder (250 Mio. EUR für Catena-X und 150 Mio. EUR für Manufacturing-X) aktiv in die X-Initiativen einbringen. Der Mittelstand sollte jede Gelegenheit nutzen, sich zu informieren und in den Gremien mitzuarbeiten. Zudem sollten sich Entscheidung­sträger aus dem Mittelstand zum Thema X-Initiativen und Datenräume auch mit ihren Kunden, Kunden der eigenen Kunden, Partnern, Mitarbeitern und Zulieferern austauschen: Welche Schritte können wir gemeinsam Richtung digitaler Ökosysteme gehen? Welche Partner und Zulieferer sind geeignet?
  • b) Eine digitale Vision entwickeln und die Unternehmensstra­tegie danach ausrichten: Für manches Unternehmen ist es nur die Fortsetzung der Reise, für andere ein erneuter oder erster Anlauf. Sie sollten sich bei der digitalen Transformation nicht im Klein-klein verlieren, sondern diese zielgerichtet als Business-Transformation mit Fokus auf Kunden, Produkte, Märkte und Nachhaltigkeit gestalten.
  • c) Das eigene Unternehmen sowie IT-Systeme und Daten fit für Manufacturing-X machen: Dazu gilt es, folgende Fragen zu beantworten:
    –  Wie hoch ist der Digitalisierungsgrad der Gesamtorganisation ­inklusive der Mitarbeiter?
    –  Ist technologisch alles up-to-date? Befindet sich das ERP-System und weitere Business-Anwendungen im Unternehmen auf einem aktuellen Releasestand? Funktioniert das Stammdatenmanagement? Sind die Daten bereinigt und ließen sie sich in Datenräume wie Manufac­turing-X integrieren?
    –  Welche Fertigungsdaten werden erfasst? Was wird gemessen und ausgelesen? Welche Informationen wären darüber hinaus interessant und wie lassen sie sich gewinnen?
    –  Gibt es bereits Ansätze und Werkzeuge zur CO2-Bilanzierung? Welche Möglichkeiten sehen Sie, Scope-2- und Scope-3-Emissionen zu ermitteln? So hat bspw. eine Studie des Forschungsinstituts für Rationalisierung (FIR) an der RWTH Aachen im Auftrag von ProAlpha gezeigt, dass Unternehmen den Aufwand zur CO2-Bilanzierung signifikant reduzieren können, wenn sie die bereits verfügbaren Daten aus ERP-, MES- und weiteren Business-Anwendungen heranziehen[2].

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